Einschüchterungen, bedrohte Familienmitglieder, Spitzeltätigkeiten: Das erleben auch Iranerinnen und Iraner in Europa, die sich öffentlich politisch äussern. Die Nachrichtendienste gehen von einer vermehrten Spionagetätigkeit Irans aus.
Vielen Iranern im Exil geht es ähnlich wie dem Journalisten aus Teheran, der seit vier Monaten versucht hat, seinen Pass zu erneuern. Doch Irans Botschaften in Europa stellen sich quer, denn jeder Exil-Iraner ist für die Mullah-Diplomaten Mitglied einer Terrorgruppe. Der Journalist arbeitet seit 2020 bei Iran International, jenem Sender mit Sitz in London, der über die Proteste in der Islamischen Republik Iran berichtet und den das Regime im vergangenen November zur „terroristischen Organisation“ erklärte. Vor dem Sitz des Senders in London platzierte die britische Polizei sogar sieben gepanzerte Fahrzeuge als Antwort auf „explizite Drohungen“ gegen Mitarbeiter des Senders. Mitarbeiter des Senders erhalten fast täglich Drohungen über Instagram oder das Audio-Netzwerk Clubhouse.
Seit Beginn der Proteste in Iran im Herbst, seit sich auch in Europa Zehntausende solidarisieren, ist Teherans langer Arm heftig zu spüren, Gegner des Mullah-Regimes identifiziert, ausgespäht, bedroht. Dabei fällt es den Spitzeln der Mullahs nicht immer leicht, ihre Gegner einzuordnen, denn die iranische Opposition in Europa ist kein homogener Block. Das politische Spektrum innerhalb der über Jahrzehnte gewachsenen iranischen Opposition ist sehr groß: Von Anhängern der Monarchie, wie es sie vor der Iranischen Revolution von 1979 gab, über Kommunisten und Sozialisten bis hin zu Mitgliedern der sektenähnlichen Volksmudschahidin. Auffällig an der aktuellen Mobilisierung in Europa sind die Neugründungen vieler Kleingruppen, denen sich vor allem die jüngere Diaspora anschließt.
Der Präsident des deutschen Bundesamtes für Verfassungsschutz warnte im Gespräch mit der dpa hier lebende Regimekritiker vor Reisen in die Islamische Republik. Sie müssten auch damit rechnen, dass Verwandte in Iran Repressionen erleiden. „So etwas ist schon passiert, und gerade jetzt in der aktuellen Situation, in der im Iran massive Proteste stattfinden, sehen wir Entsprechendes auch in Deutschland“, mahnte er.
Und dies sind keine Spekulationen, Gewalt wird bereits gegen Kritiker des Regimes in Teheran ausgeübt. Drei Unbekannte attackierten einen Wohnwagen vor der Berliner Botschaft Irans, in dem Regimegegner ein Protestcamp eingerichtet hatten. Sie wurden verletzt, ihre Transparente und Fahnen heruntergerissen, die Täter entkamen. In ein Zelt vor der Parteizentrale der deutschen Partei Bündnis90/Die Grünen drangen vier Personen ein, mit einer abgebrochenen Flasche und einem Messer, und sie versuchten, ein Schild zu zerbrechen, auf dem der Mullah-Regierung Mord und Terror vorgeworfen wurden. Noch zwei Mal seien sie auf ähnliche Weise angegriffen worden.
Die europäischen Sicherheitsorgane sind bislang vorsichtig, solche Übergriffe eindeutig dem Regime und seinen Spitzeln zuzuordnen. Aber man beobachte die Aktivitäten der iranischen Nachrichtendienste in Europa genau. Das Ministerium für Nachrichtenwesen (MOIS) und die Quds-Brigaden haben nach Erkenntnissen der EU-Nachrichtendienste ihre Leute überall und diese haben die iranische Diaspora sehr genau im Blick.
Seit 2018 wurden allein in Deutschland neun strafrechtliche Ermittlungsverfahren gegen 24 mutmaßliche iranische Agentinnen und Agenten eingeleitet. Menschen im diplomatischen Dienst sind davon nicht betroffen. Näheres könne wegen der Gefährdung der Staatssicherheit nicht mitgeteilt werden. Als Hauptakteure der gegen Deutschland gerichteten Aktivitäten gelten demnach das Ministerium für Nachrichtenwesen sowie die auch geheimdienstlich agierende Quds-Brigade der Iranischen Revolutionswächter. Letztere würden ihre Aktivitäten vor allem auf „(pro-)israelische“ und „(pro-)jüdische“ Ziele richten, so die Antwort der deutschen Regierung im Parlament.
Mit Blick auf die aktuellen Proteste und die Iran-Solidarität habe sich das »Hinweisaufkommen« auf Repressionen gegen iranische Oppositionelle in Deutschland »nochmals leicht intensiviert«, nachdem es »seit einiger Zeit auf hohem Niveau« gewesen sei, teilt das Bundesinnenministerium mit. Laut aktuellen Erkenntnissen seien die staatlichen Stellen Irans derzeit am »gesamten Spektrum« der oppositionellen Gruppierungen in Deutschland interessiert. Es gebe jedoch Hinweise, dass das Interesse gerade an »jüngeren und/oder weiblichen Zielpersonen« gestiegen sei.
