Angesichts der jüngsten Entwicklungen wie den Wahlen in der Türkei, der Wiedereingliederung Syriens in die Arabische Liga, sowie des wachsenden Ehrgeizes der wichtigsten Akteure in der Region des Nahen Ostens und Nordafrikas (MENA), ihren Einfluss und ihr globales Ansehen zu stärken, ist es von entscheidender Bedeutung, die französische Perspektive und Herangehensweise in dieser wichtigen Region zu verstehen. Denys Kolesnyk, ein französischer Berater und Analyst, diskutierte mit Emmanuel Dupuy, einem französischen Berater und Präsidenten des Institute for European Perspective &; Security (IPSE), die regionalen Entwicklungen und die französische Politik in Bezug auf die MENA – Region.
Herr Dupuy, wie würden Sie die Dynamik im Nahen Osten und Nordafrika sowie die Herangehensweise Frankreichs an diese wichtige Region beschreiben?
In erster Linie ist es wichtig zu betonen, dass die Region des Nahen Ostens und Nordafrikas (MENA) aus zwei verschiedenen Regionen besteht: dem Maghreb und Mashriq. Diese beiden Regionen haben aus zwei Hauptgründen eine unterschiedliche Dynamik. Zum Einen befinden sie sich auf unterschiedlichen Kontinenten, zum Anderen sind die Akteure in den einzelnen Regionen unterschiedlich.
Ausgehend von der östlichen Seite und mit Schwerpunkt auf Frankreich ist es bemerkenswert, dass Paris im Vergleich zu den Ländern des Nahen Ostens stärkere Beziehungen zu Nordafrika unterhält. Es ist wichtig zu erkennen, dass der Nahe Osten in der französischen Außenpolitik keine zentrale Rolle spielt. Man kann sogar sagen, dass die Region aus der Perspektive der französischen Außenpolitik an den Rand gedrängt wurde. Auch wenn dies in der Vergangenheit nicht der Fall war, ist es in relativ kurzer Zeit so geworden.
Bei der Betrachtung der Levante, dem Mashriq und dessen Länder, mit welchen Frankreich bedeutende Beziehungen unterhalten sollte, kommen historische Faktoren und verschiedene Verträge, darunter das Sykes – Picot – Abkommen und das französisch – britische Abkommen von 1920, ins Spiel. Um ein umfassendes Verständnis für die Region und Einfluss in Ländern wie etwa Syrien und dem Libanon zu haben, ist es wichtig, dass Frankreich eine politisch gewichtige Stimme hat. Beispielsweise können wir das Abkommen über Handel und technische Zusammenarbeit zwischen der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft und dem Libanon von 1968 als einen wichtigen Aspekt erwähnen, den es zu berücksichtigen gilt.
Leider sind wir (Anm.: damit ist Frankreich gemeint) nicht der größte Akteur, wenn es um die Bekämpfung von ISIS in der Region geht. Wir waren nur ein Teil der Koalition, angeführt von den USA, dem Königreich Saudi – Arabien auf der einen Seite und den Golfstaaten auf der anderen Seite. Wir hatten eine Außenmission namens SHAMAL, die aus über 1.500 Soldaten bestand, die in Syrien und im Irak, einschließlich Mossul, gegen die Islamisten des IS kämpften. Trotz allem waren wir allerdings nur ein Juniorpartner innerhalb der Koalition.
In Bezug auf den Libanon hat Präsident Macron nach der Explosion im Hafen von Beirut im August 2020, die schwerwiegende wirtschaftliche und finanzielle Folgen hatte, deutlich die volle Unterstützung Frankreichs zum Ausdruck gebracht. Frankreich gab jedoch mutige Erklärungen ab, hielt aber die versprochene Hilfe nicht ein.
Im Hinblick auf die Stabilisierung des Israel – Palästina – Konflikts setzte sich Frankreich konsequent für eine Zwei – Staaten – Lösung ein. Paris drängte jedoch nicht konsequent genug auf diese Resolution.
