Der saudische Kronprinz Mohammed bin Salman steht längst wieder auf der internationalen Bühne, als wäre nichts geschehen. Seine mutmaßliche Verantwortung für die Ermordung des Journalisten Jamal Khashoggi scheint für seine Präsenz auf der internationalen Bühne keine sonderliche Rolle mehr zu spielen. Dafür ist sein Land schlicht zu reich und zu wichtig, um es zu ignorieren, so die Überlegung in westlichen Hauptstädten, wo man auch besorgt die Hinwendung Saudi-Arabiens zu China beobachtet.
Die Isolation war allerdings nie komplett, und bereits in den letzten Jahren suchten westliche Staatsführer wieder die Annäherung. Die Energiekrise seit dem russischen Überfall auf die Ukraine scheint den Sohn von König Salman nun endgültig als Gesprächspartner rehabilitiert zu haben. Zwölf Tage vor dem Empfang in Paris hatte bereits der amerikanische Präsident Joe Biden seine Vorbehalte überwunden und dem Kronprinzen in Riad seine Aufwartung gemacht. Das Königreich ist und bleibt als Erdöllieferant ein unentbehrlicher Partner. Für MBS, wie er oft genannt wird, ist Frankreich weiterhin das Zentrum seiner europäischen Ambitionen. Nach einem kurzen Arbeitsessen mit Präsident Emmanuel Macron im vergangenen Juli, damals noch unter lautem Protest von Menschenrechtlern, kehrte er im vergangenen Monat zurück nach Paris. Mehr als eine Woche hielt sich der wichtigste Mann des Golf-Königreichs in der französischen Hauptstadt auf.
Das dürfte auch das Hauptmotiv für Macron gewesen sein, dem umstrittenen Kronprinzen den roten Teppich auszurollen. Vor dem Élysée-Palast begrüsste er seinen Gast für die Kameras mit einem langen Händedruck. Dieser hatte eine symbolische Aussage: Mohammed bin Salman ist trotz seiner mutmasslichen Verantwortung für den Mord an Khashoggi und dem verheerenden Krieg in Jemen für Paris salonfähig und ein Geschäftspartner wie andere auch.
Der französische Präsident Emmanuel Macron kehrte extra vorzeitig von seiner Afrika-Rundreise aus Guinea-Bissau zurück, um den saudischen Kronprinzen im Élysée-Palast zu empfangen. Das Treffen war recht kurzfristig angesetzt worden und wurde auch erst offiziell bestätigt, als sich der Kronprinz bereits auf der ersten Station seiner Europa-Tournee in Athen befand. Der Besuch ist umstritten. Denn der Kronprinz galt im Westen nach der Ermordung des Journalisten Jamal Khashoggi im saudischen Konsulat in Istanbul 2018 über Jahre als Persona non grata. Macron empfing zunächst den Kronprinzen zum Diner im Élysée-Palast. Die linke Opposition und Menschenrechtsorganisationen waren entsetzt und erinnerten an den Mord an Khashoggi.
Die Themen bei den Gesprächen zwischen dem Kronprinz des Wüstenstaates und dem französischen Präsidenten Emanuel Macron wurden wie folgt vom Élysée-Palast zusammengefasst: bilaterale Beziehungen, die Lage in Nahost, „die großen internationalen Fragen“, insbesondere der Krieg in der Ukraine, sowie der Finanzgipfel, zu dem Macron Regierungschefs aus vielen Ländern eingeladen hat. Daneben nahm MBS an der Flugschau in Le Bourget teil, wo er den ersten Flug einer Maschine seiner neuen nationalen Fluggesellschaft Riyadh Air beobachtete und auch einige Order bei Airbus tätigte.
