Nach dem EU-Gipfel zu Migration und Flucht scheint deutlich zu werden, dass die Mitgliedstaaten sich auf einen härteren Kurs einstellen werden: Grenzzäune, Außenkontrollen, Abschiebungen. Eine wirkliche Beschäftigung mit den Ursachen von Flucht und Vertreibung ist nicht zu erkennen, vielmehr eine Politik, die getragen ist von Angst vor Zuwanderung und gewisse populistische Grundmuster aufzeigt.
Eine gerechte und sinnvolle Verteilung von Flüchtlingen innerhalb der EU wurde gar nicht erst diskutiert, Europas Abschottung war das einzige Ergebnis. In Deutschland oder Österreich sind viele Kommunen an ihrer Leistungsgrenze angekommen und können den Flüchtlingen aufgrund der hohen Zahlen an Betreuungen keine adäquaten Unterkünfte mehr anbieten, Beratung und Hilfe kann ebenso nur noch bedingt geleistet werden. Bislang setzen die Regierungen darauf, dass ehrenamtliches Engagement der Bürger die staatliche Fürsorge ersetzen kann. EU-Mitglieder wie Ungarn, Polen, die Slowakei weigern sich weiterhin, ihrer Verantwortung gerecht zu werden und Kontingente von Flüchtlingen aufzunehmen. Hier müsste Brüssel stärkere Druckmittel anwenden können!
Gleichzeitig wird – wieder einmal – von Populisten die Angst geschürt, vor Überfremdung, der „muslimischen Invasion“ nach Europa, dem Verlust der nationalen Identität. So dreht sich die europäische Migrationspolitik seit Jahren im Kreis, und das Karussell wird nur zum Stillstand kommen, wenn die 27 Staaten ein stabiles Gleichgewicht finden: einerseits bei der Verantwortung für den Schutz und die Kontrolle der Außengrenzen und andererseits bei der solidarischen Verteilung von Flüchtlingen unter den 27 Staaten. Von der schwedischen Ratspräsidentschaft sollte man nicht erwarten, dass sie in Fragen der Solidarität vorangeht. Ihr Motto heißt: Abschiebung und Abschreckung. Und es wird in immer mehr Ländern geteilt.
Schwedens Kurs: Abschiebung und Abschreckung
Die schwedische Regierung hat in vergangenen Monat eine neue Kampagne gestartet, die das Bild des Landes als offen und liberal nachhaltig verändern soll: Flüchtlinge bitte draußen bleiben, in Schweden gibt es keine Willkommenskultur mehr – das ist in etwa die Botschaft. Ministerin Stenergard steht für die Wende in der schwedischen Politik, die sie vor Kurzem mit dem umstrittenen Satz beschrieb: Es gebe eine migrantisch geprägte „Schattengesellschaft“, und die müsse man nun „ausmerzen“. In einem kürzlich erschienenen Artikel hatte Stenergard das „Schicksalsjahr“ 2015 in Deutschland und ihrem Heimatland verglichen. Sie kam zu folgendem Schluss: „Schweden und Deutschland sind aus der Migrationskrise 2015 mit der gleichen bitteren Erfahrung herausgegangen: Ein guter Wille und Optimismus allein sind nicht ausreichend für eine gelungene Einwanderung. Viele Menschen haben sich auf fantastische Weise engagiert und geholfen, doch waren die Auswirkungen auf die Gesellschaft sehr groß. Während es in Deutschland zum großen Teil glückte, die auf die Migration folgenden Herausforderungen zu bewältigen, war die Entwicklung in Schweden das genaue Gegenteil.“ Zudem würde man zulassen, dass Menschen mit extremen religiösen oder politischen Ansichten die gesellschaftlichen Institutionen unterwandern und beeinflussen würden. Es seien ideologische Scheuklappen, die notwendige und weitreichende Reformen verhinderten. Eine zermürbende Debatte würde erst aktuell in Europa viel zu spät in eine klare und deutliche Reformagenda münden, einen Paradigmenwechsel, den die schwedische Ratspräsidentschaft nun angehen würde.
