MENA Research & Study Center setzt die Reihe an europäischen Analysen der MENA-Region fort und hatte die Chance, mit Sara Nowacka, einer Analystin zum Thema arabische Staaten im Nahen Osten und dem Afrika-Programm am Polnischen Institut für Internationale Angelegenheiten (PISM) die aktuelle Lage zu diskutiereln. Das Gespräch führte Denys Kolesnyk, französische Berater und Analyst.
Frau Nowacka, was sind ihrer Meinung nach die wichtigsten geopolitischen Herausforderungen, mit denen der Nahe Osten heute konfrontiert ist?
Die Tatsache, dass wir mit dieser Frage beginnen, ist überhaupt nicht verwunderlich, denn die Geopolitik ist das Erste, was einem in den Sinn kommt, wenn wir über den Nahen Osten sprechen. Diesen Gedanken hat man aus einem guten Grund, da es in der Tat zahlreiche Herausforderungen gibt, von denen sich auch einige überschneiden. Die größte Herausforderung ist jedoch die Vielzahl an Akteuren. Es ist äußerst schwierig, auch nur eine Frage zu finden, bei welcher es die Chance auf einen gemeinsamen Konsens geben würde. Darüber hinaus überlappen sich auch mehrere Rivalitäten in der Region. In dieser Hinsicht würde ich zwei Blocks unterscheiden: den „counter-revolution bloc“, der 2011 nach dem Arabischen Frühling entstand und von dem Königreich Saudi-Arabien (KSA), den Vereinigten Arabischen Emiraten (VAE) und vielleicht auch zum damaligen Zeitpunkt von Ägypten getragen und orchestriert wurde. Auf der anderen Seite steht der Block aus beispielsweise Türkei und Katar. Innerhalb dieser Blocks unterstützen die Staaten entweder andere staatliche Akteure oder nichtstaatliche Akteure, je nach Ideologie oder Idee eines Systems, welchen ihrer Meinung nach der Nahe Osten folgen sollte. So sind Saudi-Arabien, Ägypten und die VAE in der Regel gegen die islamistischen Parteien und die pro-demokratischen Bewegungen in der Region.
Ein gutes Beispiel dafür war der jüngste sanfte Aufstieg von Präsident Kais Saied in Tunesien, der Unterstützung von den Akteuren aus den VAE und Ägypten erhalten hat, auch wenn diese inoffiziell erfolgte. Kurz bevor er die Macht im Land übernahm,, regierte die Ennahda-Partei in Tunesien. Diese Partei, eine islamistisch, wenn auch nicht ganz radikale Partei, wurde seitens Katar und der Türkei unterstützt.
Eine weitere Linie der Teilung ist der Iran und sämtliche Akteure, die sich gegen das Land wenden. Genauer: Saudi-Arabien und Israel sind gegen den Iran und iranische nicht-staatlichen Akteure, die politisch und finanziell, aber auch durch einschlägige Ausbildungen aus Teheran unterstützt werden. Diese Spaltung führt auch in erster Linie zu Konsequenzen im Yemen Konflikt. Auch im Libanon, der Heimat der Hisbollah, nehmen die Spannungen merklich zu, wobei die Bevölkerung immer aggressiver gegenüber Israel wird. Umgekehrt passiert das Gleiche natürlich auch auf der anderen Seite. Israel artikuliert mehr und mehr Missstände gegenüber dem Libanon. Diese Situation öffnet die Tür für angriffige Rhetorik, untergriffige Handlungen bzw. dem Brechen von Vereinbarungen, die zum letzten Krieg zwischen der Hisbollah und Israel führten.
Darüber hinaus gibt es globale Akteure und Rivalitäten, wie China, Russland, die USA und den Westen im Allgemeinen, die in der Region präsent sind. Sie unterstützen verschiedene lokale Länder im Rahmen der regionalen Rivalitäten, und nutzen diese, um ihre eigenen, größeren geopolitisches Ziele zu verfolgen.
