Frankreich macht mit einer neuen Gesetzgebung Schluss mit der Entsendung ausländischer Imame an französische Moscheen. Im Land mit dem höchsten Anteil an Muslimen in der Bevölkerung ist der Umgang mit dem Islam spätestens seit den Terroranschlägen 2015 ein belastetes Thema. Der Islam wird in Frankreich seither nicht mehr nur als Religion gesehen, sondern auch als potenzielle Gefahr. Doch schon seit dem Terroranschlag auf das World Trade Center in New York 2001 hat sich die Debatte verändert. Der Islam wird in Frankreich als Sicherheitsrisiko behandelt. Behörden sorgten sich um den Einfluss der Imame auf die Muslime in Frankreich.
Präsident Emmanuel Macron will den Islam in Frankreich nun von ausländischen Einflüssen befreien. Bis Ende März müssen alle entsandten Imame ausreisen. Sie sind als ausländische Funktionäre nach Frankreich gekommen, bilaterale Abkommen mit den jeweiligen Ländern haben es möglich gemacht. Doch künftig sollen nur noch Imame in den Moscheen predigen, die in Frankreich aufgewachsen sind und ausgebildet wurden. Noch ist völlig offen, wer die entsandten Imame, aktuell wird die Zahl auf ca. 300 geschätzt, ersetzen soll. Es ist noch nicht einmal klar, wo die französischen Imame dereinst ausgebildet werden sollen.
In Frankreich kommen die meisten eingewanderten Muslime aus den ehemaligen Kolonien und Mandatsgebieten im Nahen Osten und Nordafrika. Vier bis sieben Millionen leben heute im Land, es ist eine heterogene Gruppe, die Mehrheit hat ihre Wurzeln in Algerien, Marokko oder Tunesien. Es gibt 2.500 Moscheen, dazu viele kleine Gebetsräume. Es sind Schätzungen, da der französische Staat keine Statistik zur Religionszugehörigkeit führt.
Die meisten Moscheen sind vom Ausland abhängig. Sie werden von muslimischen Staaten finanziert. Ihre Imame kommen aus dem Ausland oder haben in muslimischen Ländern studiert. Das war durchaus so gewollt: Frankreich hat Ländern wie Algerien, Marokko oder der Türkei seit den 1980er Jahren erlaubt, Imame offiziell nach Frankreich zu entsenden. Damit sollte verhindert werden, dass schlecht ausgebildete und radikale Prediger in den Moscheen aktiv werden und die Gläubigen sich radikalisieren.
Die Mehrheit der Imame, die als staatliche Funktionäre im Land sind, kommen aus Algerien und der Türkei. Eine Minderheit kommt aus Marokko. Doch sie sind umstritten. Denn sie kennen die Kultur, die Gesetze oder die Sprache des Gastlandes nicht und werden alle paar Jahre ersetzt. In Frankreich befürchtet die Regierung, dass die entsandten Imame eine Kluft zwischen den Muslimen und der restlichen Bevölkerung schaffen. Deshalb will man die Praxis beenden.
Eine neue Studie der Universität Strassburg zu religiösen Minderheiten meint nun, Frankreich hätte die staatlichen Imame aus dem Ausland nie erlauben dürfen. „Sie sind nationalistisch und predigen den Gläubigen, dass sie allem voran Türken, Marokkaner oder Algerier seien. Und keine Franzosen.“ Vor allem die Türkei nutze das System, die Türken in Frankreich politisch zu beeinflussen.
Nach dem Anschlag auf Charlie Hebdo sagte der damalige Ministerpräsident Manuel Valls, die Vertreter des Islams müssten einen „starken, republikanischen, professionellen und organisierten Islam“ fördern. Valls sprach die Moscheen an. Sie sollten den Muslimen die französische Kultur vermitteln, einen Beitrag zur Integration leisten. Er sah vor allem die Imame in der Pflicht, weil sie die Radikalisierung von Muslimen verhindern könnten. Oder begünstigen.
Aktuell gibt es unterschiedlich Beispiele, wie die französischen Moscheen mit ihren Imamen bzw. Spenden aus dem Ausland umgehen. Da ist einmal die Grosse Moschee von Saint-Ouen, einer Kleinstadt nördlich von Paris. Die Moschee gibt es seit 24 Jahren, zum Freitagsgebet kommen 4.500 Besucher. Sie haben ihre Wurzeln überall in der arabischen Welt. Der dortige Leiter ist in Frankreich aufgewachsen und seit 33 Jahren Imam, er doziert auch an der renommierten Sciences Po in Paris. Bereits sein Vater war Jurist und Imam. Studiert hat er in Frankreich, islamische Theologie hat er an Universitäten in Ägypten, Marokko und Tunesien gelernt.
Die Moschee in Saint-Ouen wird mit Spenden von Gläubigen finanziert und sei deshalb unabhängig. Angebote für Gelder von ausländischen Staaten werden abgelehnt, weil eine Moschee, die Gelder eines ausländischen Staates erhalte, an Konditionen gebunden sei. Aber klar ist auch: Spenden abzulehnen, bedeutet auch, weniger Geld für Imame und andere Mitarbeiter zu haben. Die Moschee von Saint-Ouen muss ihre Finanzen beim Innenministerium deklarieren. Auch werden die Imame vermehrt überprüft.
