Nach einem langen juristischen und politischen Ränkespiel ist die sogenannte Blaue Moschee im deutschen Hamburg nun seit über einem halben Jahr geschlossen. Wenn man nun vor dem Gebäude steht, wirkt es immer noch so, als wäre die Moschee aktiv, lediglich am Zaun lagern Metallabsperrungen der Polizei, und im Garten stören vier Kameramasten eines privaten Sicherheitsdienstes das Bild. Das Gelände wird überwacht, niemand darf es betreten.
Doch abseits des ehemaligen Gotteshauses ist es nicht ruhig um das Gebäude – es ist zum Gegenstand eines internationalen Konflikts geworden: Politische, religiöse und andere Interessengruppen streiten um seine Zukunft. Angehörige der iranischen Diaspora in Hamburg etwa erheben Anspruch auf das Gebäude, sie sehen es als ihre „verlorene Heimat“. Vertreter schiitischer Gelehrter aus dem Irak versuchen, Einfluss zu nehmen. Der muslimische Dachverband Schura Hamburg möchte einbezogen werden, ohne selbst direkte Verantwortung zu übernehmen, während die ehemalige Gemeinde sich unter einem neuen iranischen Ajatollah organisiert, um Zugang zur Moschee zu erlangen. Selbst Gruppen, die ideologisch kaum zueinanderpassen – von iranischen Monarchisten bis zu kommunistischen Exilanten –, hegen Pläne für das Gebäude. Die Vorstellungen reichen von einer neuen Moschee bis zu einem Kulturzentrum.
Hamburgs Innensenator Andy Grote formulierte bereits einige Kriterien: Die Moschee soll weiterhin als religiöses und kulturelles Zentrum genutzt werden – jedoch völlig unabhängig von Teheran sein. „Der Staat darf das Gebäude deshalb auch nie wieder aus der Hand geben“, sagte er Ende August letzten Jahres. Erbaut wurde die Imam-Ali-Moschee einst von religiösen iranischen Kaufleuten. Nach der iranischen Revolution 1978 geriet sie unter die Kontrolle des Regimes. Seit 1993 beobachtete der Hamburger Verfassungsschutz das IZH, das zunehmend als verlängerter Arm der iranischen Theokratie wahrgenommen wurde. Der schiitische Verein geriet wegen seiner Aufrufe zur Teilnahme an antisemitischen Veranstaltungen wie dem Al-Kuds-Tag in die Kritik.
Ein Verbot, wie es aus Hamburgs Oppositionskreisen jahrelang gefordert wurde, schien aber dennoch lange undenkbar. Erst nach dem gewaltsamen Tod der kurdischen Iranerin Jina Mahsa Amini im September 2022, der massive Proteste im Iran und weltweit auslöste, wuchs der Druck auf die Bundesregierung und den Senat, gegen den Einfluss des iranischen Regimes in Deutschland vorzugehen. 2023 leitete Bundesinnenministerin Nancy Faeser Ermittlungen gegen das IZH ein. Am 16. November 2023 durchsuchten 800 Polizisten bundesweit 55 Objekte. Die Ermittler beschlagnahmten Hunderte Terabyte an Daten – darunter Dokumente, Fotos und Videos. Nach monatelanger Auswertung kam das Ministerium zu dem Schluss, dass das IZH die Terrormiliz Hisbollah unterstütze, aggressiven Antisemitismus propagiere und die sogenannte Islamische Revolution nach iranischem Vorbild nach Europa exportieren wolle. In der Verbotsverfügung wurde das IZH zudem zum Kopf eines bundesweiten Netzwerks erklärt, das Moscheen und Vereine in Frankfurt, Berlin und München umfasse. All diese Einrichtungen wurden geschlossen, und damit eben auch die Blaue Moschee in Hamburg.
