Die Messenger-App „Telegram“ verspricht, sicher vor Zugriff ungebetener Leser zu haben. Die Kommunikation wird verschlüsselt übertragen, somit haben Behörden keinerlei Zugriff auf die Daten. Mit dem Dienst kann nicht nur eine Nachricht von A nach B gesendet werden, die sogenannten Gruppen-Chats ermöglichen die Kommunikation mit Hunderten, Tausenden von Nutzern eines speziellen Kanals.
In autoritären Regimen wird der Dienst dazu genutzt, Proteste zu organisieren, ohne dass die Staatsmacht davon Wind bekommt. Jedoch sind es auch extremistische Gruppierungen, die Telegram nutzen. Bestes Beispiel sind die Machenschaften der mutmaßlichen „Reichsbürger“- und Verschwörungs-Umstürzler in Deutschland, die über die App Umsturzversuche, Anschläge planen und kommunizieren. Nicht nur die extreme Rechte nutzt die App, auch Terroristen des sogenannten Islamischen Staats (IS) machen seit Jahren Dschihad-Propaganda, rekrutieren Neulinge, vernetzen sich über Telegram, werben auch für Spenden unter ihren Unterstützern. MENA Research Center berichtete bereits darüber im letzten „Europa Monitoring“.
Dort berichteten wir auch, wie die deutsche Polizei mit einer Großrazzia gegen ein solches Helfernetzwerk von Islamisten vorgegangen ist. Mehr als 1.000 Polizisten durchsuchten mehr als 100 Wohnungen in deutschen Städten. Die sieben Verhafteten, vorwiegend deutsche Staatsbürger, sollen Geld für IS-Kämpfer in Nordsyrien gesammelt und es dorthin weitergeleitet haben. Das teilte die für Terrorverfahren zuständige Bundesanwaltschaft mit. Ermittelt wird dazu auch gegen Dutzende Menschen, die eben dieses Geld gespendet haben sollen.
Das IS-„Kalifat“, das von der Terror-Organisation bis 2015 in Syrien und im Irak erobert wurde, ist seit 2019 Geschichte. Viele Kämpfer und ihre Angehörigen wurden getötet, doch noch immer leben Zehntausende in Flüchtlings- beziehungsweise Gefangenenlagern vor allem in den kurdisch kontrollierten Gebieten in Nordsyrien.
Allein im Lager „Al-Hol“ halten sich etwa 50.000 bis 60.000 Menschen auf, die meisten von ihnen Frauen und Kinder, die aus den einstigen IS-Gebieten geflohen sind. Sie sind aber nicht allein, denn ihr Nachbar im Camp könnte auch ein früherer Peiniger sein: Dort leben eben auch noch Tausende ehemalige oder noch immer radikale und gewaltbereite Kämpfer.
Das über Telegram gestartete Spendennetzwerk soll nun nach deutschen Sicherheitsbehörden dazu gedient haben, genau diesen Kreis von Terroristen finanziell unter die Arme zu greifen. Schon seit Jahren gibt es in den sozialen Medien Spendenaufrufe mit Titeln wie „Deine Schwester im Camp“. Diese Kampagne wurde auf Telegram mit Posts wie diesem beworben: „Wenn Allah dich fragt, was du mit dem Vermögen, welches er dir gegeben hat, gemacht hast, was wirst du antworten?“ Der deutsche Verfassungsschutz warnte schon 2021, dass solche Spendenaufrufe dazu dienten, zum einen die Menschen in den Lagern zu unterstützen und ihre Situation vor Ort mit Geld und Hilfsgütern zu verbessern, zum anderen sollten mit dem Geld aber auch Menschen aus den Lagern freigekauft oder Schleuser bezahlt werden.
Telegram ist für solche Aufrufe beliebt, weil das Netzwerk eben mit absoluter Diskretion gegenüber Ermittlungsbehörden wirbt. Nur haben die Betreiber ihre strikte Linie in den vergangenen Jahren etwas aufgeweicht – zumindest bei Ermittlungen, die sich gegen mutmaßliche Kämpfer und Unterstützer islamistischer Terrorgruppen richten. Schon in einigen Verfahren hat Telegram Nutzerdaten mutmaßlicher IS-Leute weitergegeben.
Die deutschen Fahnder sind bei ihren Ermittlungen auf zwei Frauen gestoßen, die von Syrien aus eine solche Spendenkampagne organisiert haben sollen. Seit 2020 haben sie demnach auf Telegram um Geld gebeten. Auch gegen die beiden wird ermittelt, sie sind jedoch bislang nicht verhaftet worden. Dem Generalbundesanwalt zufolge sammelten sie Geld ein, dazu stellten sie Konten und „digitale Spendenkassen“.
Insgesamt sind offenbar mindestens 65.000 Euro zusammengekommen, die einerseits als Hilfsleistungen in Lagern landeten, in Al-Hol und Roj, wo noch etwa 3.000 Menschen leben. Andererseits dienten sie den Fahndern zufolge auch zur Fluchtfinanzierung. Offiziell ist der Hauptvorwurf gegen die Festgenommenen die Unterstützung einer terroristischen Vereinigung im Ausland.
Vereinzelt gab es wegen derartiger Spendenaktionen schon Urteile. So verhängte ein Gericht im Februar 2023 wegen IS-Unterstützung eine Freiheitsstrafe von zwei Jahren und neun Monaten gegen eine 31-Jährige Islamistin. Der irakische Ehemann der Frau wurde wegen Mitgliedschaft im IS zu einer Freiheitsstrafe von sechs Jahren verurteilt. Beide hatten laut Gericht über Verbindungspersonen Spendenaktionen organisiert bzw. unterstützt, die auch IS-Frauen in kurdischer Gefangenschaft zugute kamen oder zugute kommen sollten.
Eine Methode der Verurteilten war das sogenannte Hawala-Banking – ein altertümliches Geldüberweisungssystem, mit dem Bargeld schnell und weitestgehend anonym außerhalb des staatlich genehmigten Bankensystems gegen eine Provision transferiert wird. Dieses inoffizielle System wird für an sich legale, aber auch für illegale Transfers genutzt. Von dem Geld soll auch eine Frau profitiert haben, der die Flucht aus dem Gefangenenlager geglückt war und die sich jetzt in Idlib in Nordwestsyrien aufhalten soll. Ausgerechnet jenes Gebiet, wo sich nach wie vor Kämpfer al-Qaida-naher Gruppen tummeln – darunter auch Deutsche, die ebenfalls via Telegram Spendenaktionen organisieren. Auch in solchen Fällen wurden zuletzt immer wieder Freiheitsstrafen gegen Terrorunterstützer verhängt.
Längst ist in der Islamisten-Szene bekannt, dass wegen Geldtransfers ermittelt wird. Szeneangehörige warnen deshalb immer wieder auf Telegram. „Eine Person sammelt Gelder ein und bietet dann ein Bankkonto oder andere unsichere Zahlungswege an. Die Behörden sind im Internet sehr aktiv und haben zusätzlich ihre Laufhunde,“, heißt es etwa in einem Anfang Mai verfassten Eintrag in einem IS-Telegram-Kanal. Es bestehe die Gefahr, dass einer Person Terrorfinanzierung unterstellt werde, „bloß“ weil man „einigen armen Schwestern helfen“ wollte. Es sei deshalb anzuraten, von „anonymen Methoden der Geldübermittlung“ Gebrauch zu machen.
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