Die Diskussion ist aktuell überall spürbar: Wie Saudi-Arabien mit der Hilfe seiner Milliarden Petro-Dollar den Sport in den Wüstenstaat bringt.
Angefangen hat es mit Golf: Eine neue Profi-Liga wurde etabliert, welche mit den US-amerikanischen Profis konkurrieren sollte. 400 Millionen US-Dollar wurden einem der besten Golfspieler geboten für den Wechsel, er nahm natürlich die Offerte an. Die asiatischen Winterspiele sollen ebenfalls auf der arabischen Halbinsel in einigen Jahren stattfinden. Schnee-Garantie gibt es natürlich nicht, aber der kann ja schnell ins hügelige Gebiet gebracht werden, im Westen des Königreichs. Die Motorsport-Freunde werden ebenfalls schon mit Formel-1 Rennen in Saudi-Arabien beglückt.
Fußball ist natürlich das wirklich große Ding! Um die „Alleinherrschaft“ von Katar und den Emiraten in den europäischen Ligen zu brechen, wurde kurzerhand der Klub Newcastle United gekauft. Aber es reicht nicht, bloß im Ausland aktiv zu sein. Man geht in Riad nun daran, den Sport auch im eigenen Land zu präsentieren. „Wir stellen den Status quo infrage“, sagt der Spitzenmanager der saudischen Pro League. Es geht um die spektakulären Transfers, mit denen Klubs aus dem Königreich zuletzt Aufsehen erregten, man spricht dort von einem „neuen Kanal für Spieler“, der nun eröffnet worden sei. Es handelt sich um große Namen, die dreistellige Millionengehälter kassieren. Zuletzt unterschrieb der Brasilianer Neymar beim Klub Al-Hilal in der saudischen Hauptstadt Riad.
Vor Neymar waren es bereits andere, in die Jahre gekommenen Kicker, die zumindest im Herbst ihrer Karriere noch einmal richtig Geld machen wollen: Ronaldo, Benzema, Mané. Sogar der frühere Kapitän vom FC Liverpool, Jordan Henderson, früher nie verlegen, sich auch öffentlich für Gleichberechtigung und die Rechte von Homosexuellen einzusetzen, spielt nun in der Saudi Liga. Nachdem sein Wechsel offiziell war, wurden in den Medien des Königreichs Fotos des englischen Spielers veröffentlicht, die immer in schwarz-weiß abgedruckt waren. Der Grund: Seine Kapitänsbinde bei Liverpool hatte immer die Regenbogen-Farbe. Das soll natürlich beim neuen Arbeitgeber nicht ins Auge fallen. Zumindest versteht er die Aufregung in seiner Heimat: „Dass die Leute mich kritisierten und sagten, ich hätte ihnen den Rücken gekehrt, tat mir wirklich sehr weh. Aber ich kann die Frustration verstehen. Ich kann die Wut verstehen.“ Spielern wie Henderson wird vorgeworfen, sie würden dem Kronprinzen helfen, Untaten wie den brutalen Mord an seinem Kritiker Jammal Khashoggi zu übertünchen, sie würden sich zu Komplizen beim „Sportswashing“ machen.
In Europa sieht man die Einkaufspolitik der Saudis durchaus kritisch, die Spieler würden einfach mit Geld zugeschüttet, sie könnten nicht „Nein“ sagen. Aber ist es nicht so, dass das Management in Saudi-Arabien nicht einfach das System kopiert, das in Europa erfunden wurde? Sie könne sich schwer damit anzufreunden, dass mit saudischen Petrodollar den europäischen Branchenführern ihre Stars abspenstig gemacht werden. Das hängt mit der verheerenden Menschenrechtsbilanz des von Kronprinz Muhammad Bin Salman mit harter Hand regierten Königreichs zusammen. Dass die saudischen Klubs ihre Gehaltsangebote nicht wegen Ausgabenvorschriften mäßigen müssen, löst zunehmend Unbehagen aus, verknüpft mit nicht immer sachlicher Kritik. Schlagzeilen, die Neymar zum „Scheich-Spielzeug“ erklären. Die Unruhe in Europa hat noch einen anderen Grund. Hinter den Unsummen, die Saudi-Arabien in die heimische Liga pumpt, steckt ein Plan. Ein kühner Plan, der nicht gelingen muss, aber ein durchdachter: Die Reputation des Königreichs im Ausland nachhaltig zu verbessern, im Innern ein Zugehörigkeitsgefühl zur Nation aufzubauen.