So versuchen China und Russland beispielsweise die antidemokratische Front im Nahen Osten zu nutzen, um die Beziehungen zu den saudischen und ägyptischen Staatsoberhäuptern aufzubauen. Gleichzeitig sind diese Staatsoberhäupter daran interessiert ihre politischen Beziehungen zu diversifizieren, sich vom Westen zu distanzieren und zu versuchen, unabhängigere und gleichzeitig neutralere politische Akteure zu sehen. Diese Logik treibt sie näher an Russland und China heran.
Ich möchte betonen, dass die Geopolitik selbst eine sehr große Bedrohung für die Stabilität im Nahen Osten darstellt. Ich meine, da der regionale Staat und die nicht-staatlichen Akteure eher an geopolitischen Herausforderungen interessiert sind, werden sozioökonomische Probleme, die allgemein oft missachtet werden, durch diese Umstand überhaupt nicht berücksichtigt. Hier können wir wichtige demografische Herausforderungen, signifikante Arbeitslosenrate, Korruption und schlechte Regierungsführung erwähnen, die dadurch weitgehend ungestraft bleiben.
Lassen sie uns einen Blick auf die Türkei werfen, wo Erdoğan kürzlich wiedergewählt wurde. Dieses Land zusammen mit dem Iran und Russland war, ist und bleibt in Syrien engagiert. Könnten Sie Ihre Gedanken darüber teilen, wie die Wiederwahl Erdogans die Dynamik in Syrien beeinflussen könnte, vor allem angesichts der engeren Verbindungen zwischen Russland und dem Iran, angefeuert durch die russische Invasion in der Ukraine?
Ich denke, die wichtigste Dynamik dreht sich um die jüngste Aufnahme Syriens zurück in die Arabische Liga und die allgemeine Idee der Normalisierung mit Assad. Diese Entwicklung fällt auch mit einer gewissen Erwärmung zwischen Ankara und den arabischen Ländern zusammen. Nach dem Arabischen Frühling gab es die Rivalität zwischen der Türkei und dem Gegenrevolutionsblock, den ich vorher erwähnt habe. Doch vor kurzem fand eine gewisse Annäherung zwischen Saudi-Arabien, Ägypten und der Türkei statt. Höchstwahrscheinlich rücken aktuell die Agenden und Interessen dieser Akteure näher zusammen, und Syrien ist mit hoher Wahrscheinlichkeit eines dieser Themen. Aus meiner Sicht hat Erdoğan auch einige Vorschläge gemacht, die auf die Idee der Normalisierung der Beziehungen zu Assad in gewissem Maße hindeuten. Diese Absicht Erdogans liegt auf der Hand: Ankara will offenbar die Flüchtlinge im eigenen Land loswerden, die Pufferzone in Nord Syrien beibehalten und den Einfluss oder die Ausbreitung der kurdischen Akteure in Syrien eindämmen.
Darüber hinaus gibt es ein wachsendes Verständnis dafür, dass es keine Zukunft Syriens ohne Assad gibt, ob wir uns damit einverstanden erklären oder nicht. Wahrscheinlich kamen die meisten der Akteure im Nahen Osten mittlerweile auch zu dieser Erkentniss. Nun versuchen sie, durch die Beziehungen zu Assad einen Weg zu finden, ihre Interessen in Syrien voranzutreiben.
Und der Iran sollte triomphant sein, nicht wahr?
Der Iran war das erste Land, das Assad unterstützte. Der Iran und Syrien haben eine langjährige Beziehung, die auf die Zeit vor Baschar al-Assad zurückgeht, etwa Verbindungen zur Hisbollah und dem syrischen Regime von Bashar’s Vater, Hafez al-Assad. Für Teheran stellt die Beziehung zu Syrien eine Kontinuität seiner Politik dar.
