Katar spielte bislang eine wichtige Rolle beim Austausch der Geiseln zwischen Israel und der Hamas-Terroristen. Die Frage nach dem Einfluss des kleinen Emirats am Persischen Golf auf die Terror-Brigaden in Gaza, aus der Muslimbruderschaft hervorgegangen, sowie die Auseinandersetzung der westlichen Staatengemeinschaft mit dem autoritär regierten Staat sollte etwas genauer beleuchtet werden.
Die ersten Frauen und Kinder, die von der Hamas am 7. Oktober verschleppt wurden, sind mittlerweile wieder frei. Israels Regierung hatte zwischenzeitlich einer mehrtägigen Feuerpause im Gegenzug für die Freilassung von israelischen Geiseln zugestimmt. Die Hamas bestätigte den Deal und kündigte zudem die Freilassung von palästinensischen Häftlingen an. Und alle baten Katar um Vermittlung „Wir sind einer Einigung so nahe wie nie zuvor“, kündigte der Sprecher des Außenministeriums von Katar an. Das Land am Golf gilt seit dem Terroranschlag der Hamas am 7. Oktober und dem israelischen Gegenschlag als aussichtsreichster Vermittler. Das Emirat unter der Führung von Tamim bin Hamad al-Thani hat gute Drähte zu allen Konfliktparteien. Es beherbergt die politische Führung der Terrorgruppe Hamas und unterhält stabile Kontakte zu Iran. Mit dem jetzigen Erfolg schärft das kleine Emirat außerdem sein Profil als unentbehrlicher Vermittler. Doha präsentiert sich als Akteur, der in heiklen Angelegenheiten mit Kräften spricht, mit denen im Westen keiner sprechen wollte; mit den Taliban zum Beispiel und eben mit der Hamas. Emir Tamim bin Hamad Al Thani, der 2013 die Macht in Qatar übernahm, hat die Außenpolitik seines Landes, das zu den reichsten der Welt gehört, darauf ausgerichtet.
Auf der Al Udeid Air Base, dem Stützpunkt der katarischen Luftstreitkräfte, sind US-amerikanische Truppen stationiert. Auch zu Israel, das in Doha ein Handelsbüro hat, unterhält Katar gute Beziehungen. Mit dem Ukraine-Krieg wuchs die Bedeutung des Emirates als Gaslieferant, es hat weltweit die drittgrößten Reserven. Aber erst durch den Krieg in Gaza scheinen sich die Ambitionen des Emirs zu verwirklichen, auf der globalen Ebene eine wichtige Rolle zu spielen. Immer wieder reisten in den vergangenen Wochen Spitzenpolitiker aus aller Welt nach Doha, von US-Außenminister Antony Blinken über die Deutsche Annalena Baerbock bis zum iranischen Außenminister Hossein Amir-Abdollahian. Alle baten Katar um Vermittlung.
Die Verhandlungslösung ist für Katar selbst dann ein großer Erfolg, wenn nicht alle Geiseln freikommen. Auch die Türkei und Ägypten hatten um die Vermittlerrolle gebuhlt. Für den Emir sind der Waffenstillstand und die Freilassung auch deshalb wichtig, weil zuletzt die Kritik daran gewachsen war, dass Katar Hamas-Führer wie Ismail Hanija beherbergt und die Terrororganisation lange finanziert hat. Mitte Oktober sagte US-Außenminister Blinken bei einem Besuch in Doha, mit der Hamas-Präsenz in Katar könne es nicht so weitergehen. Auch EU-Vertreter kritisierten, das Emirat habe nicht alle seine Möglichkeiten genutzt, um auf die Terrorgruppe einzuwirken. Katar entgegnete stets, dass die Gelder an die Hamas mit Zustimmung Israels geflossen seien, das so die rivalisierende Palästinensische Autonomiebehörde schwächen wollte. Und die Ansiedlung der Hamas am Golf sei 2012 auch mit Zustimmung der USA geschehen. Die politische Führung der Hamas war lange in Syrien verortet und musste, als sie sich im Arabischen Frühling gegen den syrischen Diktator Baschar al-Assad stellte, eine neue Zentrale suchen. Die USA favorisierten den Umzug nach Katar, weil sie zu dem Emirat bessere Beziehungen pflegten als etwa zu Libanon, das für die Hamas auch infrage gekommen wäre.