Was den Iran betrifft, so gab es einige Entwicklungen; Frankreich war jedoch nicht aktiv beteiligt. Die Vermittlung zwischen Saudi – Arabien und dem Iran wurde unter der Schirmherrschaft Chinas geführt, während die Vereinigten Staaten die Gespräche in Wien führten, wobei Frankreich nur ein Teil der Diskussionsrunde war.
Was die Beziehungen zwischen Israel und der Türkei betrifft, so haben wir angesichts der Tatsache, dass diese beiden Länder versuchen, als regionale Hegemonien eine größere Rolle in der Region zu spielen, nicht das gleiche Niveau der Beziehungen wie zur vorherigen israelischen Regierung. Zum Beispiel existierte eine ziemlich gute Zusammenarbeit mit der Regierung von Yair Lapid, folgend von der Regierung unter Benjamin Netanjahu, der an seinem konservativen Ansatz festhält und aggressiv gegenüber dem Iran ist. Das ist es, worauf es im Nahen Osten ankommt.
Bei der Diskussion über Nordafrika hatte Frankreich aufgrund seiner historischen Verbindungen und seiner zentralisierten Diplomatie gegenüber der arabischen Welt erhebliche Vorteile. Bemerkenswert ist, dass drei ehemalige französische Kolonien – Marokko, Algerien und Tunesien – günstige diplomatische Möglichkeiten boten. Allerdings gab es seit 2011 Herausforderungen bei der Stabilisierung Libyens, was zu einem Schwachpunkt der französischen Diplomatie und Außenpolitik wurde. Anfangs vermittelte Frankreich proaktiv zwischen Tripolis und Bengasi, was sich jedoch änderte, als sich die Türkei militärisch einmischte. Darüber hinaus beeinflussten regionale Akteure wie die Vereinigten Arabischen Emirate und Ägypten, sowie externe Akteure wie Russland, die Vereinigten Staaten und Italien die Stabilisierungsbemühungen. Leider hat sich die Organisation der lange verschobenen Wahlen, die ursprünglich vor drei Jahren angesetzt waren, als schwierig erwiesen.
Im Falle von Tunesien, Algerien und Marokko hat Frankreich derzeit Probleme mit allen drei Ländern. Tunesien erlebt eine hyperpräsidentielle, undemokratische, populistische Herrschaft, in der Präsident Kais Saied Institutionen schließt, während die wirtschaftliche Situation der Finanzkrise im Libanon ähnelt. In Bezug auf Algerien und Marokko hätte Frankreich idealerweise einen integrierten diplomatischen Ansatz verfolgen sollen, stattdessen aber befindet sich Paris in einer Konkurrenzdynamik zwischen Algier und Rabat. Die Beziehungen zu Rabat könnten Algier verärgern, und Frankreich unterhält derzeit engere Beziehungen zu Algier, da Präsident Abdelmadjid Tebboune am 16. und 17. Juni zu einem Staatsbesuch nach Paris reisen wird. Folglich ist die Situation mit Rabat heikel und unkalkulierbar geworden.
Diese Faktoren unterstreichen das Fehlen einer umfassenden französisch – arabischen Politik, die seit 2008 – 2009 mit der Initiative der Union für den Mittelmeerraum hätte entwickelt werden müssen. Darüber hinaus behandelte Frankreich den Beziehungen zu Subsahara – Afrika vorrangig und nicht die MENA – Region. Schließlich steht Frankreich im Wettbewerb mit anderen Akteuren, da Russland in Konflikte im Nahen Osten verwickelt ist, China sich als Vermittler positioniert und die USA versuchen, ein wichtiges Engagement mit Saudi – Arabien und den Golfstaaten aufrechtzuerhalten.
In Anbetracht der komplexen Situation, mit der Frankreich in der Region konfrontiert ist und die durch einen Mangel an Proaktivität und einer gut durchdachten Politik gekennzeichnet ist, stellt sich die Frage, auf welche Länder sich Paris stützen kann, um die französische Präsenz und die Beziehungen in der Region zu stärken.