Die neue schwedische Migrationspolitik wird wie folgt beschrieben: Straftäter sollen in größerem Umfang ausgewiesen werden. Und alle, deren Lebensweise – zum Beispiel aufgrund zu enger Kontakte mit terroristischen Organisationen – als ungenügend gilt, sollen nach einem fairen Verfahren abgeschoben werden können, auch wenn sie nicht wegen einer Straftat verurteilt wurden. Wessen Asylantrag abgelehnt wird, muss schnellstens das Land verlassen. Dennoch kehren zu wenige zurück in ihre Heimat, und zu viele geraten in eine gefährliche, wachsende Schattengesellschaft. Die Kommunen dürfen nicht länger Sozialleistungen an Personen zahlen, deren Aufenthalt unrechtmäßig ist, und der Zeitraum, nach dem man nach Ablehnung erneut Asyl beantragen kann, soll über die heutigen vier Jahre hinaus verlängert werden. Doch kommt dann eine Zusage, so wird dies eine echte Zusage sein, die gute Voraussetzungen dafür bietet, Teil der schwedischen Gesellschaft zu werden. Wer nach Schweden kommt, muss umgehend Schwedisch lernen und sich selbst versorgen können. Damit jemand Sozialleistungen erhalten kann, müssen Anforderungen an Bemühen und Leistung erfüllt sein.
Großbritannien: Kritik an unkontrollierter Einwanderung ist nicht Xenophobie
Das Unbehagen über die Einwanderung im Vereinigten Königreich brodelt seit einiger Zeit unter der Oberfläche. In den letzten Jahren ist viel darüber geschrieben worden, wie die einwanderungsfeindliche Haltung der Briten nach dem EU-Referendum deutlich nachgelassen hat, obwohl die Zahl der Einwanderer zwischen 2016 und 2019 weitgehend unverändert geblieben ist. Dies hat einige verblüfft: Es war das das Gegenteil von dem, was sie nach dem Sieg einer Kampagne erwartet hätten, die verschiedentlich als von Rassismus, Faschismus und Fremdenfeindlichkeit angeheizt beschrieben worden war. Aber in Wirklichkeit offenbarte es einfach die Unkenntnis der liberalen Eliten über die wirkliche Dynamik, die das Brexit-Votum antreibt.
Natürlich war der Grund, warum viele Menschen für den Brexit gestimmt haben, die Einwanderung zu verringern. Es gab sowohl kulturelle als auch wirtschaftliche Faktoren, die dies beeinflussten, das Ergebnis der sehr hohen und anhaltenden Einwanderung, die unter den Regierungen von Blair, Brown und Cameron stattfand. Es ging aber auch darum, eine Botschaft an das politische Establishment des Landes zu senden: Die Bürger hatten bei jeder Wahl ihren Wunsch nach strengeren Grenzkontrollen signalisiert, nur um ignoriert zu werden. In diesem Sinne wurde die Einwanderung zum Hauptaugenmerk des Brexit-Versprechens auf eine größere Volkssouveränität: Nicht wegen Fremdenfeindlichkeit oder Rassismus, sondern weil sich dort die politische Leere zwischen Herrschern und Beherrschten herauskristallisiert hatte. Es ging hauptsächlich um Rechenschaftspflicht und Demokratie, nicht um Rasse oder Hass auf Ausländer, was erklärt, warum die Abstimmung für den Austritt auch unter ethnischen Minderheiten starke Unterstützung fand.
