Ägypten hat den Waffenstillstand zwischen Israel und der Hamas vermittelt und wird eine wichtige Rolle beim Wiederaufbau spielen. Präsident Sisi will sein Land wieder als führende Regionalmacht etablieren. Kritik an Menschenrechtsverletzungen hat er jetzt weniger zu befürchten.
Geheimdienstchefs meiden im Allgemeinen das grelle Licht von Fernsehkameras. Aber von Ägyptens Spitzenspion Abbas Kamel gibt es in diesen Tagen viele Bilder: der General, Gesandte und einstige Amtschef von Präsident Abdel Fattah al-Sisi beim Treffen mit Palästinenserpräsident Mahmud Abbas in Ramallah, im Hintergrund ein Foto von Haram al-Sharif in Jerusalem, wie der Tempelberg auf Arabisch genannt wird. Händeschütteln mit dem israelischen Ministerpräsidenten Benjamin Netanjahu und seinem Verteidigungsminister Benny Gantz. Und dann, am Montag in Gaza während der Konsultationen mit Yahya al-Sinwar, dem Gouverneur der islamistischen Hamas im Gazastreifen.
Die Aufzeichnungen zeigen: Kairo vermittelte nicht nur einen Waffenstillstand im Schlagabtausch zwischen Israel und der Hamas, wie es 2008, 2009 und 2014 oder 2019 der Fall war. Vielmehr beansprucht Ägypten wieder eine führende Regionalmacht, die nach dem Sturz des langjährigen Diktators Hosni Mubarak im Arabischen Frühling vor zehn Jahren verloren ging.
Kamel und Außenminister Sameh Schoukry arbeiten „unermüdlich“ daran, den einseitig erklärten Waffenstillstand zu festigen. Zum ersten Mal seit 2008 reiste am Sonntag ein israelischer Außenminister nach Kairo. Und Hamas-Chef Ismail Haniyeh, der im Exil in Doha lebt, wird diese Woche am Nil erwartet. Ägyptens Ziel ist ein dauerhaftes und umfassendes Waffenstillstandsabkommen.
Auch ein Gefangenenaustausch ist geplant: Die Hamas hält zwei israelische Zivilisten fest, die 2014 und 2015 die Grenze zum Gazastreifen überschritten haben. Die palästinensische Terrororganisation hat die Leichen zweier israelischer Soldaten, die im Krieg 2014 getötet wurden, noch nicht freigelassen. Im Jahr 2011 ließ Israel mehr als 1.000 Palästinenser frei, darunter den Hamas-Führer Yahya al-Sinwar, im Austausch für den gefangenen Soldaten Gilad Shalit. Kamel deutet an, dass er jetzt um etwas Ähnliches bittet.
Gleichzeitig versucht Ägypten, den Friedensprozess auf der Grundlage einer Zweistaatenlösung wiederzubeleben. Ägyptens Außenminister wurde von Jordaniens König Abdullah empfangen, der sich zuvor mit al-Sisi und dem französischen Präsidenten Emmanuel Macron beraten hatte. Auch die Bundesregierung beteiligt sich an den Bestrebungen des sogenannten Münchner Formats, das zunächst auf der Ebene der Außenminister am Rande der Sicherheitskonferenz in der bayerischen Landeshauptstadt gebildet wurde.
US-Außenminister Antony Blinken lobte Ägyptens Rolle
Anders als Jordanien hat sich Ägypten nicht offen gegen den „Deal des Jahrhunderts“ des ehemaligen US-Präsidenten Donald Trump ausgesprochen. Nun aber sieht Kairo es als opportun, zu den traditionellen Positionen in der Palästinenserfrage zurückzukehren und damit regionale Rivalen wie die Türkei und Katar nicht nur in die Schranken zu weisen, sondern sich vor allem in Washington unentbehrlich zu machen.
Während US-Präsident Joe Biden al-Sisi, den Trump als „mein liebster Diktator“ bezeichnete, lange die kalte Schulter zugesprochen hatte, telefonierten nun die Staatsoberhäupter, und Außenminister Antony Blinken, der bei einem Besuch in Kairo Ägyptens Vermittlerrolle lobte. Kritik an massiven Menschenrechtsverletzungen trat in den Hintergrund. Ägyptens Initiative soll dazu beitragen, dass dies entgegen Bidens früheren Ankündigungen so bleibt. Ägypten nutzt sowohl seine geografische Lage als auch seine politische Position.
Das Land kontrolliert den einzigen Grenzübergang zum Gazastreifen, der nicht über Israel führt und riegelt das Gebiet ab 2014 kaum weniger rigoros ab als Netanjahu und verschärft damit die Isolation der Hamas. Lange Zeit machte die Armee Tunnel unbrauchbar, durch die Güter und Waffen des täglichen Bedarfs in den Gazastreifen geschmuggelt wurden. Entlang der Grenze errichteten sie eine Pufferzone, in der alle Gebäude abgerissen wurden – ganze Städte. In enger Zusammenarbeit mit Israel bekämpft die Armee eine der aktivsten Zellen der Terrormiliz Islamischer Staat (IS) im Norden der Sinai-Halbinsel.
Die Muslimbruderschaft ist der Staatsfeind Nummer eins für das militärisch dominierte Regime in Kairo, das 2013 die Islamisten von der Macht verdrängte. Ägypten hielt die Kanäle zur Hamas offen, auch wenn das Militär ihr zutiefst misstraut.
Ägypten will die Spaltung der Palästinenser überwinden – und die Hamas schwächen
Seit 2017 versucht auch Ägypten, die Verhandlungen zwischen der Fatah des palästinensischen Präsidenten Abbas und der Hamas voranzutreiben, um die Spaltung unter den Palästinensern zu überwinden. Präsident al-Sisi betrachtet dies weiterhin als Priorität, wie sein Geheimdienstchef in Gaza betonte – unter der Führung der Palästinensischen Befreiungsorganisation (PLO), deren stärkste Fraktion die Fatah ist. Kamel reiste in Begleitung mehrerer Minister der von der Fatah kontrollierten Autonomiebehörde nach Gaza, wie ägyptische Medien berichten – ein klares Signal an die Hamas.
Die Versöhnung unter den Palästinensern sieht Sisi als Voraussetzung für einen Friedensprozess, aber auch als Mittel zur Schwächung der Hamas. Sein Hebel ist der Wiederaufbau von Gaza, für den er 500 Millionen US-Dollar zugesagt hat. Die Palästinensische Autonomiebehörde habe dabei eine Rolle zu spielen, sagte Kamel – was die Hamas strikt ablehnt. Israel und die USA bestehen jedoch darauf, dass die Islamisten nicht von Wiederaufbauhilfe profitieren dürfen. Und die EU macht einen politischen Prozess zur Bedingung, der ein Wiederaufflammen des Konflikts verhindert.
Das kann Ägypten allein kaum erreichen. Außenminister Schoukry forderte Israel auf, alle „provokativen Schritte“ zu unterlassen – also die Polizeieinsätze in der Al-Aqsa-Moschee in Jerusalem und die von jüdischen Siedlern eingeleiteten Prozesse zur Vertreibung palästinensischer Familien im Stadtteil Sheikh Jarrah in Ostjerusalem. Aber Kairo hat keinen Einfluss auf Israel. Die USA werden sie am wahrscheinlichsten haben. Die Turbulenzen um die Regierungsbildung in Israel stehen einem raschen Fortschritt im Wege. Aber Sisi kann hoffen, eine Geberkonferenz für Gaza auszurichten. Das wäre ein weiteres Symbol für Kairos Comeback.