Auch hier sind der Nahe Osten und Nordafrika zwei Regionen, die oft zusammengefasst werden, aber grundlegende Unterschiede aufweisen. So sind beispielsweise alle Länder des Nahen Ostens Teil der Organisation für Islamische Zusammenarbeit, während einige dem Commonwealth, der Frankophonie angehören und wieder andere danach streben, den BRICS beizutreten beziehungsweise Partner oder sogar vollwertige Mitglieder der Shanghaier Organisation für Zusammenarbeit (SCO) zu werden. Mit anderen Worten, wenn wir uns den Nahen Osten ansehen, sehen wir ihn als eine komplementäre Politik Europas, was meiner Meinung nach nicht mehr der Fall ist. Europa ist marginalisiert und geschwächt. Interessant ist, dass die Volkswirtschaften der G7 heute weniger bedeutend sind als die BRICS und die SCO, was auf eine Verschiebung der globalen Machtdynamik hindeutet.
Was Frankreich betrifft, so wollen wir die Situation Region für Region untersuchen und beurteilen. Frankreich hat konsequent die Option verfolgt, der regionalen Integration Vorrang einzuräumen. Wir haben uns für den Vereinigten Arabischen Maghreb eingesetzt, aber leider ist dieser Ansatz nicht gelungen. Wir haben in unseren Beziehungen zu Israel und den arabischen Nachbarstaaten immer einen integrierten Ansatz angestrebt. Während wir über die Stabilisierung Syriens nachdachten, gab es unterschiedliche Denkweisen aus der Türkei, Israel und dem Irak, die versuchten, Syrien als Pufferzone zu nutzen. Frankreich spielte in diesem Zusammenhang jedoch eine marginale Rolle. In jüngster Zeit hat Frankreich seinen Schwerpunkt auf den Aufbau starker Partnerschaften mit einzelnen verlässlichen Partnernationen in jeder Region verlagert, mit dem Ziel, breitere Beziehungen in der gesamten Region aufzubauen.
In Nordafrika zum Beispiel war Marokko während der Präsidentschaften von Nicolas Sarkozy und François Hollande ein wichtiger Partner. Unter der Führung von Emmanuel Macron hat es jedoch eine Verschiebung gegeben. Er tritt in die Fußstapfen von Jacques Chirac und versucht, unsere Beziehungen zu Algerien wiederzubeleben. Macron hat wichtige Schritte unternommen, um die beiden Länder zu versöhnen, insbesondere angesichts des historischen Kontexts des Algerienkriegs von 1954 bis 1962. Für Frankreich ist es von entscheidender Bedeutung, sein Engagement für Algerien zu vertiefen und sich um bessere Beziehungen zu bemühen, ähnlich den positiven Beziehungen, die während der Amtszeit von Präsident Chirac in den Jahren 2003 – 2004 zu verzeichnen waren.
In Bezug auf Libyen, Ägypten und Tunesien gibt es unterschiedliche Dynamiken, die als konterrevolutionäres Narrativ beschrieben werden können. Ägypten zum Beispiel hat eine Reihe von Verschiebungen von Revolution zu Konterrevolution und einer weiteren Konterrevolution durchgemacht. Präsident Al – Sisi hat Mohammed Mursi und die Muslimbruderschaft von der Macht gestoßen, und obwohl die Menschenrechtslage im Land nach wie vor alles andere als ideal ist, unterstützt Frankreich Präsident Al – Sisi weiterhin. Daher basiert unsere Wahrnehmung Ägyptens auf einem realistischen oder sogar „realpolitischen“ Ansatz. Ähnliches gilt für Libyen. Im Jahr 2011 spielten Frankreich eine Rolle beim Sturz des Regimes von Muammar Al – Gaddafi, aber wir versäumten es, eine praktikable Alternative vorzuschlagen, was zu einem Verlust an Einfluss, Dynamik und Legitimität in Libyen führte. Tunesien ist auch ein Fall, in dem wir eine gewisse Verantwortung tragen. Die Wahl von Kais Saied führte zu einer deutlichen populistischen Verschiebung, und obwohl wir dies beobachtet haben, fehlten uns die Kapazitäten, diese Entwicklung zu verhindern. Dies ist ein Aspekt, den es zu berücksichtigen gilt.
