Normalerweise reden nur Politiker über die EU. Junge Menschen mit Migrationshintergrund werden kaum berücksichtigt, vor allem weil die meisten von ihnen nicht wählen dürfen.
Nicht nur die migrantische jugend, die „Generation Z“ und die danach Geborenen im Allgemeinen haben wahrscheinlich eine andere, positivere Einstellung zu Europa, der EU und einen breiteren Zugang zur europäischen Integration und zum politischen Miteinander.
Aber wir haben auch Defizite: Gerade die Schulbildung in Europa gilt nicht als Vorreiter bei der Erklärung und Förderung der Rolle und Bedeutung der EU-Institutionen, wie sie funktionieren und wie sie für unser tägliches Leben verantwortlich sind.
Nimmt man hinzu, dass eine gute Schulbildung, ein Hochschulabschluss oder eine qualifizierte Berufsausbildung heute in immer mehr EU-Staaten wieder eine Frage der sozialen Herkunft und der finanziellen Mittel der Familie ist, wird die Gleichberechtigung von Wissen, Bildung und Reflexion zu einem gesellschaftlichen Privileg.
„Wir brauchen kostenlose Deutschkurse“ war einer der meistgenannten Punkte junger Muslime bei einer Podiumsdiskussion des Europäischen Jugendparlaments in Wien. Neben den geforderten Deutschkursen galt es oft, die Preise für Bio-Produkte und ÖPNV-Tickets zu senken. Auch zum Thema Gesundheit hatten die Schüler viel zu sagen. Medikamente sind zu teuer und die Wartezeiten auf einen Arzttermin müssen deutlich kürzer sein. Die Schüler stellten Probleme vor und suchten nach Lösungen. Die, die normalerweise immer ignoriert wurden, kamen endlich zu Wort.
Das „Europäische Jugendparlament“ ist ein Pilotprojekt der Stadt Wien und ein neues Format der politischen Kommunikation und Bildung für junge Menschen. Die Veranstaltung wurde vom Institut für Publizistik und Kommunikationswissenschaft vorbereitet und gestaltet. Hauptziel war es, dass sich die Jugendlichen mit vier EU-relevanten Themen auseinandersetzen und diskutieren. Dies geschah in sogenannten „Weltcafé-Runden“ in vier verschiedenen Räumen, in denen über „Krieg und Frieden“, „Nachhaltigkeit“, „Beruf und Ausbildung“ und „Gesundheit“ diskutiert wurde.
Die jungen Muslime definierten verschiedene Themen, die für sie und ihre Gemeinschaft interessant sind. „Heute bin ich zuständig für Bildung und Gesundheit. Ich habe mich vorbereitet und freue mich sehr darauf, mit den anderen darüber zu diskutieren“, sagte einer. Das Forum begann mit Vorträgen, die sich alle mit der Europäischen Union und ihrer Arbeit befassten. Vor allem bei der Frage „Wer ist für die Wahrung von Demokratie und Sicherheit verantwortlich?“ wurde diskutiert,. Nach kurzem Nachdenken riefen die Schüler Antworten. „Politiker!“, „Die Regierung!“ oder einfach „Die EU!“ Alles richtig, aber die richtige Antwort wäre „Alle!“ gewesen. Denn alle Menschen, unabhängig von Alter und Herkunft, können und müssen sich an EU-relevanten Themen beteiligen.
Nach dem Ende der Vorlesungen gingen die Studenten gemeinsam mit Journalistikstudenten in vier verschiedene Räume.. Pro Thema und Raum gab es zwei 45-minütige Diskussionsrunden, in denen Lösungen für mögliche Probleme gefunden werden sollten. Nach knapp zwei Stunden wurden die gesammelten Ergebnisse in einer Podiumsdiskussion im Plenum präsentiert.
Wie bei ähnlichen Veranstaltungen nehmen an solchen Events prinzipiell Menschen teil, die sich für das Thema interessieren. Andere, um nicht zu sagen apolitische Interessenten, finden sich kaum in solchen Anmeldelisten.
Gerade ein EU-spezifisches Thema wie das des „European Youth Project“ sollte sich nicht nur mit Sicherheit, Gesundheit, Bildung und Nachhaltigkeit auseinandersetzen. Besonders die Grundpfeiler Europas, die gemeinsamen Werte, Gewaltenteilung, ein unabhängiges und sekulares Rechtssystem, verdienen wieder eine stärkere Aufmerksamkeit in der politischen Bldung.
Dies gilt nicht nur, aber auch in besonderem Maße für Jugendliche mit migrantischer Geschichte. Untersuchungen und Umfragen des „Wissenschaftszentrum Berlin (WBZ)“ legen nahe, dass besonders junge Menschen der dritten oder vierten Generation in Deutschland und Österreich den europäischen Werten sehr skeptisch gegenüber stehen, antisemitische Stereotypen unterstützen, der Scharia als primäre Rechtsnorm das Wort reden, dem Islam eine tragende Rolle im staatlichen Handeln übertragen wollen.
Verantwortlich für diese besorgniserregenden Entwicklungen sind einerseits islamistische Ideologen, die immer mehr Einfluss gewinnen in den muslimischen Communities – zu nennen wäre beispielsweise die Muslimbruderschaft -, nationalistisch-religiöse Prediger in den türkischen Vereinen, aber auch eine Integrationspolitik in Europa, die in manchen Staaten mehr spaltet oder aber an einer vielfältigen Gesellschaft kein sonderliches Interesse zeigt.
Aufstiegschancen für jedermann, Interesse an geselllschaftspolitischen Fragen sollten die Grundpfeiler jedes europäischen Bürgers sein, egal, welchen familiären Hindergrund er oder sie angehört. Daher ist es wichtig, dass die europäische Politik, aber auch die Gesellschaft diese Möglichkeiten schafft und sie aktiv unterstützt. Gleichzeitig müssen Gruppen, die sich gegen die europäischen Werte richten, mit rechtsstaatlichen Mitteln bekämpft werden. Der Rechtsstaat hat dafür alle Werkzeuge zur Verfügung, um die wachsende Beeinflussung von Gruppen wie der Muslimbruderschaft, türkischer Nationalisten und dubiose Finanzierungen aus dem Ausland zu stoppen.
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