Eine lange Kolonne von Streifenwagen schlängelt sich am 24. Juli durch Uhlenhorst, einen Stadtteil am Ufer der Hamburger Außenalster. Vor der Anschrift Schöne Aussicht 36 stoppen sie. Uniformierte steigen aus, sie tragen schwarze Sturmhauben, und öffnen die niedrige Pforte, hinter der sich zwei Minarette und eine mächtige blaue Kuppel in den Himmel erheben.
Die Imam-Ali-Moschee, im Volksmund Blaue Moschee genannt, ein ebenso prächtiges wie politisch umstrittenes schiitisches Gotteshaus. Kurz vor sechs Uhr beginnt der Zugriff der Beamten. Sie tragen Kartons, eine Kettensäge und eine Ramme. „Polizei!“, hallen Rufe über den Vorplatz der Moschee. Wenn die Beamten wieder fort sind, wird an der Eingangstür des Hauses wohl ein Polizeisiegel kleben, das den Zutritt untersagt. So kennt man es von anderen Verbotsverfahren.
Der Betreiber der Moschee, das Islamische Zentrum Hamburg (IZH), sei nun verboten, ebenso wie die hier ansässige Islamische Akademie Deutschland, bestätigt ein Sprecher des Bundesinnenministeriums am Morgen. „Die verfassungsfeindlichen Aktivitäten des Islamischen Zentrums Hamburg wurden heute beendet“, sagt Bürgermeister Peter Tschentscher (SPD) in einer Stellungnahme: „Radikaler Islamismus und Antisemitismus haben keinen Platz in einer weltoffenen, demokratischen und freien Hansestadt.“
Zeitgleich mit der Razzia in der Blauen Moschee durchsuchten Polizisten mehr als 50 weitere Gebäude in sieben Bundesländern, denn auch andere proiranische Vereine wurden verboten, darunter das Zentrum der Islamischen Kultur in Frankfurt am Main, das Islamische Zentrum Berlin sowie die Islamische Vereinigung Bayern in München.
In Hamburg dauert der Streit um das IZH nun schon seit fast drei Jahrzehnten an. Seit 1993 informiert der Verfassungsschutz des Stadtstaats in seinen Berichten jedes Jahr über die Umtriebe des Vereins. Im Kern sieht der Geheimdienst im IZH „ein wichtiges Instrument des Teheraner Regimes“, um einen antidemokratischen und antisemitischen Islam in Europa zu verbreiten. So steht es in dem aktuellen Bericht aus dem vergangenen Jahr. Auch soll das IZH die in Deutschland verbotene Terrororganisation Hisbollah unterstützt haben.
Die Betreiber der Blauen Moschee widersprechen dieser Darstellung: Sie geben sich nach außen hin gemäßigt und behaupteten zuletzt in der vergangenen Woche in einem Interview, sie würden nur eine schiitische Moschee und ihre Gemeinde leiten.
„Das IZH ist eine wichtige, eindeutig von Teheran gesteuerte Vertretung des iranischen Regimes in Europa“, sagt hingegen Torsten Voß, der Präsident des Verfassungsschutzes. Er weist etwa darauf hin, dass das IZH das Buch „Der Islamische Staat“ von Ruhollah Khomeini vertreibe. Khomeini hatte die Islamische Revolution im Jahr 1979 angeführt und bis zu seinem Tod zehn Jahre später als Diktator über den Iran geherrscht. Sein Buch sei auch heute noch ein „bindender ideologischer Grundpfeiler“ des dortigen Regimes und predige die Steinigung von Frauen, das Auspeitschen von religiösen Abweichlern und die Tötung von Homosexuellen. Damit stehe es im „diametralen Gegensatz zur freiheitlichen demokratischen Grundordnung des Grundgesetzes“.
Dass die Blaue Moschee mit dem islamistischen Regime nicht nur sympathisiere, sondern dessen Außenstelle in Deutschland sei, zeige etwa ein Schreiben, das vom Verfassungsschutz abgefangen worden sei. Darin werde der Leiter des IZH, Mohammad Hadi Mofatteh, als Vertreter des iranischen Religionsoberhauptes und Staatschefs Ali Khamenei bezeichnet. Voß bezeichnet ihn als einen „versiert geschulten Vertreter des iranischen Regimes und einen weisungsgebundenen Statthalter des Revolutionsführers Ali Khamenei“.