Der zweite Aspekt dreht sich um den Wettbewerb, nicht zwischen Paris und anderen regionalen Hauptstädten, sondern zwischen Paris und unseren europäischen Partnern. Wir sind nicht das einzige europäische oder G7 – Land, das engere Beziehungen zum Norden anstrebt. In jüngster Zeit ist Spanien zum wichtigsten Wirtschaftspartner Marokkos geworden und hat Frankreich überholt. Irgendwann hat uns Italien als wichtigster Partner Tunesiens überholt, aber wir haben es geschafft, unseren Platz zurückzuerobern. China ist der wichtigste Partner Algeriens und drängt uns auch in der Region Subsahara – Afrika ins Abseits. Im Falle Ägyptens waren wir nie der wichtigste Wirtschaftspartner, obwohl wir zwischen 2013 und 2017 die wichtigsten Waffenlieferanten für Ägypten waren und sogar die USA übertrafen. Seit 2014 haben wir Rafale – Flugzeuge, Fregatten und zwei Hubschrauberträger nach Ägypten verkauft, die ursprünglich für Russland bestimmt waren.
Der Nahe Osten verfügt über mehr als 36 % der geschätzten weltweiten Erdgasreserven, und die Türkei ist ein Anwärter als Erdgasexporteur. Die Wiederwahl von Präsident Erdogan wird die Bemühungen erschweren, den historischen Status quo seit dem Vertrag von Lausanne im Jahr 1923 neu zu definieren, der die Auflösung des Osmanischen Reiches und die Neukonfiguration der kolonialen Positionen beinhaltete. Dazu gehören Fragen im Zusammenhang mit ausschließlichen Wirtschaftszonen und dem Wunsch der Türkei, das wiederzuerlangen, was sie als Teil ihrer imperialen Logik betrachtet. Diese Komplexität trägt zu den Schwierigkeiten bei, mit denen Frankreich im Zuge Bewertung der bilateralen Partnerschaft mit der Türkei konfrontiert ist. Während Frankreich für Stabilität sorgen will, versucht die Türkei, eine Führungsrolle zu übernehmen. Diese unterschiedlichen Ziele tragen zu den Herausforderungen bei, denen wir in unseren Beziehungen begegnen.
Wir haben verschiedene Länder und die damit verbundenen Herausforderungen angesprochen. Könnten Sie jedoch die Rivalität zwischen Frankreich und Russland in der Region näher erläutern?
Ich glaube, dass die Rivalität zwischen Frankreich und Russland von den nuancierten diplomatischen Beziehungen überschattet wird, die Russland mit mehreren Ländern unterhält. Von diesen Ländern unterhalten einige auch nach wie vor positive Beziehungen zu Frankreich. Wenn wir Algerien betrachten, wird deutlich, dass Algier ehrgeizige Ziele hat, wie Präsident Tebboune in Gesprächen mit Präsident Macron und Premierministerin Elisabeth Borne zum Ausdruck brachte. Dies hat zu einer französisch – algerischen Dynamik geführt, die im August begann und sich mit dem bevorstehenden Staatsbesuch von Präsident Tebboule in Frankreich in zwei Wochen fortsetzen wird. Ähnlich verhält es sich zwischen Algerien und Italien. Algerien unterhält nach wie vor enge Beziehungen zu Europa, da sein Hauptmarkt für Gas in Europa liegt. Dies bedeutet jedoch nicht, dass es keine besonderen Beziehungen zu Russland gibt, insbesondere im Bereich Öl und Gas. Gazprom, ein Partner des staatlichen algerischen Energieunternehmens Sonatrach, spielt eine Rolle bei der Nutzung von etwa 20 % der afrikanischen Gasreserven in Algerien.
Im Allgemeinen gibt es einen Wettbewerb zwischen Russland und jenen Ländern, die ähnliche Verbindungen in der besprochenen Region haben. Es gibt auch eine Kombination aus Kooperation und Wettbewerb, die durch den Einmarsch Russlands in die Ukraine am 24. Februar 2022 noch verstärkt wurde. Russland und der Iran legen ihren Fokus vermehrt auf Algerien, um dem Einfluss von Ländern entgegenzuwirken, die historisch und geografisch mit Algier verbunden sind, wie etwa Spanien, Frankreich und Italien. Als zum Beispiel der russische Außenminister Sergej Lawrow Algerien besuchte, forderte er die Regierung in Algier auf, kein Gas an europäische Staaten zu verkaufen, doch Algerien verkaufte 3 Millionen Kubikmeter Gas an Italien. Dieser Umstand verärgerte Russlands Gazprom zwar, führte allerdings nicht zu einem Abbruch der bilateralen Annäherung.