Der bisherige Ansatz der regionalen Mächte, Assad zu isolieren, funktioniert nicht mehr. Daher besteht ein wachsender Bedarf, mit ihm zusammenzuarbeiten und zu versuchen, den iranischen Einfluss in der Region zu reduzieren, und sich durch diese Zusammenarbeit als greifbare politische und bilaterale Alternative zu präsentieren. Mit anderen Worten: Die Frage ist, ob diese geplante Annäherung an Assad funktionieren wird oder nicht. Meiner Einschätzung nach wird es das wahrscheinlich nicht, auch wenn es schwierig ist, etwas vorherzusagen, speziell wenn es um den Nahen Osten geht.
Es ist jedoch klar, dass Syrien nicht zu einem starken Akteur werden wird, der in der regionalen Dynamik, wie vor 2011, ein Mitspracherecht hat. Unabhängig davon, ob der Iran seinen starken Einfluss in Syrien bewahren können wird, Syrien wird wohl ein verwüstener Staat bleiben, und dies, nach aktuellem Stand der Dinge wohl für eine lange Zeit.
Die russische Invasion in der Ukraine hat den euro-atlantischen Raum drastisch umgestaltet und verschiedene Staaten rund um den Globus bis zu einem gewissen Grad beeinflusst. Aber hat die Invasion auch Einfluss auf die regionale Dynamik des Nahen Ostens?
Die kurze Antwort ist ja. Der wichtigste Einfluss auf die Region war das, was wir alle global zu spüren bekamen, nämlich die Wirtschaft. Vor allem im Nahen Osten waren die wirtschaftlichen Veränderungen deutlich zu spüren, da die meisten Staaten in der Region nicht gut wirtschaften, außer den GCC-Staaten natürlich.
Aber selbst reiche Golfstaaten haben gewisse Verwundbarkeiten. Eine dieser Verwundbarkeiten ist die Lebensmittelversorgung. Der rasante Anstieg der Getreidepreise war vor allem in Ägypten, im Libanon und in Jordanien zu spüren, wo das finanzielle Wohlergehen der Bevölkerung bereits, ich würde sagen, desaströs ist.
Was die politischen Auswirkungen betrifft, so gab es bereits bestimmte Tendenzen, die die russische Aggression gegen die Ukraine in der Region verschärften. Zum Beispiel, und wir haben es bereits kurz darüber gesprochen, gibt es den Willen der regionalen Mächten die politischen Beziehungen neu zu diversifizieren. Sie sollen so diversifiziert werden, um die Abhängigkeit von den USA und dem Westen im Allgemeinen zu verringern, sowie die eigenen Agenden, meist antidemokratische, zu platzieren. Die russische Invasion in der Ukraine gab jenen Staaten eine solche Gelegenheit. In diese komplexe Lage kommen die Chinesen und deren Ansatz einer Etablierung einer multipolaren Welt hinzu. Bestimmte MENA-Länder unterstützen diesen Ansatz und sehen sich als wichtige Akteure in eben jenem Weltbild.
Mohammed bin Salman etwa sieht Saudi-Arabien als ein Land, das das Potenzial hat, einer der weltweit führenden und einflussreichsten politischen Akteure zu werden, vor allem aufgrund seiner Rolle auf den Ölmärkten. Bin Salman versuchte daher die neue Dynamik, verursacht durch den Ukrainekonflikt für sich zu nutzen. Die Saudis entwickelten ein Gespür für ihre globale Bedeutung und den Einfluss auf den globalen Ölmarkt.
Saudi-Arabien versucht nun, sich von der Partnerschaft mit den USA zu lösen, einer Partnerschaft, die seit vielen Jahren als selbstverständlich angesehen wurde. Saudi-Arabien setzte bereits die ersten symbolischen Schritte dieser beabsichtigten Trennung, etwa durch das OPEC-Abkommen, die Kürzungen der Ölförderung, aber auch durch eigene politische und symbolische Gesten. Zum Beispiel hatte Mohammed bin Salman keine besondere Sehnsucht danach den US Präsidenten Biden zu treffen. Als es schließlich zu dem Treffen kam, war die Stimmung sichtlich kühl und es konnten keine nennenswerte positive Ergebnisse erzielt werden. Der Westen stellte bestimmte Forderungen, von welchen der Großteil jedoch unerfüllt blieb.
