Internationale Polit-Prominenz gab sich in den vergangenen Wochen die Klinke in die Hand in Bagdad.
Der US-Verteidigungsminister Lloyd Austin kam zunächst zu einem nicht geplanten Besuch in die irakische Hauptstadt: „Ich bin hier, um die strategische Partnerschaft zwischen den Vereinigten Staaten und dem Irak zu bekräftigen“, teilte er mit. Das Pentagon erklärte, Austin werde ein Bekenntnis zur Aufrechterhaltung der amerikanischen Truppenpräsenz abgeben, aber es gehe in der angestrebten Partnerschaft um mehr als nur militärische Fragen.
Der Irak sei sehr daran interessiert, die Beziehungen zu den USA zu „stärken und zu konsolidieren“, sagte Sudani Austin während ihres Treffens. Der Irak spielt für die USA eine entscheidende Rolle bei der Eindämmung des iranischen Einflusses in der Region. Der Iran versucht immer wieder, die Kontrolle über den Irak durch den Einsatz von „Stellvertretern“ und schiitischen politischen Parteien in Bagdad zu beeinflussen.
Vor dem Machtantritt Sudanis schien der schiitische Geistliche Muqtada al-Sadr bereit zu sein, die Regierung nach den letzten Wahlen zu führen. Al-Sadr hatte sich sowohl gegen den Iran als auch gegen die USA positioniert. Aber er scheiterte daran, eine Regierung zu bilden, weil rivalisierende Parteien Widerstand leisteten, was letztendlich Sudani die Tür öffnete, der bisher seine Bereitschaft gezeigt hat, Bagdads Beziehungen zu Washington auszubauen.
Nach seinem Besuch in Bagdad reiste Austin nach Erbil, der Hauptstadt der nordkurdischen Region im Irak, und traf sich mit dem Präsidenten der Region Kurdistan und dem Oberbefehlshaber der Streitkräfte der Region, Nechirvan Barzani. In einer gemeinsamen Pressekonferenz betonten Austin und Barzani die Bedeutung der US-Unterstützung für den Irak und die Region Kurdistan, wobei Barzani sagte, dass „gegenseitige Interessen und Prinzipien“ die beiden näher zusammenbringen. Austin hob zudem die Zusammenarbeit bei der Terrorismusbekämpfung zwischen den USA und den kurdischen Peschmerga bei der Bekämpfung von ISIS hervor.
Kurze Zeit nach der Abreise ihres US-Amtskollegen landete die deutsche Außenministerin Annalena Baerbock in Bagdad, die zu einem viertägigen Irak-Besuch anreiste. Es standen unter anderem Treffen mit Außenminister Fuad Hussein und Regierungschef Muhammad Schia al-Sudani auf dem Programm. Die deutsche Spitzenpolitikerin bezeichnete den Irak als „einen Schlüsselfaktor für die Stabilität der Region“. Sie wolle bei ihrem Besuch deutlich machen, dass Deutschland und die Europäische Union nicht nur an eine starke, friedliche Zukunftsperspektive des Landes glaube, sondern sich auch dafür engagiere.
Die EU-irakischen Beziehungen scheinen derzeit unbeschwerter zu sein als das Verhältnis zwischen Bagdad und Washington. Das hat auch mit dem irakischen Regierungschef zu tun – und mit dessen Förderern. Als Sudani im Oktober für das Amt des Ministerpräsidenten bestimmt wurde, bedeutete das nicht nur das Ende einer etwa ein Jahr dauernden politischen Blockade und eines Machtkampfes, der zwischenzeitlich sogar Ängste vor einem Bürgerkrieg geweckt hatte. Es war auch der politische Sieg eines Politikers, der als mächtiger Strippenzieher der proiranischen Kräfte im Irak gilt: Nuri al-Malik.
Gegenüber dem Ministerpräsidenten, so ist von mehreren Seiten in Bagdad zu hören, seien die Amerikaner etwas skeptisch. Und das Regime in Teheran, das im Irak über ein einflussreiches Netzwerk von Politikern und Milizen gebietet, lässt Sudani nicht so schnell aus seinen Fängen. Zu den heiklen Themen gehört auch die amerikanische Truppenpräsenz im Irak, die Teheran ein Dorn im Auge ist.