Während Russland seinen Krieg gegen die Ukraine führt und mehrere Länder auf ukrainischer Seite als Mitkriegsparteien gelten, insbesondere diejenigen, die Waffen an die Ukraine lieferten, hat Moskau seine diplomatischen Beziehungen zu Algerien intensiviert. Der Iran hingegen nähert sich Algerien an, da sowohl Teheran als auch Algier versuchen, die Beziehungen zwischen den USA, Israel und Marokko zu unterbinden. Die russische Invasion in der Ukraine führte daher zu stärkeren wirtschaftlichen und diplomatischen Beziehungen zu Algerien. Folglich gab es eine „Annäherungsstrategie“ zwischen Marokko und den Vereinigten Staaten – aufgrund von Sicherheitsbedenken wie den Abrams – Vereinbarungen einerseits und zwischen Algerien und Russland andererseits, um ein Gegengewicht zu bilden und Algeriens Feinde und Konkurenten im Maghreb abzuschrecken.
Frankreich muss unterdessen seine Beziehungen zu Rabat, Algier und Tunis überdenken und anerkennen, dass es nicht nur Konkurrenz zwischen diesen Ländern und Russland, sondern auch mit China gibt. Peking hat sich zu einem wichtigen Akteur entwickelt und erhebliche Investitionen in den Hafen von Tanger getätigt. Chinas Seidenstraßenstrategie konzentriert sich auf die zentralen und westlichen Mittelmeerregionen sowie die Südküste in Bezug auf die Diversifizierung der Gasbeschaffung, Bildung, Informationstechnologien. China hat ein Interesse an libyschem Öl und algerischem Gas sowie an Waffenverkäufen an diese Länder.
In der Region Maschrik, einschließlich der Levante, übernimmt China eine proaktivere Rolle als Vermittler. Die Situation verschiebt sich weg von einer angelsächsischen postkolonialen Verflechtung, da die meisten dieser Länder ehemals britische Kolonien waren. Die Golfstaaten, darunter Saudi – Arabien, sind zu einer unabhängigeren, global ausgerichteten und blockfreien Politik übergegangen. Diese Verschiebung wird von Mohammed Bin Salman, dem Kronprinzen und Premierminister Saudi – Arabiens, und dem neuen Präsidenten der Vereinigten Arabischen Emirate, Mohamed bin Zayed Al Nahyan, klar artikuliert. Sie haben ihre eigene Politik, die sich auf eine durchsetzungsfähigere Haltung gegenüber Öl und Gas innerhalb der OPEC und OPEC+ konzentriert, die von Russland beeinflusst wurde. Dies zeigt sich an der Weigerung Saudi – Arabiens, die Ölpreise zu erhöhen, um Russland bei den westlichen Sanktionen unter Druck zu setzen.
Wie sehen Sie die Zukunft der MENA – Region und die Rolle Frankreichs bei der Gestaltung der regionalen Dynamik?
Ich glaube, dass die Region ihre Bedeutung erkennt. Der Nahe Osten und Nordafrika sind Teil einer umfassenderen Politik, die 54 afrikanische Staaten und alle Länder des Nahen Ostens umfasst. Unfassen ist in diesem Fall ein vager Begriff, da einige Staaten argumentieren, die MENA – Region erstrecke sich von Syrien und dem Libanon bis nach Asien oder sogar Indonesien und umfasse Länder mit einer politischen islamischen Agenda.