Das IZH hat gegen das Verbot Klage eingereicht. Bis das Bundesverwaltungsgericht darüber entschieden hat, bleibt das Gebäude ungenutzt, und der Bund ist verpflichtet, es instand zu halten. Wie lange das Verfahren dauert, ist ungewiss. Erste Eilverfahren zu Einrichtungen in Frankfurt und Berlin sollen jedoch im ersten Quartal 2025 verhandelt werden, teilt eine Sprecherin des Gerichts mit. Einen natürlichen Partner hätte Hamburg: die Schura. Sie ist der muslimische Dachverband der Stadt und seit Jahren Vertragspartner Hamburgs. Durch einen Staatsvertrag ist die Schura verpflichtet, Integrationsaufgaben zu übernehmen und sich zur demokratischen Grundordnung zu bekennen. Gerade bereitet sich die Organisation darauf vor, in den kommenden Jahren Körperschaft des öffentlichen Rechts zu werden. Doch die Organisation hat nicht vor, das Gebäude zu übernehmen. Ihr Vorsitzender Fatih Yildiz favorisiert eine andere Lösung. „Die Schiiten der Stadt müssen sich selbst organisieren“, sagt er. Die Schura würde ihren „Geschwistern“ aber beratend zur Seite stehen.
Aktuell hätten sich Teile der alten Gemeinde zusammengefunden und planten, einen neuen Verein zu gründen. Dieser könnte dann in die Schura aufgenommen werden, sofern er nicht aus dem Ausland gesteuert werde. Man schätzt, dass das Verfahren am Bundesverwaltungsgericht bis zu zwei Jahre dauern könnte. Erst dann könnte der neue Verein der Schiiten in die Blaue Moschee ziehen.
Nach Recherchen der deutschen Wochenzeitung „Die Zeit“ aber soll es sich bei der Gruppe um Gläubige handeln, die sich um den Ajatollah Abbas Hosseini Ghaemmaghami formieren. Ghaemmaghami war zwischen 2004 und 2009 Leiter des IZH und soll heute zwischen Hamburg und dem Iran pendeln. Bis zu seinem Rücktritt bezeichneten ihn die Hamburger Verfassungsschützer als von der iranischen Führung eingesetzt mit dem Auftrag, die weltweite Verbreitung des islamischen Systems iranischer Prägung zu fördern. Dennoch galt Ghaemmaghami als vergleichsweise gemäßigt. In seinem 2010 veröffentlichten Buch über den Islam in Europa tritt er gegen Fundamentalismus ein. Es liest sich stellenweise wie ein Gegenentwurf zum iranischen Staat. Im Iran soll er sich mit dem Werk gar Feinde gemacht haben, erzählen Experten in Hintergrundgesprächen. In Hamburg betreibt er heute ein Institut, das seine Interpretationen zu Religionsfragen veröffentlicht.
Ein Vertreter des Büros von Ali al-Sistani, einem mächtigen irakischen Gelehrten, soll ebenfalls Interesse angemeldet haben, die Blaue Moschee zu übernehmen. Al-Sistani würde wohl die nötige Staatsferne zum Iran garantieren und das Geld mitbringen, das Gebäude zu unterhalten. Doch er gilt als konservativ: 2005 erließ er eine Fatwa, in der er die Tötung von Homosexuellen forderte, revidierte diese jedoch später. Die Kölner Professorin und Iranexpertin Katajun Amirpur hält nichts von den Überlegungen, wieder einem im Ausland tätigen Religiösen die Macht zu übergeben. Sie meint: Die Schura müsse im Fall der Fälle bereitstehen, für das Gebäude Verantwortung zu übernehmen. Schließlich seien in der Schura auch schiitische Moscheen Mitglied. Amirpur glaubt, die Schura allein könnte daraus ein Gotteshaus machen, das vielen Strömungen des Islam zugänglich wäre. Ihre Überlegungen hören sich nach einer Art Hamburger Hauptmoschee an.
Es ist gar nicht sicher, ob Hamburg überhaupt dabei mitsprechen kann, wer die Blaue Moschee einmal übernehmen wird, sollte es bei einem Verbot bleiben. Zwar teilte ein Sprecher des Innenministeriums nach der Schließung mit, man werde im „Einvernehmen“ mit der Stadt Hamburg die Zukunftsfrage klären – doch in zwei Wochen wird das deutsche Parlament neu gewählt werden. Ob die SPD danach das Ministerium noch anführt, ist fraglich.