Die französische Außenpolitik in Bezug auf die Westsahara war lange Zeit ein zaghafter Balanceakt zwischen der gegensätzlichen Politik Algeriens und Marokkos. Dieser Umstand ist insofern merkwürdig, als das Frankreich keine koloniale Rolle in der Westsahara spielte. Spanien hielt diesen riesigen Landstreifen militärisch seit 1884 als eine Art Ersatz für die gescheiterte spanische Kolonisierung Nordafrikas zwischen Oran und der Atlantikküste Mauretaniens im Zuge des spanischen Goldenen Zeitalters.
Das Königreich Marokko organisierte 1975 einen großangelegten Marsch an der Grenze zur Westsahara, und teilweise auch über die Landesgrenzen hinaus. Einige Wochen später rückten die marokkanischen Streitkräfte in die Westsahara ein und annektierten das Gebiet vollständig. Zeitgleich bezog Paris keine klare politische Position. Die junge algerische Republik setzte sich jedoch für die Saharauis, ein in der Westsahara lebendes Nomadenvolk ein. Diesen Nomaden gefiel die spanische Kolonisierung – eher eine imperiale Invasion als ein Siedlungsprojekt – zwar nicht, dennoch konnten sie sich zeitgleich mehrheitlich nicht für eine Eingliederung in das Königreich Marokko begeistern. Die marokkanische Öffentlichkeit feiert bis heute die Annexion des Nachbarlandes. Nach wie vor zeugen patriotische Lieder aus dieser Zeit.
Da sich die beiden Länder Westsahara und Algerien geografisch kaum berühren, war der politische Unmut in Algier lediglich eine Frustration über die leichte Expansion des Rivalen Marokkos. Diesem politischen Unmut gehen einige ideologische Gründe voraus: Die französische Kolonisierung in Marokko war im Großen und Ganzen eine glückliche Erfahrung, sowohl für das Land, als auch die Bevölkerung. Die derzeit in Frankreich lebende marokkanische Diaspora ist weniger gequält von der Vorstellung, im Land des Unterdrückers zu leben, als die Algerier. In Algerien endete die Kolonisierung auf brutale und blutige Art und Weise mit einem Aufstand und dem unter den Franko – Algeriern verbreiteten Gefühl, im Land des Unterdrückers leben zu müssen.
Die französische Politik wird von Innenpolitischen Konflikten überschattet: Es leben in Frankreich mehr Franco – Algerier als Franco – Marokkaner, und Algerien ist ein respektabler und notwendiger Gaslieferant für Frankreich. Innerhalb der französischen Bevölkerung gibt es einige Kreise, die ein Schuldgefühle, verursacht durch die blutigen Entkolonialisierungskriegs in Algerien (1954 – 1962) plagt. Die Entkolonialisierung Marokkos (1956) verlief dagegen zu großen Teilen friedlich.
Donald Trump heizte die Stimmung im Jahee 2020, im Zuge des Abraham Abkommens erneut an, indem er im Zuge des Abraham – Abkommens aus 2020 vorschlug das Gebiet der Westsahara dem Königreich Marokko dauerhaft zuzuschreiben. „Sollen sie es doch haben.“
Bis zu dieser Aussage verhielt sich Washington diplomatisch neutral. Die USA bezug seit jeher folgende politische Position in der Region: keine Annexion ohne ein Referendum der Sahrauis, gemäß einer entsprechenden UN – Satzung, jedoch sicherlich kein unabhängiger saharauischer Staat. Die gleiche politische Haltung nahm auch Frankreich ein. Da das algerische Regime Putins Russland und der BRICS Vereinigung nahesteht, bestand für die USA keine Notwendigkeit die Regierung in Algiers zu besänftigen. Zeitgleich musste man speziell in Marokko politisches Feingefühl zeigen, um den König und eigenen Verbündeten nicht zu verärgern. Die gesamte Situation in der Region veränderte sich schlagartig im Jahre 2022 durch einen politischen Vorstoß Spaniens.
Die ganze Zeit über hielten die spanischen Regierungen den Saharauis, der aufständischen Organisation Polisario und der UN – Satzung die Treue. Madrid sympathisierte jedoch überaus rasch mit der Abraham – Vereinbarungen aus dem Jahr 2020. Spaniens Premierminister Pedro Sanchez billigte diese übereilig im Jahr 2022. Er reiste sogar nach Algier, um sich der algerischen Regierung zu erklären. Überraschender Weise war das algerische Regime über den politischen Alleingang Spaniens nicht allzu verärgert.
Paris blieb weiterhin politisch auf UN – Linie, was allerdings den König Marokkos verärgerte. Kam die französische Haltung etwa Algier zu Gute? Nein, Paris wurde von Algier für politische Schwergewichtsthemen wie die Visapolitik oder die von der französischen Regierung geschützten politischen Dissidenten kritisiert. Dabei ging der Westsahara Konflikt beinahe unter. Warum also positionierte sich Madrid nicht ähnlich? Diese Frage kann nicht eindeutig geklärt werden, hat aber historische Gründe. Paris hat sich in der Vergangenheit als Kolonialmacht mit Schlagkraft verstanden und sieht sich auch heute noch als ausgleichende und einflussreiche Macht in der Region. Frankreich nutzt den eigenen Einfluss, um eine Art Dialog zwischen den beiden politischen Rivalen herzustellen. „La France puissance médiatrice“, wie Diplomaten und Politiker oft zu sagen pflegten. Frankreichs Staatspräsident Emmanuel Macron tut dies immer noch. Früher sprach Charles de Gaulle mit dem sowjetischen Staatschef, und selbst Giscard d’Estaing flog mitten in der amerikanisch – sowjetischen politischen Spannungsphase nach Moskau. Paris setzte sich für die Öffnung einer Art diplomatischen Rückkanals ein, mit ungewissem Ausgang.
Inzwischen ist offensichtlich, dass es sich dabei weitgehend um einen Mythos und eine Rhetorik handelt, der von Emmanuel Macron aufrecht erhalten wird, um daraus eine Doktrin vor allem für den „Indo – Pazifischen Raum“ zu konstruieren. Welcher Staat außer Frankreich folgt dieser Doktrin, setzt sich für diese ein, und wo funktioniert dieser französische Ansatz tatsächlich noch? Australien kündigte die Allianz mit Frankreich, die durch das geeinsame U – Boot – Projekt entstand, aufgekündigt. Im Israel – Palästina Konflikt ist die französische „puissance médiatrice“ unbedeutend, im Russland – Ukraine Konflikt konzentriert Frankreich seine klare politische Ausrichtung auf die Ukraine, im Libanon existiert vergebliches französisches Wunschdenken das Land aus der Krise führen zu können und in Mali ist es die Unfähigkeit Frankreichs, den Status quo an zwei Seiten (Nord – gegen Südmali) zu verkaufen, die mit Gewalt die Vorherrschaft anstreben. Frankreichs Diplomatie wird aktuell dafür bestraft, dass sie ihre „Vermittlungs – Politik“ vorangetrieben hat. Anstatt als aktzeptierter Verhandlungspartner oder politischer Vermittler auftreten zu können, werden die Vorschläge aus Paris zunehmend ignoriert. Für Paris könnte die Zeit gekommen sein, öfter Partei zu ergreifen und etwas lauter und energischer Position zu beziehen.
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