Das Wichtigste ist jedoch, was auf das zutrifft, was ich bereits erwähnt habe, dass jedes dieser Länder eine Politik der Blockfreiheit beibehält oder beizubehalten versucht. Die Region wurde in den 1970er Jahren als Dritte Welt bezeichnet, seit den 1960er Jahren als blockfrei und ist heute als Globaler Süden bekannt. Einige dieser Länder streben danach, eine Führungsrolle in der Region zu übernehmen, was zu Spannungen zwischen der Türkei und Saudi – Arabien und zu einer Störung der diplomatischen Agenden zwischen Bin Salman und Bin Zayed führt. Dies erklärt auch die unterschiedlichen Sichtweisen auf den Iran mit seiner islamisch – schiitischen Ideologie und Saudi – Arabien als Vertreter der islamischen Sunniten. Trotzdem haben diese Länder gelernt, zusammenzuleben, wie die Lösung der Opposition zwischen Katar, Saudi – Arabien, Ägypten, Bahrain und den Vereinigten Arabischen Emiraten zeigt. Auch Syrien wurde nach 11 – jähriger Abwesenheit wieder in die Arabische Liga integriert, obwohl sich die Politik von Baschar Al – Assad nicht geändert hat.
Zusammenfassend müssen wir anerkennen, dass die Broader Middle East and North Africa Initiative (BMENA), wie die Vereinigten Staaten sie nennen, seit dem G8 – Gipfel auf der Seeinsel im Juni 2008 in einem horizontalen strategischen Nexus zwischen Marokko und Israel von unserer eigenen Vision abweicht. Der Ansatz, die europäische Art und Weise, die Mittelmeeragenda vorwegzunehmen, welche seit der Europa – Mittelmeer – Partnerschaft von 1995 und der Union für das Mittelmeer, die im Juli 2008 ins Leben gerufen wurde existiert, die einen eher vertikalen Ansatz in unseren Beziehungen zu den westlichen Mittelmeerstaaten und unserer Außenpolitik gegenüber der arabischen Welt, dem Mittelmeerraum und den afrikanischen Ländern betont, scheint mehr und mehr zu verblassen.
Dies war in den letzten zehn Jahren sehr deutlich sichtbar, spiegelt aber nicht die aktuelle Realität wieder. Die BRICS – Staaten expandieren, und Länder der Region, wie Saudi – Arabien und die Türkei, werden sich dieser Entwicklung wahrscheinlich anschließen. Auch Algerien und Ägypten haben Interesse bekundet. Der Gipfel von Durban Ende August wird sicherlich diese neue Agenda des „Globalen Südens“ bestätigen, die Moskau anstrebt, um seine Kritik an den westlichen Ländern zu unterstreichen. Übrigens handelte Moskau genau in der gleichen Weise, wie es bereits während des Kalten Krieges in den 1960er, 1970er und 1980er Jahren versuchte, die Blockfreiheit zu „instrumentalisieren“.
Was die Shanghaier Organisation für Zusammenarbeit (SCO) betrifft, so wird erwartet, dass die Türkei das nächste Land sein wird, das beitritt. Diese Verschiebung der SOZ – Agenda, die sich von einer orientalischen zu einer westlich – orientalischen Vision bewegt, führt zu einer neuen Zentralität in der Region und zu einem Streben nach Führung zwischen Präsident Erdogan, Premierminister Mohammed Bin Salman und Präsident Mohammed Bin Zayed. Auch der Iran spielt in dieser Gleichung eine wichtige Rolle, da er seine Verhandlungsfähigkeit mit all diesen Ländern verbessert.
Im Grunde verliert Frankreich zunehmend an Einfluss und Kontrolle. Frankreich hat keine unerschütterlichen Partnerschaften mehr, auch nicht mit Israel. Premierminister Netanjahu strebt eine besondere Beziehung zu in jede Richtung an, zumal sich seine Beziehungen zu US – Präsident Joe Biden verschlechtert haben. Eine Änderung kann jedoch auch dann nicht eintreten, wenn Biden 2024 im Zuge der US – Präsidentschaftswahlen von Donald Trump oder Ron DeSantis besiegt werden sollte. Ich betone lediglich die sich verschlechternden Beziehungen zwischen den Demokraten, Joe Biden und Benjamin Netanjahu aufgrund der iranischen Agenda und der Golfstaaten. Die MENA – Region richtet sich nicht mehr ausschließlich an Washington, London oder europäische Staaten.
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