Nach Angaben des Innenministeriums in London wurden 2022 2,8 Millionen Visa erteilt. Während dies einen Rückgang von 18 % im Vergleich zu 2019 darstellt, gehen Schätzungen des Office of National Statistics davon aus, dass die gesamte Nettomigration im Jahr bis Juni 2022 504.000 betrug, weit höher als der bisherige Rekord von 330.000. Insbesondere arbeitsbezogene Visa stiegen auf fast 400.000 – 80 % mehr als vor der Pandemie im Jahr 2019 und die höchste Anzahl von ausgestellten Arbeitsvisa in einem Zeitraum von 12 Monaten seit Beginn der Datenreihe im Jahr 2005. Auch hat sich die Quelle der Einwanderung grundlegend verändert: Die Netto-EU-Einwanderung ist seit 2016 stetig gesunken, während die Nicht-EU-Einwanderung zugenommen hat – hauptsächlich aus Ländern wie Indien (Arbeitervisa sind um 90 % gestiegen), den Philippinen (93 %), Nigeria (399 %) und Simbabwe (1.500 %). Das bedeutet, dass die Einwanderung kulturell, ethnisch und religiös ausgeprägter wird.
Darüber hinaus wurde auch ein deutlicher Anstieg der illegal ins Land einreisenden Migranten und Asylsuchenden festgestellt. Nach offiziellen Angaben haben allein dieses Jahr bisher mehr als 2.300 Migranten den Ärmelkanal auf kleinen Booten überquert, allein in den ersten beiden Februarwochen kamen über 1.000 Migranten an. Insgesamt kam im Jahr 2022 eine Rekordzahl von 45.728 Menschen im Vereinigten Königreich an, von denen fast 90 % erwachsene Männer waren – eine erstaunliche Steigerung von 2.000 % gegenüber dem Niveau vor der Pandemie.
Und entscheidend ist, dass eine unverhältnismäßig große Zahl von Asylbewerbern in einigen der ärmsten Gegenden des Landes untergebracht wird, ohne dass die Gemeindeverwaltungen und Einwohner in dieser Angelegenheit etwas zu sagen haben. Die Gebiete Nordosten und Rote Mauer beherbergen 13- bzw. 7-mal so viele Asylsuchende wie Südostengland. Knowsley selbst ist der am zweithäufigsten benachteiligte Bezirk in England und leidet unter schweren Problemen wie Arbeitslosigkeit, Krankheit und Kinderarmut. All dies führt im Vergleich zu den letzten Jahren zu einer erneuten Versteifung der Einstellungen zur Einwanderung.
Daher ist es vielleicht nicht überraschend, dass laut den veröffentlichten Daten eine Mehrheit der Briten der Meinung ist, dass die Einwanderung zu hoch ist, wobei 34% dieser Aussage voll und ganz zustimmen. Interessanterweise sind die Ergebnisse in allen sozioökonomischen Gruppen mehr oder weniger gleich, obwohl der Widerstand gegen Einwanderung erwartungsgemäß in den ärmeren Gebieten des Landes besonders groß ist: Midlands, Yorkshire und Nordostengland.
Was sagt uns das über Großbritannien? Was treibt diesen Wandel in der Einstellung zur Einwanderung an? Sollen wir glauben, dass 34 % des Landes rassistisch sind? Es gibt nur sehr wenige Beweise für die Behauptung, dass tief verwurzelte Fremdenfeindlichkeit schuld ist. Vielmehr ist das Land in den vergangenen Jahrzehnten unglaublich toleranter und weniger rassistisch geworden. Wenn eines klar ist, dann dass Rassismus definitiv nicht auf dem Vormarsch ist. Eine EU-Umfrage aus dem Jahr 2019 stufte das Vereinigte Königreich als das am wenigsten rassistische unter den 12 untersuchten westeuropäischen Ländern ein. Dies unterstreicht die Tatsache, dass man sich gegen eine hohe Einwanderung wehren kann, während man gleichzeitig positiv auf Einwanderer eingestellt ist. Daher haben frühere Umfragen gezeigt, dass nicht nur die Mehrheit der weißen Arbeiterklasse eine Verringerung der Einwanderungsraten wünscht, sondern auch die Mehrheit der Befragten nicht weißer Ethnizität.