Ein weiterer interessanter Aspekt ist, dass nicht nur der Westen versucht, Einfluss auf die Ereignisse in kleineren Ländern zu nehmen, sondern auch, dass wir bestimmte Informationskampagnen der Saudis miterlebt haben. Wenn wir zum Beispiel das saudische Segment von Twitter betrachten, finden wir zahlreiche Konten, die meisten von ihnen Bots, die unterschiedliche prorussische und manchmal pro-chinesische Narrative verbreiten. Riyadh will sich meiner Meinung nach auch in diesem Bereich als selbstbewusstere und einflussreicher Player etablieren.
Muhammad bin Salman nutzt diese virtuelle Plattform, um sein Image unter der arabischen Bevölkerung zu stärken, um die arabische Jugend, die bereits skeptisch gegenüber dem Westen eingestellt ist, hinter Saudi-Arabien als künftigen Führer der Region zu vereinen. Saudi-Arabien will sic hals ein Land positionieren, das nicht nur unabhängig sein kann, sondern sogar versucht, die Politik im Westen zu beeinflussen. Es gibt mehrere Initiativen aus Saudi-Arabien mit dem Ziel, die Republikanische Partei in den USA zu unterstützen, und offensichtlich Trump, als deren aussichtsreichsten Kandidaten. Der Unterschied zu früheren Unterstützungskampagnen ist, dass Saudi-Arabien sie diesmal nicht versteckt. Dieses Phänomen Saudi-Arabiens, das die Innenpolitik in den Vereinigten Staaten beeinflussen will, ist etwas Neues.
Darüber hinaus gab es einige Berichte und Meldungen, die andeuten, dass Ägypten beabsichtigte Russland militärisch zu unterstützen. Obwohl es nicht geschehen ist, erteilte Kairo russischen Flugzeugen Überflugsgenehmigungen und der russischen Armee für deren Kampfeinsatz in der Ukraine Waffen zu liefern. Das war nicht unbedingt etwas Neues, aber ich denke, die Länder des Nahen Ostens wurden mutiger in der Art und Weise, wie sie ihre Skepsis gegenüber dem Westen zum Ausdruck bringen.
Und die Absicht sich zu einem gewissen Grad mit Russland zu verbünden scheint aufzugehen?
Bis zu einem gewissen Grad, ja. Ich glaube nicht, dass das Ziel der arabischen Länder darin besteht, wirklich enge Partner mit Russland zu werden, da dieses Land kein attraktiver Partner ist. Es gibt nicht so viele finanzielle Anreize, die aus einer Zusammenarbeit mit Moskau erwachsen, weil Russland wirtschaftlich nicht stark ist. Russland führt keine nennenswerten Entwicklungshilfeprojekte durch, noch hat es einen Input in den Megaprojekten, die Ägypten, Saudi-Arabien oder die VAE umsetzen oder beabsichtigen umzusetzen, wie etwa, Neom-City oder New Kairo. Russland bleibt ein wichtiges Land für die arabischen Länder aus politischen Gründen. Durch die Zusammenarbeit mit Moskau können sie ihre eigenen Partner wählen, und sind nicht mehr so abhängig vom Westen. Mit anderen Worten, sie wollen nicht mehr als Gegenstand internationaler Beziehungen behandelt werden, sondern eher als ein außenpolitisches Thema und erkennen den wachsenden globalen Wettbewerb als Chance für sich selbst.
Ich verstehe die Logik. Die regionalen Mächte wollen ihren Platz unter der Sonne einnehmen und auch verteidigen. Geht die Reintegration von Assads Syrien in die Arabische Liga in die gleiche Richtung? Was sind die möglichen Auswirkungen dieser Entscheidung für die Region?
