In Deutschland wächst der Druck auf die politischen Entscheider, die extremistische türkische Gruppierung der „Grauen Wölfe“ endlich zu verbieten.
Zuletzt machte ein Gerichtsurteil in Köln Aufsehen, in dem zwei Mitglieder der „Ülkücü“-Bewegung, so der türkische Name der Nationalisten, gegen ihren Waffenentzug durch die deutsche Behörden klagten. Die 20. Kammer des Verwaltungsgerichts verwarf den Eilantrag der beiden Extremisten aus Bonn. Zuvor hatte das Polizeipräsidium Bonn für die Sportschützen die waffenrechtliche Erlaubnis widerrufen. Sie gelten als waffenrechtlich unzuverlässig, weil sie der als rechtsextremistisch eingestuften „Ülkücü“-Bewegung – den sogenannten Grauen Wölfen – angehören. Flankiert wurde dies mit Erkenntnissen aus der Beobachtung durch deutsche Sicherheitsbehörden.
Das Gericht befasste sich ausführlich mit Erkenntnissen über die „Ülkücü“-Bewegung, zumal die Betroffenen ihre Mitgliedschaft nicht leugnen. Auf Fotos zeigte einer von ihnen mit der Hand das charakteristische Wolfszeichen. Er war auch anwesend bei einer Vorstandssitzung der „Föderation der Türkisch-Demokratischen Idealistenvereine in Deutschland e.V.“, kurz ADÜTDF. Diese Organisation gilt als größter „Ülkücü“-Dachverband in Deutschland. Nach Darstellung des Verfassungsschutzes vertritt dieser die Interessen der extrem nationalistischen türkischen „Partei der Nationalistischen Bewegung“ (MHP). Dem ADÜTDF sind in Deutschland etwa 160 lokale Vereine mit 7000 Mitgliedern angeschlossen. Zwei kleinere „Ülkücü“-Dachverbände binden weitere Vereine mit etwa 3400 Mitgliedern.
Aber es sind nicht nur Gerichte und die deutsche Politik, die sich mit den Grauen Wölfen aktuell wieder befassen.Der frühere deutsche Fußballnationalspieler Mesut Özil, ein populäres Role Model in der Community der Deutsch-Türken, scheint ein Anhänger der Bewegung zu sein. Der ehemalige deutsche Nationalspieler hat seine Karriere im vergangenen März beendet und hält sich nun mit seinem persönlichen Trainer fit. Der 34-Jährige, der in seiner Karriere 92 Länderspiele für Deutschland bestritt, trägt auf der linken Brust über dem Herzen jetzt eine Tätowierung, welche die Symbole der Grauen Wölfe zeigt. Sein Fitnesstrainer postete auf Instagram ein Foto von sich und Özil, auf dem die Tätowierung zu sehen ist. Der Trainer wollte dazu keinen Kommentar abgeben. Die Tätowierung zeigt zudem drei Halbmonde, die auf das Logo der rechtsnationalistischen Partei MHP verweisen. Sie ist Teil der Regierungskoalition von Präsident Recep Tayyip Erdogan.
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Özil war in den vergangenen Jahren immer wieder durch seine Nähe zu Erdogan aufgefallen. Vor der Weltmeisterschaft 2018 in Russland ließ sich der in Gelsenkirchen geborene Fußballstar gemeinsam mit dem türkischen Präsidenten ablichten. Das Foto fiel in die Phase kurz vor dem Turnier und der anstehenden Präsidentschaftswahl in der Türkei. Özils Verhalten und seine Parteinahme für Erdogan löste eine Debatte über Integration in Deutschland aus. Der Fußballer selbst war 2010 mit dem Bambi für Integration ausgezeichnet worden.
Özil, der Sohn türkischer Eltern, hatte sich mit 18 für eine Laufbahn in der deutschen Nationalmannschaft und für die deutsche Staatsangehörigkeit entschieden. Nach der breiten Kritik an seiner Beziehung zu Präsident Erdogan und den Leistungen in der Nationalelf trat Özil im Juli 2018 als Nationalspieler zurück. In seiner Erklärung begründete Özil seine Entscheidung damals mit „Rassismus und fehlendem Respekt“, den er in Deutschland verspüre.
In der Türkei ist das Erkennungszeichen der Gruppe, der Wolfsgruß, Teil des politischen Mainstreams. Er ist häufig bei Veranstaltungen Erdogans zu sehen, auch Oppositionsführer Kemal Kiliçdaroglu hat ihn schon gezeigt. Die Ülkücü wurden in den 1960er Jahren als paramilitärische Gruppe von Alparslan Türkeş gegründet, der auch die MHP gegründet hat und 1960 am damaligen Militärputsch beteiligt war. Die Kommandotrupps der Grauen Wölfe verübten seinerzeit blutige Übergriffe gegen Sozialisten, Gewerkschaftler und linke Studentenführer.