Wer sich mit der illegalen Einreise einem hohen persönlichen Risiko aussetzt, flieht häufig vor Schreckenssituationen: Krieg, Armut und Verfolgung. Das bedeutet aber auch, dass sie eher aus überproportional gesetzlosen Gesellschaften stammen. Es ist daher nicht unvernünftig, dass die Menschen besorgt sind über die plötzliche Ankunft junger Männer ohne Papiere in ihren Gemeinschaften, von denen sie wenig wissen.
Ähnliche Einschätzung in Irland
Einwanderung wird nicht nur genutzt, um die Löhne zu senken, sondern kann im Kontext von Sozialabbau und Sparmaßnahmen zu einem verstärkten Wettbewerb um knappe und abnehmende öffentliche Ressourcen und Infrastrukturen führen. Aus diesem Grund waren irische Gewerkschaften und die dortige Sozialdemokratie historisch im Allgemeinen gegen Einwanderung. Es erklärt auch, warum selbst von denjenigen, die insgesamt eine geringere Einwanderung befürworten, 76% eine stärkere Einwanderung von hochqualifizierten Personen gutheissen – was keinen Sinn ergeben würde, wenn die Menschen in erster Linie daran interessiert wären, die Einwanderung insgesamt zu stoppen.
Allerdings geht es beim Widerstand gegen Einwanderung nicht nur um Wirtschaft. Es hat auch damit zu tun, dass sich die Mehrheit der Wähler im Gegensatz zu den kosmopolitischen Eliten weiterhin als nationale Bürger versteht, die in einer Gemeinschaft mit einem gewissen Sinn für eine gemeinsame kollektive Identität leben wollen. Tatsächlich zeigen mehrere Studien, dass die nationale Identität für die meisten Menschen weltweit die stärkste Form der kollektiven Identität bleibt. Die nationale Identität eines Landes kann zu einem großen Teil ein „imaginäres“ Konstrukt sein. Es kann auch schwierig sein, es festzuhalten, da es Bräuche, Kultur, Geschichte, Sprache, Religion und soziale Sitten umfasst. Aber es existiert und hat sehr „reale“ Auswirkungen, indem es gemeinsame Bindungen zwischen den Mitgliedern einer territorial definierten Gemeinschaft schafft – und sie entstehen lässt.
Zeitgenössische Progressive diffamieren den Nationalstaat gern als an sich faschistisch. Aber moderne Konzepte nationaler Identität sind immer noch unglaublich „progressiv“ im traditionellen Sinne des Wortes, da sie auf der Überwindung individueller Besonderheiten – Geschlecht, Rasse, Biologie, Religion – basieren, um kulturell-politische Identitäten zu schaffen, die auf Partizipation, Gleichheit, Staatsbürgerschaft und Repräsentation. Entscheidend ist jedoch, dass dies nicht unbegrenzt ist: Eine Gesellschaft ist per Definition durch Grenzen und eine relativ stabile Mitgliedschaft gekennzeichnet. Während sich die nationale Identität ständig weiterentwickelt, ist das Tempo dieser Veränderung alles.
Die Kritik an der Einwanderung wird in Irland nicht in erster Linie von Rassismus oder Fremdenfeindlichkeit oder gar von einer Ablehnung der Einwanderung per se angetrieben, sondern von dem Wunsch, über Form, Tempo und Umfang der Einwanderung mitzubestimmen. Dies ist kein Argument gegen Einwanderung oder die Entwicklung der nationalen Identität eines Landes. Für die Iren ist es ein Argument dafür, das Recht einer nationalen Gemeinschaft zu respektieren, das Tempo und die Form einer solchen Entwicklung mitzubestimmen. In Irland herrscht die Meinung vor, so viele Menschen wie möglich aufzunehmen, die höllischen Situationen entkommen konnten – von denen viele auch durch westliche Interventionen verursacht wurden. Aber wie das geschehen soll, entscheiden letztlich die Menschen, die hier leben.
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