Der erste arabische Staat, der die Idee der Zusammenarbeit mit Assad ins Leben rief, waren die VAE. Der erste konkrete Schritt in diese Richtung war die Wiedereröffnung der dortigen Botschaft, die den Prozess der bilateralen Normalisierung mit Assad einleitete. Der entscheidende Faktor, der die Normalisierung mit Assad beeinflusst, war jedoch offensichtlich Russland und seine Unterstützung gegenüber dem Regime in Damaskus. Ohne diese Unterstützung wäre Assad höchstwahrscheinlich gestürzt worden. Das Überleben des syrischen Regimes, das durch die russische Intervention überhaupt erst ermöglicht wurde, verschob den Verlauf der Ereignisse, denn vor der russischen Militärintervention unterstützten fast alle arabischen Länder die syrische Opposition.
Es gab keine Ausnahme bei der Entscheidung, dass Syrien ohne Assad als Staatsoberhaupt wieder in der Arabischen Liga aufgenommen werden kann, da das Ausmaß an begangenen Kriegsverbrechen selbst für autoritäre Führer wie König Salman zu groß war. Aber die Verständigung kam, dass es zu schwierig wird, dem Assad-Regime ein Ende zu setzen, vor allem angesichts der russischen Unterstützung und des Mangels an greifbaren US Reaktionen auf das Überschreiten der berüchtigten „roten Linie“ – wie etwa durch den Einsatz von Chemiewaffen seitens Assad. Es wurde zu offensichtlich, dass die USA sich nicht ernsthaft in Syrien engagieren wollen.
Daher waren die VAE der erste Akteur, der eine Idee präsentierte, dass es an der Zeit sei zuzugeben, dass man Assad halten müsse. Es sei wichtig, mit Assad zusammenzuarbeiten, um seine Agenda im Hinblick auf die eigenen Interessen in Syrien zu verwirklichen, da es keinen Sinn für weitere Isolation und Sanktionen gibt, die unter dem Strich der Gesamtlage mehr schaden als nützen und die Flüchtlinge daran hindern, wieder nach Syrien zurückzukehren. Weitere regionale Staatsoberhäupter folgten dem gleichen Ansatz und unterstützten diesen.
Diese Frage ist für den Libanon, in dem über eine Million syrischer Flüchtlinge aufhältig sind und derzeit fast 20% der Bevölkerung ausmachen, von größter Bedeutung, da sich das Land selbst in einer gewaltigen Krise befindet. Weitere Millionen syrischer Flüchtlinge leben in Jordanien und auch diesem Land geht es wirtschaftlich nicht gut. Aus der Sicht dieser Länder wird deutlich, dass die Priorität darin besteht, Syrien so weit zu stabilisieren, dass sie die Flüchtlinge ohne große Kontroversen aus ihren Ländern nach Syrien rückführen können. Natürlich gibt es da noch die Türkei als Akteur, die jedoch auch nicht gegen die Normalisierung mit Assad ist, da Ankara auch die Flüchtlinge im Land loswerden will.
Ein weiterer Treiber hinter der Normalisierungslogik ist das exponentielle Wachstum des Drogenschmuggels in der Region, der vor allem in den Jahren 2016-2017 in die Höhe schoss. Der Hauptproduzent und Hauptschmuggler dieser Drogen ist kein anderer, als Assad und seine Familie selbst, die im Großen und Ganzen vertretend für die syrischen Eliten aggieren. Ein weiteres bedeutendes Problem für die an Syrien grenzenden Regionalstaaten ist daher der Zustrom von Drogen. Da diese Staaten politisch und finanziell instabil sind, haben sie nicht genug Werkzeuge, um dem Schmuggel und dem wachsenden Drogenkonsum zu begegnen.