Die Kritik an der Blauen Moschee gewann aber an Dynamik seit dem September 2022. Damals wurde in Teheran die kurdischstämmige Iranerin Jina Mahsa Amini von der sogenannten Sittenpolizei festgenommen. Sie hatte angeblich ihr Kopftuch nicht richtig aufgesetzt. Auf dem Weg zur Polizeistation wird sie geschlagen. Wenig später bricht sie zusammen und stirbt.
Ihr Tod löste eine der größten Protestwellen im Iran seit Gründung 1979 aus. Auf die Straße gingen vor allem junge Iranerinnen und Iraner, die für mehr Freiheitsrechte und gegen das religiöse Regime protestierten. Auch in Deutschland entstand eine Bewegung: Künstler und Wissenschaftler formulierten Protestbriefe, Frauen schnitten sich aus Solidarität die Haare ab, in Berlin demonstrierten rund 80.000 Menschen gegen die Machthaber im Iran.
Am 9. November 2022 reagierte die Politik in Deutschland. Die Abgeordneten des Bundestages stimmten einem Antrag der Ampelkoalition mit dem Titel „Protestbewegung im Iran unterstützen – Druck auf das Regime in Teheran erhöhen“ zu. Darin forderten die Parlamentarier, dass die Regierung prüfen solle, wie das IZH in Hamburg geschlossen werden könne. So beschäftigte das IZH auch Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) und ihre Behörde. Die Beamten prüften nun den Verdacht, ob und wie die Aktivitäten des IZH gegen die verfassungsmäßige Ordnung in Deutschland und den Gedanken der Völkerverständigung verstoßen könnten. Der Hamburger Verfassungsschützer Torsten Voß formuliert es so: „Das brutale Vorgehen des iranischen Regimes gegen friedliche Protestbewegungen, die Missachtung von Menschenrechten und die Rolle des Iran bei internationalen Konflikten“ habe das IZH als Vertretung des Irans „stärker ins politische Bewusstsein gerückt“.
In Hamburg bezeichnete die Zweite Bürgermeisterin Katharina Fegebank (Grüne) die Betreiber der Blauen Moschee als „Gegenpol zu unserer freiheitlich-demokratischen Grundordnung“, denn sie stünden „für Repressionen und Missachtung von Menschenrechten“. Damit klinkte sie sich in die Debatte um den Islamverband Schura ein, in dem das IZH damals Mitglied war.
Die Schura ist das wichtigste Sprachrohr der Musliminnen und Muslime in Hamburg, seit 2012 sind Schura und Stadt mit einem Staatsvertrag verbunden. Über diesen Vertrag darf die Schura beispielsweise mitbestimmen, was im Religionsunterricht an Hamburgs Schulen gelehrt wird. Dass das IZH Mitglied der Schura war, stieß auf Kritik sämtlicher Parteien in der Bürgerschaft, dem Landesparlament Hamburgs. Das IZH verließ daraufhin freiwillig die Schura, wohl auch um einem Ausschluss zuvorzukommen, wie es aus dem Verband damals geheißen hatte.
Bis zum 16. November 2023 passierte . Rund 800 Polizisten rückten am Morgen dieses Tages beim IZH und fünf weiteren Vereinigungen zur Razzia an. In insgesamt sieben Bundesländern wurden 54 Wohnungen, Häuser und Moscheen durchsucht. An der Durchsuchung nahmen auch Beamte des Bundeskriminalamtes und der Bundespolizei teil. Sie stellten größere Mengen Bargeld, Mobiltelefone, Laptops und USB-Sticks sicher. Vor der Blauen Moschee waren damals Lastwagen zu sehen, mit denen das beschlagnahmte Material abtransportiert wurde.
Seit diesem Tag haben sich viele Beobachter in Hamburg gefragt, was die Beamten des Bundesinnenministeriums gefunden haben. Heute sind Spekulationen über diese Frage beendet. Verfassungsschützer Voß sagte, seine Behörde habe mit „neuen Erkenntnissen“ dazu beigetragen, dass das Verbotsverfahren „nun erfolgreich war“. Er meint etwa belastende Briefe, die allerdings bereits vor mehreren Jahren gefunden worden waren.
Ob das IZH gegen das Verbot rechtlich vorgeht, ist noch nicht bekannt. Es könnte Klage gegen den Staat am Bundesverwaltungsgericht in Leipzig einreichen. Später wäre sogar ein Gang zum Bundesverfassungsgericht möglich.
Alle Veröffentlichungs- und Urheberrechte sind dem MENA Research Center vorbehalten.