Schon seit der islamischen Revolution 1979 späht das Mullah-Regime seine Gegner auch im Ausland aus. 1992 ließ das MOIS sogar vier Exilpolitiker im Berliner Restaurant „Mykonos“ ermorden. 2018 nahmen Fahnder in Bayern Assadollah A. fest, der in Wien als Diplomat akkreditiert war. Er wurde zu 20 Jahren Haft verurteilt, weil er als MOIS-Agent einen Anschlag auf Exilanten geplant hatte. Nach dem Mykonos-Urteil gab es in Europa laut Sicherheitsexperten für etwa 15 Jahre keine physischen Liquidierungen mehr. Entführungen, Verleumdungen und Spionage seien aber weiterhin an der Tagesordnung gewesen. In den letzten Jahren beobachtet man allerdings, dass die Gefahr für iranische Oppositionelle, Medienschaffende und Menschenrechtsaktivisten in Europa wieder zunehme.
Ein Beispiel dafür war die Verhaftung eines Mitarbeiters der iranischen Botschaft in Wien auf einer bayerischen Autobahnraststätte vor fünf Jahren. Dieser wurde zu dem Zeitpunkt verdächtigt, einen Bombenanschlag auf die Jahreskonferenz des „Nationalen Widerstandsrats Iran“, einer Exil-Oppositionsgruppe, in der französischen Stadt Villepinte geplant zu haben. Bei einem konspirativen Treffen in Luxemburg soll er zu diesem Zweck einem belgischen Paar mit iranischen Wurzeln eine Bombe samt Fernsteuerung übergeben haben. Das Paar wurde zuvor in Belgien verhaftet. Die Bombe sollte ein weiterer Iraner auf die Konferenz der Oppositionsgruppe bringen. Auch er wurde festgenommen.
Ein Gericht in Belgien verurteilte den Diplomaten im Februar 2021 wegen versuchten Mordes und Beteiligung an einer terroristischen Organisation. Die Sicherheitsbehörden fanden bei ihm einen umfangreichen Notizblock und mehrere Quittungen, die nahelegen, dass er offenbar Bargeld verteilt hatte. Insgesamt 289 Einträge finden sich dort, alles weist auf ein weitreichendes Netzwerk in Europa hin. Die Ermittler konnten die Angaben elf Ländern zuordnen, darunter Frankreich, Deutschland, Österreich, Tschechien, Ungarn, Belgien, die Niederlande und Italien.
Sogar der Schweizer Nachrichtendienst NDB geht von Spitzeltätigkeiten Irans aus. Iranische Geheimdienste hätten „als Ziel hauptsächlich die Kontrolle ihrer Diasporagemeinschaft und politischer Opponenten“, schreibt der NDB in seinem aktuellen Sicherheitsbericht. „Der NDB verfügt über Erkenntnisse, die auf eine Intensivierung der nachrichtendienstlichen Aktivitäten Irans in der Schweiz hindeuten.“ Auch von Iran unterstützte Cyberakteure hätten in den letzten Jahren ihre Cyberspionage-Aktivitäten erhöht.
Ob Spitzel ohne Arbeitsvertrag beim iranischen Geheimdienst, oder aber direkt MOIS-Agenten: Man schickt gerne Nachrichten an Kritiker des Teheraner Regimes über Social Media-Kanäle. „Du wirst sterben. Sei vorsichtig. Die Islamische Republik Iran ist sehr nah von dir und deiner Familie wie deine Blutgefäße am Nacken“. Der Text wurde vom Empfänger der Drohung an die Staatsanwaltschaft gegeben, die ein Ermittlungsverfahren gegen unbekannt einleitete und über eine Anfrage an Facebook herausfand, dass der Instagram-Account auf eine verifizierte iranische Telefonnummer zugelassen ist. Mehr konnte nicht in Erfahrung gebracht werden, da der Autor ohne Rechtshilfeersuchen bei iranischen Behörden nicht ermittelt werden könne.
Es sind auch treue Regimeanhänger, die eine Gefahr für die iranische Opposition in Europa darstellen. Oft werden Frauen – getarnt als Oppositionelle – ins Ausland geschickt würden, die dort Regimekritiker anlocken sollen, um sie dann dem Regime auszuliefern. In der Fachsprache nennt man dies „Honey trapping“, eine Praxis, bei der romantische oder sexuelle Beziehungen für zwischenmenschliche, politische oder finanzielle Zwecke genutzt wird. Daneben gibt es auch iranische Institutionen in Europa, getarnt als Wissenschafts- und Kulturvermittler, die Hand in Hand mit den iranischen Botschaften zusammenarbeiten.
Regimekritiker, Oppositionsmitglieder sowie ethnische oder religiöse Minderheiten sind besonders im Visier, falls sie vom im Herkunftsstaat herrschenden Regime als Bedrohung angesehen werden. Europäische Geheimdienste stellen regelmäßig fest, „dass Agenten mit Asylgesuch eingeschleust werden oder dass Asylbewerber rekrutiert werden.“
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