Doch als die Drogen Saudi-Arabien erreichten, wo sie vor allem unter Jugendlichen zu einem erheblichen Problem führten, empfand Mohammed bin Salman zu Recht es als einen Faktor, der die Stabilität seines Landes beeinflussen kann. Angesichts der Tatsache, dass er Werkzeuge und Einfluss hat, trat Saudi-Arabien als einziger Akteur auf, der effektiv auf die allgemeine Ordnung im Nahen Osten Einfluss nehmen kann. Aus diesem Grund ging Saudi-Arabien mit der Entscheidung, Syrien wieder in die Arabische Liga aufzunehmen in die Offensive.
Offen gesagt, bleibe ich skeptisch gegenüber dieser Entscheidung, wenn es darum geht, eine wirkliche Veränderung in der syrischen Situation herbeizuführen, weil das Drogenproblem nicht etwas Neues ist. Wir können es bis zum Bürgerkrieg im Libanon zurückverfolgen, und die Assad-Familie profitierte auch damals schon vom Drogenschmuggel und der Drogenproduktion.
Ein weiterer Aspekt dieser Normalisierung ist die Hoffnung, dass dieser Schritt auch dazu beitragen wird, die iranische Einflussnahme in Syrien nicht zu verringern, sondern zu einzudämmen. Hier können die arabischen Staatsoberhäupter sogar im Westen um Hilfe ansuchen. Die Plausibilität eines solchen Szenarios bleibt jedoch ungewiss, denn die Unterstützung aus Teheran hat für Assad existenzielle Bedeutung. Die Iraner halfen ihm sich an der Macht zu halten, politisch zu überleben, und sie tun es nach wie vor. Viele paramilitärische Akteure haben mehr Vertrauen gegenüber dem Iran oder den eigenen kleinen Kommandeuren als gegenüber Assad.
Die Drogenproduktion und der Drogenschmuggel werden weiterhin hoch auf Assads Agenda stehen, da es ihm dabei hilft, ein Druckmittel gegenüber den anderen arabischen Staaten zu haben. Dies könnte ihm auch dabei helfen, für viele europäische Staats- und Regierungschefs die gleiche Perspektive zu schaffen. Angesichts der Tatsache, dass bestimmte EU-Länder, beispielsweise Ungarn und Italien, bereits über die Normalisierung mit Assad nachdenken, weil sie in erster Linie gegen die Aufnahme weiterer Flüchtlinge in Europa sind, scheint Assads Strategie aufzugehen.
Apropos europäische Länder: Welcher Raum in der MENA-Region ist für die polnische Außenpolitik von Bedeutung und wer sind die wichtigsten Partner für Ihr Land?
Um es kurz zu machen: Die MENA-Region nimmt nicht die zentrale Priorität in der polnischen Außenpolitik. Die wichtigsten Orte für uns sind natürlich unsere unmittelbaren Nachbarn, also unsere Partner in Ost-und Westeuropa.
Doch in den vergangenen fünf Jahren wuchs die Bedeutung der MENA-Region. In erster Linie deshalb, weil die polnische Regierung unsere Energieimporte von Russland diversifizieren will. Die wichtigsten potenziellen Alternativen in diesem Bereich sind nun einmal Saudi-Arabien und Katar.
Nach unseren Statistiken für das letzte Jahr verhielt sich das Wachstum an saudischem Öl auf dem globalen Markt extrem dynamisch. Darüber hinaus haben wir schon vor fast zwei Jahren ein Abkommen mit Aramco über die Verwendung unserer Raffinerien unterzeichnet. Es besteht kein Zweifel daran, dass Saudi-Arabien in der polnischen Wirtschaftslandschaft zukünftig viel präsenter sein wird.
Es gibt auch das wachsende Verständnis in Polen, dass wir unsere Wirtschaftsbeziehungen diversifizieren müssen, indem wir versuchen, mehr nach Osten und nach Süden zu schauen. Diese Erkenntniss ist auf die allgemeine Dynamik in der Wirtschaftslage in der Welt zurückzuführen. Die sogenannten Globalen Süd-Länder und die arabischen Staaten sind die Schwellenländer und es gibt immer mehr Möglichkeiten für unser Geschäft in diesem Raum.
