Die EU will Syrien nach dem Machtwechsel im Land in diesem und nächstem Jahr mit weiteren Hilfsleistungen unterstützen. „Die Europäische Union erhöht heute ihre Zusage für die Syrerinnen und Syrer im Land und in der Region auf fast 2,5 Milliarden Euro für 2025 und 2026“, sagte EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen am Montag bei einer Geberkonferenz in Brüssel die deutsche Außenministerin Annalena Baerbock sagte 300 Millionen zusätzliche Hilfen für Syrien zu. „Die Syrerinnen und Syrer brauchen mehr Unterstützung, egal ob sie sich noch im Ausland aufhalten oder ob sie sich entscheiden, nach Hause zurückzukehren“, sagte die Kommissionspräsidentin. Wie genau die Gelder aus Brüssel verteilt werden sollen, ist bislang offen.
Erstmals waren bei der jährlichen Konferenz in Brüssel auch syrische Behördenvertreter anwesend. Der kommissarische Außenminister Assaad al-Schibani führte die syrische Delegation an. Al-Schibani bedankte sich für die Maßnahmen der EU seit dem Machtwechsel in seinem Land, wie etwa die Aufhebung von Sanktionen, forderte aber gleichzeitig „weitere Maßnahmen“.
Schon bei den ersten Kontakten mit Brüssel haben die neuen Machthaber in Damaskus klargemacht, was sie nun vom Westen erwarten. Es sei nötig, „alle gegen Syrien verhängten Sanktionen aufzuheben, um die Rückkehr syrischer Flüchtlinge in ihr Land zu ermöglichen“, teilte die Rebellengruppe Hayat Tahrir al-Scham (HTS) mit, nachdem ihr Anführer Ahmed al-Scharaa britische Diplomaten und den UN-Sondergesandten Geir Pedersen getroffen hatte. Der Norweger machte sich selbst dafür stark, um das Land zu stabilisieren.
Nachdem der damalige Machthaber Baschar al-Assad die Demokratiebewegung in seinem Land 2011 blutig niedergeschlagen hatte, verhängten sowohl die Europäische Union als auch die Vereinigten Staaten umfangreiche Sanktionen gegen die Verantwortlichen und gegen die Finanzierungsquellen des Assad-Regimes. Der UN-Sicherheitsrat wiederum stufte die HTS-Miliz 2014 als Terrorgruppe mit Verbindungen zu Al-Qaida ein. Ihr Anführer Abu Mohammed al-Golani, der nun unter seinem bürgerlichen Namen Al-Scharaa auftritt, war schon im Vorjahr gelistet worden. Inzwischen hat sich die Gruppe von Al-Qaida und der Nusra-Front distanziert.
Die Sanktionierten unterliegen einem Reiseverbot, ihre Vermögen im Ausland müssen eingefroren und mit ihnen dürfen keine Geschäfte gemacht werden. Allerdings gibt es eine Ausnahme für Hilfsorganisationen, die gerade erst Anfang Dezember verlängert wurde. Gespräche sind ohnehin weiterhin möglich, wie etwa in Brüssel hervorgehoben wird. Deshalb konnte sich der EU-Delegationsleiter für Syrien seinerseits mit HTS-Vertretern in Damaskus treffen. Aufheben kann die Sanktionen ohnehin nur der UN-Sicherheitsrat.
Die Wirtschaftssanktionen richten sich vor allem gegen den Energiesektor als wichtigste Einnahmequelle des früheren Assad-Regimes. So verbietet die EU die Einfuhr, den Transport und die Finanzierung von Rohöl und raffinierten Produkten aus Syrien. Den staatlichen Gesellschaften darf auch keine Ausrüstung und Technologie zur Förderung oder Verarbeitung von Rohöl und Erdgas geliefert werden. Dasselbe gilt für jegliche Unterstützung beim Bau von Kraftwerken zur Stromerzeugung. Zudem sind EU-Flughäfen für reine Frachtflüge syrischer Linien gesperrt. Gemischte Flüge mit Passagieren und Fracht unterliegen strengen Kontrollen. Untersagt sind zudem normale Geschäftsbeziehungen mit der syrischen Zentralbank. Banken aus der EU dürfen weder Vertretungen in dem Land noch Korrespondenzbeziehungen zu syrischen Banken unterhalten. Die Europäische Investitionsbank musste ihre Kredite und technische Hilfe für syrische Empfänger einstellen.
Zwar gibt es für die meisten Bestimmungen Ausnahmen zu humanitären Zwecken. Sie wurden nach dem schweren Erdbeben im Februar 2023 sogar noch erweitert. Die Lieferung von Nahrungsmitteln, Medikamenten und medizinischer Ausrüstung soll weiter möglich bleiben. Trotzdem klagen Hilfsorganisationen seit Langem darüber, dass ihre Arbeit stark behindert werde. So lehnen die meisten Banken Überweisungen nach Syrien ab oder verzögern sie wegen aufwendiger Nachprüfungen, selbst wenn das Geld anerkannten Hilfsorganisationen zugutekommt.
Vor gut einer Woche war es im Westen Syriens zu den bisher heftigsten Kämpfen seit dem Sturz des syrischen Machthabers Baschar al-Assad durch die islamistische HTS-Miliz am 8. Dezember gekommen. Nach Angaben der Syrischen Beobachtungsstelle für Menschenrechte wurden mindestens 1383 Zivilistinnen und Zivilisten getötet, die meisten davon Angehörige der religiösen Minderheit der Alawiten, der auch Assad angehört. Großbritannien sagte am Montag 160 Millionen Pfund (rund 190 Millionen Euro) an humanitärer Hilfe für Syrien zu. London werde dabei helfen, „die Syrer mit wichtigem Wasser, Lebensmitteln, Gesundheitsversorgung und Bildung zu versorgen“, erklärte das Außenministerium in London anlässlich der Geberkonferenz. Im vergangenen Jahr waren bei der Konferenz 7,5 Milliarden Euro an Zuschüssen und Darlehen für die syrische Bevölkerung gesammelt worden. Die Gesamtsumme für dieses Jahr sollte später bekannt gegeben werden.
Nach 14 Jahren Bürgerkrieg liegen große Teile Syriens in Trümmern. Die humanitäre Lage im Land ist noch immer katastrophal, geschätzt benötigen rund 16,7 Millionen Menschen Hilfe. Das Rote Kreuz warnte, ohne Hilfe für Syrien stehe eine neue Migrationswelle bevor. Solange es keine Schulen, Krankenhäuser, Zugang zu Wasser und Strom gebe, seien die Menschen „gezwungen zu gehen“, sagte die Präsidentin des Internationalen Komitees vom Roten Kreuz (IKRK), Mirjana Spoljaric, der Nachrichtenagentur AFP.