Sudani wird – sowohl aus dem Kreis seiner Berater als auch von westlichen Diplomaten – nachgesagt, seinen eigenen Kopf zu haben. Er wolle sich politisch freischwimmen, heißt es in Bagdad. Dazu passen auch Berichte in der arabischen Presse, laut denen es innerhalb der politischen Allianz „Koordinationsrahmen“, zu der Sudani und Maliki gehören, nicht immer harmonisch zugeht. Es wird sogar über eine mögliche Regierungsumbildung spekuliert. Sudani, der eigentlich versucht, allen zu gefallen, äußerte sich zuletzt ungewöhnlich deutlich in der Öffentlichkeit. „Die Beziehung eines Ministers mit den politischen Kräften endet, nachdem er nominiert wurde und das Vertrauen vom Parlament bekommen hat“, sagte er.
Sudani bemüht sich, als Macher dazustehen. Er hat ambitionierte Ziele ausgegeben und – wie schon andere vor ihm – der tief im System und in der politischen Klasse verwurzelten Korruption den Kampf angesagt. Zudem will er die Wirtschaft ankurbeln, die wacklige Stromversorgung sichern. Zumindest ist derzeit die Sicherheitslage im Land so stabil, dass die haushohen Betonbarrikaden vor der deutschen Botschaft in Bagdad und die scharfen Sicherheitsmaßnahmen ein klein wenig aus der Zeit gefallen wirken. Sudani muss aber mehr liefern, will er nicht als Bauernopfer enden, sollten neue Massenproteste der frustrierten Bevölkerung das Land erschüttern. Und wenn er als eigenständiger Kandidat antreten will, sollte es denn zu den versprochenen Neuwahlen kommen.
Die Sudani-Regierung kann das Engagement Deutschlands und der EU bei all diesen Herausforderungen gut gebrauchen, nicht zuletzt als Wirtschaftspartner. Er hatte ein Zeichen gesetzt, als er Berlin zum Ziel seiner ersten Reise ins westliche Ausland auswählte. Dort wurde ein umfassendes gemeinsames Arbeitsprogramm auf den Weg gebracht. Der Besuch der deutschen Außenministerin fügt sich in die Bemühungen, die Kooperation beider Länder zu stärken. Dazu gehören auch die irakischen Aufträge an Siemens im Kraftwerkbau oder geplante Deutschland-Besuche irakischer Minister. Die deutsch-irakische Zusammenarbeit berührt auch Themen, die Berlin wichtig sind, wie die Rückkehr ausreisepflichtiger Iraker aus Deutschland oder Abschiebungen. Und natürlich Energiepartnerschaften, damit sich Deutschland aus der Abhängigkeit von russischem Gas befreien kann.
Denn auch im Großkonflikt des Westens mit Moskau ringen der Irak und sein Regierungschef mit ihrer Haltung. Der Bagdad-Besuch des russischen Außenministers Sergej Lawrow vor etwa einem Monat zeigte, dass man den Irak nicht den Falschen überlassen sollte. Sudani schaute auf den Bildern, die von der Visite kursierten, etwas sparsam drein, Maliki hingegen sehr zufrieden.
Dass der Irak noch sehr weit davon entfernt ist, jene Art der Demokratie und Vielfalt zu erreichen, die ihm die deutsche Ministerin wünscht, zeigte sich erst kürzlich, als ein Foto von UN-Generalsekretär António Guterres Unmut hervorrief. Er posierte unter anderem mit Qais al-Khazali, dem Gründer der Schiitenmiliz Asaib Ahl al-Haq, die in Amerika als Terrorgruppe geführt wird. Politische Vertreter dieser Gruppe sind Teil der Regierung und der politischen Allianz des Regierungschefs. Die irantreuen (bewaffneten) Gruppen haben ein mächtiges und lukratives Schattenreich errichtet, es wird in Bagdad schon über eine Firmengründung gesprochen, die den Grundstein für ein Wirtschaftsimperium legen soll. Es ist eine irakische Ironie, dass ausgerechnet aus diesem Dunstkreis ein Gesetz kommt, das den Import und Verkauf von Alkohol verbieten soll. Denn es sind nicht zuletzt Schnapsläden, die den Milizen Schutzgeld zahlen.
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