Natürlich können die saudischen Teams trotz aller neuen Stars nicht mit der europäischen Konkurrenz verglichen werden. Aber es ist auch nicht das erste Ziel, sie auf dem Spielfeld herauszufordern. Zunächst geht es ihnen darum, außerhalb von Europa eine Liga aufzubauen. Ausserdem wollen sie Märkte erobern in Afrika und Asien, die momentan noch stärker auf die europäischen Ligen schauen, wo aber womöglich eine größere, auch emotionale Nähe zu Saudi-Arabien vorhanden ist. Aber auch die Jugend in Europa möchte weiter ihre Idole Ronaldo und Neymar sehen, sie folgen ihnen auf Instagram oder TikTok. Und dort sehen sie ihre Stars in einem Land, das sie nicht kennen. „Aber wenn er dort ist, kann es so schlecht nicht sein!“
Mit dem Geld des 800 Milliarden Dollar schweren saudischen Staatsfonds Public Investment Fund (PIF), der die Liga kontrolliert, werden nicht nur große Namen eingekauft, die in Saudi-Arabien ihren Karriereherbst vergolden. Es kommen Spieler, die es vorziehen, einige ihrer guten Fußballerjahre in der saudischen Liga zu spielen und nicht in der besten der Welt, der englischen Premier League. Auch auf dem Trainermarkt schlägt der saudische Fußball zu. Roberto Mancini und Steven Gerrard, der als Spieler über mehr als 17 Spielzeiten das Trikot des FC Liverpool trug, stehen bereits unter Vertrag. Daneben locken die Saudis auch immer wieder Prominente der Fußball-Szene für PR-Coups in die Wüste: Oliver Kahn hat die Zeit nach seinem Aus als Vorstandschef des FC Bayern München auch für einen Trip nach Saudi-Arabien genutzt. „Es wird interessant sein zu sehen, wie sich die Saudi Pro League in der Zukunft entwickelt“, schrieb der frühere deutsche Nationaltorwart auf X (ehemals Twitter) und postete dazu Bilder von sich und den Offensivstars Cristiano Ronaldo und Sadio Mané, die gemeinsam bei Al-Nassr unter Vertrag stehen. Er habe bei einer Trainingseinheit des Klubs zuschauen und die Anlage näher inspizieren können, berichtete Kahn: „Darüber hinaus hatte ich Zeit, mich mit Cristiano Ronaldo und Sadio Mané zu treffen.“
Das saudische Engagement soll nicht nur den internationalen Fußball in die Wüste bringen, es sollen auch andere Ziele erreicht werden. Er öffnet die Gesellschaft mit der Brechstange, drängt den Einfluss der erzkonservativen Religionsgelehrten zurück. Er will eine dynamische Gesellschaft, möchte erreichen, dass bis 2030 vierzig Prozent der Bevölkerung Sport treiben. 60 Prozent der dortigen Bevölkerung ist unter 30, die Diabetes-Rate liegt dort bei 20 Prozent, übergewichtig sind 56 Prozent der Saudi-Jugend. Und die Herrscher in Riad haben auch die soziale Macht des Sports erkannt: Die goldenen Zeiten sind in Saudi-Arabien vorbei, die Arbeitslosigkeit liegt bei über 20 Prozent. Da reicht es nicht mehr, eine fundamentalistisch ausgelegte Religion als Bindeglied einer Gesellschaft zu preisen! Die Gesellschaft verändert sich, es müssen neue Maßnahmen her, die einerseits die Menschen befriedigt, ohne aber die Macht des Herrscherhauses zu gefährden.
„Identität stiften“ ist daher die neue Devise. Der saudische Gesellschaftsvertrag beruht auf einem Handel: Das Herrscherhaus verlangt Gehorsam, muss aber dafür sorgen, dass die Bevölkerung ein angenehmes Leben führen kann. Es gibt viele einfache Leute im Königreich, die schon jetzt über sinkende Subventionen, zuvor ungekannte Steuern oder einen angespannten Wohnungsmarkt klagen. Es besteht also auch das Risiko, dass mit dieser Strategie „der Schuss nach hinten geht“. Der große Binnenmarkt ist ein Vorteil für das Königreich, das mit den Investitionen in die eigene Liga in eine Nische stößt. Auch andere Herrscherhäuser reicher Golfstaaten haben Reformprogramme auf den Weg gebracht und investieren in die Fußballwirtschaft – allerdings in die etablierten europäischen Ligen. In der saudischen Liga hat die neue Schere zwischen Arm und Reich schon zurückhaltende Kritik hervorgerufen. Dort gibt es auch andere, einflussreiche Männer, die in Vereine investiert haben, die jetzt womöglich von den PIF-geförderten Fußballklubs abgehängt werden.
Die saudische Fußballoffensive spiegelt ein gewachsenes Selbstbewusstsein in der Politik wider. Dort will Saudi-Arabien als vom Westen unabhängiger Akteur in einer multipolaren Welt ernst genommen werden. Auch im Weltfußball könnte sich die Machtbalance verschieben, wenn die saudische Liga ein Erfolg wird. Den umstrittenen Präsidenten des Fußball-Weltverbandes, Gianni Infantino, der über gute Kontakte an den Golf verfügt, dürfte das freuen, den Sitten im Fußballgeschäft eher schaden. Fehlentwicklungen des Geschäfts werden in Saudi-Arabien mit den neuen Megagehältern auf die Spitze getrieben. Aber die Regeln dieses Spiels und die Kommerzialisierung des Fußballs hat das Königreich nicht erfunden.
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