Eine Schweizerin wirft einem der Chefideologen der Muslimbruderschaft, Tariq Ramadan vor, sie sexuell missbraucht zu haben. Der Vorfall liegt über zehn Jahre zurück, die Anzeige erfolgte vor fünf Jahren. Letzte Woche begann der Prozess gegen den einstigen Superstar des politischen Islamismus in Europa. Der Prozess in Genf ist bereits der fünfte, in dem Ramadan sich wegen Vergewaltigung vor Gericht verantworten muss. In Frankreich laufen bereits vier Verfahren gegen ihn.
Vier Frauen in Frankreich und eine 57-jährige, in ihrer Jugend zum Islam konvertierte Frau in der Schweiz beschuldigen den 61-Jährigen, sie wiederholt misshandelt, geschlagen und vergewaltigt zu haben. Zu Beginn der Ermittlungen hatten seine Fans Kampagnen für ihn durchgeführt und die mutmasslichen Opfer bedroht. Eine der Betroffenen sagt: „Er hat unser Leben zerstört.“
Der Fall in der Schweiz ist von besonderer Tragweite, da vermutet wird, dass es neben der Klägerin weitere Opfer gibt, die aus Angst vor Repressalien durch Ramadans Anhänger schweigen. Die Anschuldigungen reichen in die Zeit zurück, als er einen Lehrauftrag in der Schweiz innehatte. Laut der „Tribune de Genève“ versuchte Ramadan damals erfolglos, eine seiner 14-jährigen Schülerinnen zu verführen, hätte aber bei drei anderen Schülerinnen (15 und 18 Jahre alt) Erfolg gehabt.
Die Genfer Regierung hatte Ermittlungen zu Ramadans Fehlverhalten eingeleitet und einen vernichtenden Bericht veröffentlicht. Lange hatte Ramadan die Vorwürfe bestritten und von einer rassistischen und islamophoben Verschwörung gesprochen. Doch am 12. Juli 2022 entschied die Pariser Staatsanwaltschaft, dass die Beweislage ausreicht, um ein Verfahren einzuleiten.
Die Genfer Staatsanwaltschaft hat am in ihrem Schlussplädoyer eine dreijährige Haftstrafe, davon 18 Monate unbedingt, für Tariq Ramadan gefordert, er selber plädiert auf Freispruch. Laut Anklage wiegt die Schuld von Tariq Ramadan schwer. Er habe seine Aura ausgenutzt, um sein Opfer zu missbrauchen und habe die Klägerin wie ein Objekt behandelt, sagte der Vertreter der Staatsanwaltschaft.
In der Anklageschrift betonte die Staatsanwaltschaft, dass die Aussagen der Klägerin, einer 57-jährigen Frau, die zum Islam konvertiert war, während des gesamten Verfahrens beständig waren. Die Staatsanwaltschaft unterstrich die Glaubwürdigkeit der Aussagen der Frau.
2017 war Ramadan am Höhepunkt seiner Karriere, als das Emirat Katar ihn als Professor für Contemporary Islamic Studies an der Universität Oxford in Grossbritannien installierte. Politiker wie Tony Blair und David Cameron hatten ihn zur Bekämpfung des islamistischen Extremismus engagiert, etwas paradox, wenn man den ideologischen Hintergrund der Muslimbruderschaft betrachtet.
Vor rund 100 Jahren gründete der ägyptische Lehrer Hassan al-Banna, Tariq Ramadans Grossvater, die islamistische Muslimbruderschaft, deren Ziel die Errichtung eines Gottesstaates ist. Terrornetzwerken wie Al Kaida, Islamischer Staat, Boko Haram, Hamas und vielen anderen mehr dient die Ideologie der Organisation als Vorlage. Al-Banna wurde in Ägypten hingerichtet, sein Sekretär und Schwiegersohn Saïd Ramadan, der Vater von Tariq, liess sich 1958 in Genf nieder. Von Saudi-Arabien fürstlich bezahlt, hatte er den Auftrag, einen politischen Islam in Europa und Amerika zu implementieren. 1961 gründete er mit saudischen Geldern das Genfer Islamzentrum, das heute von Tariqs Sohn, Hani Ramadan, geleitet wird.
Damit war die Saat für viele heutige Probleme mit dem politischen Islam in Europa gelegt. Jahrelang unterstützte Katar Tariq Ramadan monatlich mit 35.000 Euro. Noch ist die Politik in Europa zögerlich, wenn es um die Muslimbruderschaft und ihre Vertreter geht. Ihre Financiers treten als Investoren auf, mit denen man es sich nicht verscherzen will. Wie auch immer das Urteil am 24. Mai in Genf ausfallen wird, es wird hoffentlich eine Diskussion auslösen, welche Rolle der politische Islam in einer demokratischen Gesellschaft spielen soll.
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