In der Wahrnehmung auf das autoritäre Katar wissen jedoch alle, dass das Emirat auch auf der anderen Seite steht. Es gab Zeiten, in denen Qatar infolge der Arabellion von 2011 die islamistische Muslimbruderschaft förderte, um seinen Einfluss zu mehren. Einflussreiche Kreise unterstützten zudem dschihadistische Islamistengruppen in Syrien. So gab es in den vergangenen Wochen nicht nur Lob für Qatars Vermittlungsarbeit. Doha war auch mit Kritik konfrontiert, die Hamas zu unterstützen und zu finanzieren, die dort seit mehr als zehn Jahren ein politisches Büro unterhält.
Jetzt, da die ersten Geiseln freigelassen wurden, richtet sich in Katar der Blick auf ein mögliches Ende des Krieges in Gaza. „Mit dieser Vereinbarung wählen beide Seiten zum ersten Mal den diplomatischen Weg und ziehen es nicht vor, die Kämpfe fortzusetzen, die so viel Schmerz und Leid über unschuldige Zivilisten gebracht haben. Wir hoffen, dass diese Vereinbarung den Weg für ein nachhaltiges Ende des Krieges ebnen kann“, lauten den Stellungnahmen von offizieller Seite aus Doha. Nach dem Krieg müsse die internationale Gemeinschaft zusammenkommen, um einen umfassenden politischen Prozess zu unterstützen, der geeignet sei, den jahrzehntelangen Konflikt zwischen Israel und den Palästinensern „endlich zu beenden“. Auch westliche Spitzendiplomaten sehen in dem diplomatischen Erfolg in der Geiselfrage einen möglichen Türöffner für weiterreichende Verhandlungen.
Groß ist auch der Gegensatz in der Haltung zum palästinensisch-israelischen Konflikt. Katar ist ein so glühender Verfechter der palästinensischen Sache, dass die Verurteilung des Hamas-Terrors in den öffentlichen Erklärungen für viele westliche Zuhörer zu kurz kommt. Zugleich herrscht in Doha Unverständnis für die Haltung der amerikanischen oder deutschen Regierung, die beide das Selbstverteidigungsrecht Israels hervorheben. Ende Oktober erklärte der Emir in Anwesenheit ausländischer Botschafter: „Es ist nicht hinnehmbar, dass Israel bedingungslos grünes Licht und einen Freibrief zum Töten erhält, und es ist auch nicht hinnehmbar, dass die Realität der Besatzung und der Siedlungen weiterhin ignoriert wird.“ Mitarbeiter seiner Regierung erklären, Sympathie für die palästinensische Sache sei Teil der katarischen DNA. „In Katar ist man stolz darauf, ein Land zu sein, das sich selbst und die Palästinenser nie verraten hat“, heißt es.
In Doha herrscht – wie in anderen arabischen und westlichen Regierungen – indes große Skepsis, was die Aussichten auf die angestrebte Zweistaatenlösung betrifft. Für eine Beteiligung an einer Übergangslösung in dem Küstenstreifen will derzeit keine arabische Regierung zur Verfügung stehen. Jordanien hat eine arabische Friedenstruppe kategorisch ausgeschlossen. Aus Saudi-Arabien wird signalisiert, unter den gegebenen Umständen habe man kein Interesse daran, politisches Kapital in Gaza zu investieren. Regierungsmitarbeiter in Doha äußern sich ähnlich, aber weniger kategorisch. Es heißt lediglich, das Ausmaß der Verwüstung und des Mordens in Gaza mache ein Übergangsengagement für die Länder der Region „sehr schwierig“.
Wenn jetzt die katarische Führung sagt, der Gesprächskanal zur Hamas sei über die Jahre „ein effektiver Kanal für Vermittlung“ gewesen, schwingt Genugtuung darüber mit, den Kritikern einem handfesten diplomatischen Erfolg entgegenhalten zu können, ebenso wie über die Dankbarkeit in westlichen Hauptstädten wie Washington und Berlin. Sollte nach dem Krieg im Gazastreifen die Forderung erhoben werden, das Hamas-Büro zu schließen, dürfte diese auch nicht auf Fundamentalopposition stoßen. Katar hebt in dieser Frage bloß das Risiko hervor, dass in einem solchen Fall der katarische Kanal damit gekappt sein könnte.
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