Aber nicht nur die polnischen Wirtschaft zeigt ein wachsendes Interesse an der Region, sondern unsere Politiker verstehen auch, dass wir diese Chancen nicht einfach ignorieren können. Verschiedene polnische Minister äußerten ihren Wunsch, engere wirtschaftliche Partnerschaften mit arabischen Ländern und afrikanischen Ländern einzugehen. Ich denke, dass mit unseren Beziehungen zu Ägypten und Saudi-Arabien ein Beispiel gesetzt wurde.
Die russische Aggression gegen die Ukraine half auch den polnischen Politikern zu verstehen, dass es ein Wahrnehmungsproblem im Zusammenhang mit diesem Konflikt gibt. Wir lagen mit unseren Erwartungen gegenüber den Ländern des Nahen Ostens und Afrikas falsch, indem wir dachten, dass sie eher zum Westen tendieren würden. Leider ist dies jedoch nicht eingetreten.
Diese Realität hat unsere politischen Eliten dazu gedrängt, nicht nur wirtschaftlich oder energiepolitisch, sondern auch politisch und diplomatisch stärker in diese Regionen einbezogen zu werden. Wir sehen, dass es den Mangel an Vertrauen in Bezug auf den Westen gibt, es gibt eine wachsende Skepsis, und diese Länder sehen leider die russische Invasion der Ukraine, sowie durch die Erfahrungen, die die MENA-Länder zum Beispiel mit der US-Invasion im Irak hatten als Exemplarisch für das fehlende US Engagement in der Region.
Mittlerweile gibt es ein Verständnis und eine Einigung unter den polnischen Eliten, dass diese Situation durch diplomatische Beziehungen angegangen werden muss. Die Intensivierung dieser Bemühungen kann durch die wachsende Zahl von Besuchen und Treffen zwischen den polnischen und den MENA-Politikern und Diplomaten gesehen werden.
Daher ist eines der Ziele der polnischen Außenpolitik im Moment ein Versuch, diese Wahrnehmung des Westens als jener Akteur zu verändern, der nur danach strebt, seine Hegemonie durchzusetzen, und das mit zweierlei Maß tut. Leider ist diese Wahrnehmung und das Empfinden gegenüber dem Westen ein wichtiges Thema für die betroffenen Länder, wenn wir die Presse im Nahen Osten lesen. Die Enttäuschung wurde vor allem zu Beginn der russischen Invasion der Ukraine im Februar 2022 sichtbar, die sich in vielen negativen Kommentare gegen den Westen äußerte.
Solche Kommentare betrafen zum Beispiel den empfundenen „doppelten Standard“ -Ansatz der westlichen Länder in Bezug auf ukrainische und mittelosteuropäische Flüchtlinge. Hier werden auch die Missstände in Bezug auf ein empfundes geringes Interesse an den Konflikten in der MENA-Region hinzugefügt, während es in der Ukraine eine Menge europäischer politischer Einheit gibt.
Ich denke, dass unsere politischen Eliten dieses Problem verstehen, und es gibt einen politischen Willen, einen Versuch zu unternehmen, das Wohlergehen der arabischen Bevölkerung durch bestimmte Initiativen zu verbessern, etwa dem Ziel, mehr Vertrauen und Verbindungen aufzubauen. Es ist erwähnenswert, dass Russland ziemlich effektiv darin ist, vor allem, wenn es darum geht, sich selbst als anti-westlicher, antiimperialer Akteur zu etablieren, und diese Nachrichtenübermittlung funktioniert leider auch in der MENA-Region. Auch wenn wir wissen, dass es nicht wahr ist, müssen wi runs eingestehen, dass es anderswo eine andere Wahrnehmung gibt.
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