Das eigentliche Ziel seiner Reise nach Paris schaute aber ganz anders aus: Er wollte in Paris, begleitet von mehreren Ministern, möglichst viele Staatenlenker treffen, um für die Vergabe der Weltausstellung 2030 an sein Land zu werben. 2030 ist etwa der Zeitrahmen, innerhalb dessen er Saudi-Arabien von einem auf Öl fixierten Land zu einem Vorreiter beim ökologischen Umbau der Industriestaaten verwandeln will. MBS nahm die Werbetour so ernst, dass er nicht in seinem Schloss von Louveciennes am äußersten Rand von Paris residierte, sondern direkt im Zentrum der Metropole.
Die französische Regierung sieht es als ihre Pflicht an, gute Beziehungen zum Wüstenstaat zu pflegen. Diese seien „wechselhaft“, zitiert der Figaro einen französischen Diplomaten. In Paris wird bedauert, dass Frankreich nach den USA, deren Verhältnis zu Saudi-Arabien sich erst langsam wieder verbessert, nicht mehr der privilegierte Ersatzpartner ist. Diese Rolle scheint mehr und mehr China einzunehmen. In der saudischen Hauptstadt Riad ging gerade erst der zehnte arabisch-chinesische Wirtschaftsgipfel zu Ende. In saudischen Medien wird das Zusammentreffen als „Megaevent“ gefeiert, bei dem rund 3.500 Entscheidungsträger aus Wirtschaft und Politik aus mehr als 26 Ländern zusammenkamen – darunter die größte Delegation aus China aller Zeiten, wie Reuters berichtete.
Saudi-Arabien und China kündigten Investitionsabkommen im Wert von zehn Milliarden US-Dollar an. Laut der staatlichen Nachrichtenagentur SPA wurden 30 Vereinbarungen unterzeichnet, unter anderem in den Bereichen Technologie, erneuerbare Energien, Landwirtschaft, Immobilien, Bergbau, Tourismus und Gesundheitswesen. Der Gipfel ist nur ein weiteres Zeichen für die Verschiebung der Machtverhältnisse im Nahen Osten, so kurz nach dem Besuch des US-Außenministers Antony Blinken im Königreich. Kritisch beobachtet man in Paris auch die Nähe Saudi-Arabiens zu Russland sowie die Entspannung zwischen Riad und Teheran, wofür China als angeblicher Vermittler gedient haben soll.
Umso wichtiger für Macron, dass es da noch bilaterale Projekte zwischen Frankreich und Saudi-Arabien gibt, etwa im Bereich Kultur: Im April 2018 einigte er sich mit den Saudis auf einen Millionen-Deal. So soll die Oasenstadt Al-Ula im Nordwesten Saudi-Arabiens zwischen 1,5 und 2,5 Millionen Touristen jährlich anziehen – nach dem Vorbild der Emirate. Abu Dhabi kaufte für die Dauer von 30 Jahren für rund 700 Millionen Euro den Namen Louvre ein. In der saudischen Wüste baut der Stararchitekt Jean Nouvel nun ein Luxusressort, das bis Ende des Jahres fertig sein soll.
Vor dem Empfang des Kronprinzen im Élysée erstatteten zwei Menschenrechtsorganisationen Anzeige gegen den saudischen Gast wegen „Beihilfe zu Folter und Entführung“. Die amerikanische Organisation Democracy for the Arab World Now (Dawn), deren Gründung auf eine Initiative von Khashoggi zurückgeht, und Trial International aus der Schweiz forderten die französische Justiz auf, unter dem Weltrechtsprinzip Anklage gegen den Kronprinzen zu erheben. Sie argumentierten, dass der saudische Kronprinz keine Immunität beanspruchen könne, da er kein Staatsoberhaupt sei. Auch gebe es Handlungsbedarf, da der Prozess in der Türkei zu dem Mordfall eingestellt worden sei und das Verfahren gegen die Täter in Saudi-Arabien nur eine Farce gewesen sei. Für das Treffen im Élysée hatte die Anzeige keine unmittelbare Konsequenzen. Falls sich ein Gericht für die Ermittlungen und die Strafverfolgung zuständig erklärt, könnte es allenfalls in Zukunft für MBS komplizierter werden, Macron in Paris zu besuchen.
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