In Deutschland gibt es zunehmend radikale islamische Prediger, die ihre extremistischen Ansichten verbreiten und eine Bedrohung für die freiheitlich demokratische Grundordnung darstellen. Einer von ihnen ist Ibrahim al-Azzazi, ein salafistischer Prediger, der durch seine Reichweite in sozialen Medien wie TikTok und YouTube bekannt geworden ist. Er seit Jahren vom Verfassungsschutz beobachtet worden, ist in Deutschland geboren und aufgewachsen. Trotz seiner deutschen Wurzeln lehnt er Teile der westlichen Kultur ab. Stattdessen propagiert er eine Rückkehr zu einem islamischen Gottesstaat, in dem die Scharia gilt. Dabei scheut er nicht davor zurück, fragwürdige Ansichten offen zu verteidigen.
Er hat Zehntausende Follower auf TikTok, ist laut Verfassungsschutz ein Islamist: Nun droht ihm Prozess. Die Generalstaatsanwaltschaft München hat ihn unter anderem wegen Volksverhetzung angeklagt.
Die Fragen über den Islam, die der selbsternannte Sheikh auf Tiktok beantwortet, klingen zuerst harmlos:
- Darf man in der Moschee Fussball spielen? Ja – wenn man nichts beschädigt. Darf man als Muslim Geburtstage feiern? Nein.
Es sind Fragen, die wohl vor allem junge Muslime stellen. Einige von ihnen suchen Rat, einige wollen nur provozieren:
- Darf ich mit Make-up beten? Dürfen Muslime in Schweinfurt leben?
Die Intention hinter der Frage ist egal: Ibrahim al-Azzazi, Deutscher mit ägyptischen Wurzeln, gibt im weiten, weissen Gewand den belehrten Gelehrten. Darum wird er auch Sheikh Ibrahim genannt.
Ob banal oder umstritten, der selbsternannte Geistliche beantwortet alle Fragen mit ernster Stimme, ohne irgendwelche Belege aus religiösen Quellen zu nennen. Seinen Zuschauern gibt er das Gefühl, dass es auf alle Lebensfragen eine klare, universal gültige Antwort gäbe. Und das gefällt. Abertausende Personen folgen ihm auf Tiktok, Instagram, Youtube. Seine Videos erzielen Millionen Aufrufe – obwohl seine Kanäle von den Betreibern immer wieder gesperrt werden.
Azzazi gilt als Salafist, also als demokratiefeindlich. Er steht seit Jahren wegen seiner Inhalte unter Beobachtung des deutschen Verfassungsschutzes – und neustens ist er auch zur Fahndung ausgeschrieben. Denn zwischen den seichten Themen verstecken sich brisante Inhalte. Azzazi sagt, dass es Muslimen gemäß „vielen Gelehrten“ verboten sei, zu wählen. Dass sie nicht an der Kasse im Aldi arbeiten oder im Kindergarten Adventskalender basteln dürften. Dass Frauen einen Vormund benötigten, um zu reisen. Und im Interview mit einer deutschen Zeitung sagte er vor wenigen Wochen, dass Körperstrafen, wie sie in Afghanistan vollzogen würden, angebracht seien, sofern es Allah vorschreibe.
In Bayern wurde im Sommer Anklage gegen Azzazi erhoben, unter anderem wegen Volksverhetzung. Laut Informationen des Bayrischen Rundfunks wurde das Verfahren eingeleitet, weil Azzazi Jesiden in einem Video als Teufelsanbeter bezeichnete. Das Video ist gelöscht worden. Doch das Verfahren steht still: Denn Azzazi ist offenbar verschwunden. Das bestätigen die Behörden in München. Der Aufenthaltsort von Azzazi sei unbekannt. „Sobald der Angeschuldigte wieder greifbar ist, wird das Strafverfahren gegen ihn fortgesetzt“, teilt die Generalstaatsanwaltschaft München mit. Sie habe eine Fahndung gegen Azzazi veranlasst.
Dass die Behörden in Bayern seine Inhalte als undemokratisch, frauenfeindlich und homophob einstufen, nimmt Azzazi hin. „Den Verfassungsschutz nehme ich sowieso für nicht voll. Die können schreiben, was sie wollen“, sagte er 2022 in einer Dokumentation des Youtube-Kanals «Y-Kollektiv».
Azzazi hat immer wieder mit den Behörden zu tun. 2020 wurde er kurzzeitig festgenommen. Er hatte nach der Ermordung des Lehrers Samuel Paty, der in Frankreich von einem islamistischen Schüler enthauptet worden war, einen Boykott französischer Produkte gefordert. Dieses Jahr wurde er vom Landgericht Essen erstinstanzlich in zwei Fällen verurteilt, weil er seine Ehefrau an der Hand verletzt und gewürgt haben soll. Seine Frau nennt Azzazi in einem Video eine Kafir, eine Ungläubige. Das Urteil in dem Fall ist noch nicht rechtskräftig.
Selbst wenn Azzazi nun abgetaucht wäre: Dank Hunderten von Videos bleibt er in den sozialen Netzwerken allgegenwärtig. Etwa auch in den Kanälen des Vereins Deutschsprachige Muslimische Gemeinschaft e. V. (DMG), der in Niedersachsen eine Moschee betreibt. Dort tritt er neben bekannten Gesichtern wie Pierre Vogel oder Abul Baraa auf. Der Verein DMG wurde in Niedersachsen im Juni verboten, weil er Ungläubige, Frauen, Juden abwerte. Die Moschee in Braunschweig wurde geschlossen. Im Juni fanden zudem zahlreiche Hausdurchsuchungen statt, auch bei Azzazi. Doch die Videos des Vereins sind weiter verfügbar.
In den sozialen Netzwerken buhlen zahlreiche Salafisten wie Azzazi um Aufmerksamkeit. Sie dominieren dort das Angebot an Informationen zum Islam. Der Gaza-Krieg hat die Zahl der Videos nochmals ansteigen lassen. Denn Emotionen wie Wut und Empörung sind nützlich, um Personen empfänglich zu machen für radikales Gedankengut.
Die Behörden sind der Flut von salafistischen Inhalten im Netz praktisch ausgeliefert. Wird ein Video gelöscht, taucht es in einem neuen Kanal wieder auf. Und wenn ein Mensch sich für das konservative Gedankengut empfänglich zeigt, wird er auf andere Plattformen umgeleitet, auf Telegram oder auf Discord. Dort warten radikalere Inhalte, und im schlimmsten Fall der Aufruf zur Gewalt.
Der Wirkungsraum der Salafisten beschränkt sich jedoch nicht nur auf die sozialen Netzwerke. Azzazi ist regelmässig in Moscheen im deutschsprachigen Raum aufgetreten. Zudem bewirbt er Reisen nach Mekka. Kürzlich war er wohl in Mauretanien unterwegs. Auf Instagram wirbt er für Spenden für Flutopfer. Das Video wurde am 15. November publiziert. Ibrahim al-Azzazi wirkt weiter.