Von Ghazaleh Vaziri, Brüssel
Nicht zum ersten Mal sendet Frankreich widersprüchliche Signale aus, wenn es um sein Engagement im Kampf gegen den Terrorismus geht. Während seine Bedeutung auf der Weltbühne schwindet, versucht Paris, zumindest in Libanon und im Nahen Osten seinen Einfluss zu bewahren und ein relevanter Akteur zu bleiben.
Die Entscheidung des Internationalen Strafgerichtshofs (ICC), Haftbefehle gegen israelische Regierungsmitglieder zu erlassen, wurde zunächst auch von der französischen Regierung gebilligt. Während etwa die EU-Mitglieder Niederlande, Deutschland, Italien, Tschechien und Ungarn eine Gegenposition einnahmen und erklärten, den israelischen Ministerpräsidenten und den Verteidigungsminister nicht zu verhaften, bezeichneten französische Beamte die Nichtumsetzung der internationalen Haftbefehle als „Selbstmord des Westens“. Die öffentlichen Erklärungen Frankreichs zu den „unumstösslichen Grundsätzen der Gerechtigkeit und des humanitären Rechts“ hielten nur wenige Tage – solange, bis bekanntwurde, dass sich die Grande Nation als Verhandlungspartei in das Waffenstillstandsabkommen zwischen Israel, Libanon und dem Hizbullah eingebracht hat. Das französische Außenministerium verkündete, man werde den Haftbefehl gegen Benjamin Netanyahu nun doch nicht vollstrecken.
Eine solche politische Elastizität ist hilfreich für die französische Exportwirtschaft: So hat die CMA CGM Group, ein führendes Schifffahrts- und Logistikunternehmen aus Frankreich, den Auftrag erhalten, den Hafen von Beirut nach der schweren Explosion im Jahr 2020, an der der Hizbullah beteiligt gewesen war, wieder aufzubauen. Laut dem Buch „Le déclassement français“ der Journalisten Georges Malbrunot und Christian Chesnot wurde diese Art von Geschäft erst nach einer Vereinbarung zwischen dem französischen Präsidenten Macron und dem Hizbullah in Beirut möglich, bei der Macron angeblich zugestimmt haben soll, die massive Aufrüstung des Hizbullah nicht weiter zu thematisieren.
Das mag auch Macrons überaus scharfe Kritik an Israels militärischem Vorgehen gegen die Hamas und den Hizbullah erklären, die auch im Zusammenhang mit den grossen Investitionen von Katar in Frankreich in Höhe von zehn Milliarden Euro in aufstrebende französische Schlüsseltechnologien gesehen werden muss. Genauso wird eine weiter wachsende muslimische Bevölkerung in Frankreich immer mehr zum politischen Faktor für Macron und seine strauchelnde Regierung.
Die Franzosen, die ihr Engagement für liberale Ideale gerne lautstark verkünden, legen die Messlatte sehr hoch. Man könnte auch sagen, dass die Latte deshalb so hoch liegt, damit sie bequem darunter hindurchgehen können. In Paris hat man offenbar vergessen, dass der Hizbullah 1983 an der Bombardierung einer französischen Kaserne in Beirut beteiligt war, bei der 58 französische Soldaten getötet wurden, und dass er Mitte der achtziger Jahre auch tödliche Bombenanschläge in Paris verübte. Ob Frankreich, ohnehin geschwächt durch seine politische Krise, auf diese Weise seinen schwindenden Einfluss im Nahen Osten wiederherstellen kann, bleibt fraglich. Und ob das Verhältnis zur Hizbullah nach dem plötzlichen Sturz des Assad-Regimes in Syrien noch opportun erscheint, ist eine weitere Frage, die noch nicht beantwortet ist.
Macht Deutschland es besser? Nur auf den ersten Blick. Zwar gibt es in deutschen Gefängnissen keine prominenten Terroristen, auf deren Freilassung gedrängt wird. Auch auf europäischer Ebene liegt einiges im Argen. Zwar gibt es einen EU-Koordinator für die Terrorismusbekämpfung. Aber die unterschiedliche Anwendung von Gesetzen auf nationaler Ebene und verschiedene Praktiken erschweren eine einheitliche Vorgehensweise. Dies erlaubt es Islamisten, weiterhin auch auf dem Territorium der Europäischen Union zu operieren. Der Austausch von Informationen zwischen den EU-Staaten über konkrete Bedrohungen ist unzureichend. Zwar gibt es eine EU-weite Liste von Terrororganisationen, aber wie effektiv diese Gruppen bekämpft werden, unterscheidet sich von Land zu Land. Eine EU-weite Datenbank für Gefährder und Terrorverdächtige wäre eine wichtige Maßnahme, um den Informationsaustausch zu erhöhen und Gefahrenpotenziale zu reduzieren. Bislang gibt es sie nicht. Nach wie vor kommen die meisten Hinweise auf mögliche Anschläge in Europa von den amerikanischen Geheimdiensten.
Auch die Finanzflüsse an Terrororganisationen müssten eigentlich viel besser überwacht werden. Europa muss endlich bessere Antworten auf die wachsende Bedrohung durch den Cyberterrorismus finden. Viele junge Menschen radikalisieren sich im Netz und werden in die Arme von Terrorgruppen getrieben. Dieses Problem besteht im Hinblick auf die islamistische Szene, aber auch für andere Bereiche.
Einen laxen Umgang mit den Bedrohungen durch terroristische Organisationen und ihre Unterstützer kann sich kein westliches Land leisten. Es braucht einen starken Staat, der seine Bürger schützt. Einen Staat, der auch die Instrumente haben muss, um die Angriffe auf unsere Demokratien abzuwehren. Dies sollte für die neue EU-Kommission und die künftige deutsche Regierung absolute Priorität haben.