Wie es nun mit einem landesweiten Organisationsverbot aussieht, bleibt unklar. Die deutsche Bundesregierung bestätigte in einer Antwort auf eine Anfrage im Parlament, dass die „Ülkücü“-Bewegung Teil eines Netzwerks von Organisationen sei, „auf und über welche die derzeitige türkische Regierung Einflussnahme betreibt“. Der Bundesregierung lägen Informationen zu einzelnen „Ülkücü“-Anhängern und türkischen Nationalisten vor, die sich in der Vergangenheit öffentlich als „Soldaten Erdogans“ bezeichnet hätten.
Eine Sprecherin des Bundesinnenministeriums erklärte, die Bundesregierung äußere sich generell nicht zu Verbotsüberlegungen – „unabhängig davon, ob zu solchen Überlegungen im Einzelfall Anlass besteht“. „Ansonsten bestünde die Gefahr, dass potenziell Betroffene ihr Verhalten danach ausrichten und dadurch die Wirksamkeit operativer behördlicher Maßnahmen beeinträchtigt oder diese vereitelt werden könnten.“ Der CDU-Bundestagsabgeordnete Christoph de Vries hat hingegen den Eindruck, dass offenbar nur wenig passiert ist. „Substanzielle Fortschritte in der Prüfung des Organisationsverbots hat es nach meiner Kenntnis bislang nicht gegeben, was auch damit zu tun hat, dass Vereinsaktivitäten in der Corona-Zeit wie überall zum Erliegen gekommen sind“.
Ein Vereinsverbot müsse rechtlich immer wasserdicht und dürfe vor Gericht nicht angreifbar sein. „Aber wir erwarten, dass das Verbotsverfahren durch die Bundesinnenministerin auch mit der gebotenen Ernsthaftigkeit und Konsequenz inklusive des dafür erforderlichen Ressourceneinsatzes betrieben wird“, mahnte de Vries.
Die „Grauen Wölfe“ in ihrer Gesamtstruktur seien „die größte rechtsextremistische Organisation in Deutschland und mit ihrem ultranationalistischen, rassistischen und antisemitischem Weltbild eine Gefahr für unsere liberale Demokratie“. Parlamentarier de Vries erwähnt „die zunehmenden Verflechtungen zwischen den Grauen Wölfen und der türkischen AKP beziehungsweise Präsident Erdogan“. Die zeige, dass „hier dringend Handlungsbedarf“ bestehe. „Die Verbotsforderung des Parlaments ist damit aktueller denn je, und das Bundesinnenministerium ist gut beraten, den parteiübergreifend erklärten Willen des Bundestags ernst zu nehmen.“
Die Grünen-Abgeordnete und Islamwissenschaftlerin Lamya Kaddor formulierte es eindeutig: „Ein Verbot der Ülkücü-Bewegung als eine der größten, nationalistisch-rechtsextremistischen Bewegungen in Deutschland wäre aus meiner Sicht konsequent und richtig.“ Kaddor verweist darauf, dass der deutsche Verfassungsschutz die „Ülkücü“-Bewegung als Ganzes dem Bereich auslandsbezogener Extremismus zuordne.
Nach Auffassung von FDP-Innenexpertin Linda Teuteberg erfordere die antisemitische, rassistische und illiberale Ideologie der „Grauen Wölfe“ eine „klare Antwort des wehrhaften freiheitlichen Rechtsstaates“. Sie erwarte, „dass die Bundesinnenministerin ernsthaft prüft, ob und wie ein Verbot der mit den ,Grauen Wölfen‘ verbundenen Vereine sich gerichtsfest durchsetzen lässt“. Beim entschiedenen Vorgehen gegen jede Bedrohung der freiheitlich-demokratischen Grundordnung dürfe „es keinen kulturellen Rabatt geben“.
Teuteberg warnt zudem davor, dass die Bewegung „die deutsche Gesellschaft und Politik insbesondere durch legalistische Vereinigungen und Aktivitäten gezielt zu beeinflussen versucht“. Wer mit der menschenverachtenden Ideologie der „Grauen Wölfe“ sympathisiere oder sie aktiv verbreite, „kann weder für Integration noch im interreligiösen Dialog Gesprächspartner des demokratischen Rechtsstaates sein“.
Es bleibt zu fragen, ob die politischen Bekenntnisse der deutschen Parteien zu rechtsstaatlichen Konsequenzen führen. Denn immer wieder werden Politiker, nicht nur in Deutschland, sondern auch in Ländern wie Österreich oder Frankreich, auf Veranstaltungen türkischer Verbände gesehen, die mit der extremistischen Bewegung zumindest sympathisieren. Kritiker dieses Verhaltens sehen darin eine Anbiederung an die türkische Community für Wählerstimmen und Unterstützung. Auch müsste sich der weltweit größte Fußballverband, der deutsche DFB, in einem Statement äussern. Auch er hat Einfluss auf die türkische Community in Deutschland durch die vielen Fußball-Vereine, die ebenso Mitglied des Sportverbandes sind. Ein klares Zeichen von allen Seiten, von Politik und Sport, ist dringend notwendig.
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