In den letzten Jahren sind viele Moscheen geschlossen worden. Immer wieder ergeben Kontrollen, dass die Imame oder die Präsidenten der Moscheen islamistischen Gruppierungen nahestehen oder von ihnen Geld erhalten. Ein radikaler Imam im Departement Seine-Saint-Denis fiel den Behörden erst auf, als er mit dem Facebook-Konto der Moschee auf das Video der Hetze gegen den Lehrer Samuel Paty reagierte. Paty hatte im Unterricht Mohammed-Karikaturen gezeigt. Er wurde von einem Terroristen enthauptet, der erst durch das Video auf Paty aufmerksam geworden war.
Der Imam der Moschee in Saint-Ouen findet die Kontrollen der Regierung wichtig. Doch sie würden meist die offensichtlich radikalen Imame treffen. Die viel grössere Gefahr geht von schlecht ausgebildeten Imamen aus, die den Behörden kaum auffallen. Sie seien diejenigen, die die oft genannte Kluft zwischen der muslimischen und der restlichen französischen Bevölkerung kreierten. Imame sollten mehr können, als in der Predigt den Koran zu zitieren. Sie müssten sich mit den Gläubigen austauschen, ihre Lebensrealität kennen und ihnen Rat geben. Der Imam sei auch Eheberater, Seelsorger, Integrationshelfer. Und er könne erkennen, wenn sich ein Muslim radikalisiere.
In Frankreich informieren sich junge Muslime meistens im Internet über den Islam. Und dort stossen sie schnell auf radikale Inhalte. „Jugendliche verbringen mehr Zeit mit Youtube-Imamen als in der Moschee“, sagt der Imam. Die Jugendlichen fragten ihn aber auch nach seiner Meinung. Sie zeigten ihm Videos aus dem Internet und wollten wissen, ob es stimme, was die Imame darin sagten. „Einmal sind Eltern zu mir gekommen und haben gesagt, ihr Sohn sei psychisch krank“. Es stellte sich heraus, dass der Sohn im Internet radikalen Islamisten folgte.
Imame, die für die Werte einer westlichen und pluralen Gesellschaft stehen, sind besorgt darüber, wer nun die ausländischen Imame ersetzen wird. In Frankreich fehlt es bereits jetzt an Imamen. Und jene, die jetzt übrig bleiben, sind oft schlecht ausgebildet. Ein guter Imam brauche auch ein Theologiestudium. Der Beruf des Imam ist aber unattraktiv, weil er in Frankreich nicht reguliert sei. Jeder könne sich als Imam bezeichnen. Daher wird gefordert, dass der Beruf professionalisiert wird, mit einem anerkannten Diplom.
Priester oder Pfarrer haben in den meisten europäischen Ländern an einer Universität Theologie studiert. In Frankreich ist es komplizierter. Seit 1905 ist der Laizismus in der Verfassung vermerkt. Staat und Religion sind strikt getrennt. In den Schulen gibt es keinen Religionsunterricht, an den Universitäten gibt es keine theologischen Fakultäten.
Die einzige Ausnahme ist das Elsass. Die Region gehörte 1905 noch zum Deutschen Kaiserreich. Als sie ab 1918 wieder Teil Frankreichs wurde, lehnte die Bevölkerung die Laizität ab. Die Universität Strassburg hat bis heute die einzige christliche theologische Fakultät Frankreichs, die Stadt Strassburg subventioniert neben Kirchen auch Moscheen. Doch selbst dort sind die Pläne für eine islamische Theologie-Fakultät bis jetzt gescheitert. Französische Universitäten führen Studiengänge zur muslimischen Welt und zum Islam, aber es sind wissenschaftliche Studiengänge. Für die theologische Ausbildung müssen die angehenden Imame weiterhin ins Ausland.
Die Grosse Moschee von Strassburg ist ein Beispiel dafür, wie sich die Moscheen jetzt selbst organisieren. Die Moschee steht im Süden der Stadt, am Rande eines Industrieviertels, direkt am Fluss Ill. An Freitagen kommen 2.000 Gläubige zum Gebet. Die Besucher unterscheiden sich in ihrer Herkunft und der islamischen Strömung, der sie angehören. Sie eint, dass sie in Frankreich leben und Französisch sprechen. Doch Imame, auf die das auch zutrifft, gibt es in Frankreich kaum.
Der Imam der Moschee in Strassburg ist Franzose, hat aber in Marokko studiert, einem Land, in dem andere Gesetze gelten, ein anderes politisches System vorherrscht und der Islam die Religion der Mehrheit ist. Der Präsident der Moschee will künftig nur noch Imame einstellen, die in Frankreich ausgebildet wurden. Darum hat er das Institut Islamica gegründet, eine Imam-Schule. Die angehenden Imame studieren am Institut islamische Theologie, daneben besuchen sie an der Universität Strassburg juristische und soziologische Vorlesungen. Der erste Studiengang soll im September beginnen und drei Jahre dauern.
Nun werden Personen gesucht, die am Institut unterrichten können. Doch die meisten Kandidaten kommen aus dem Ausland. Und da sind wieder Abhängigkeiten: Die Moschee in Strassburg erhält Spenden aus Marokko. Ohne das Geld müsste sie den Betrieb herunterfahren. Projekte für Imam-Schulen laufen auch an den grossen Moscheen von Lyon und Paris. Aber auch sie sind finanziell und personell von ausländischen Staaten abhängig.
So dreht sich das Problem mit den ausländischen Imamen im Kreis. Präsident Macron will Moscheen in Frankreich professionalisieren, den französischen Islam von ausländischen Einflüssen befreien. Doch die Umsetzung muss er den Muslimen selbst überlassen. Und die wiederum finanzieren den Betrieb ihrer Moscheen nun einmal mit Geld aus dem Ausland.
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