Mit der aktiven Mithilfe Katars brachte Deutschland kürzlich 28 Straftäter nach Kabul. Losgehen sollte es vom Flughafen Leipzig an einem frühen Morgen mit einem Charterflugzeug von Qatar Airways. Schon vor Wochen hatten die deutschen Bundesländer Listen mit Namen von afghanischen Mehrfach- und Intensivstraftätern, die ihre Strafe schon zum Großteil verbüßt hatten, an das Bundesinnenministerium gemeldet. Dann hatte es gedauert. Schließlich teilte das Innenministerium den Ländern mit, wer nach Kabul geflogen werden soll. Ein Land hatte mehr als 20 Personen gemeldet, nur eine kam jedoch ins Flugzeug. Insgesamt waren es 28 Personen.
Den Ländern war aus Berlin dann signalisiert worden, dass es einen Abschiebeflug geben könnte. Aus Sicherheitskreisen eines Bundeslandes heißt es, man habe sich dann um eine richterliche Verfügung bemüht, um die abzuschiebende Person, einen verurteilten Vergewaltiger, in Sicherheitsgewahrsam zu nehmen. Obwohl der Richter nicht wusste, wann der Flug gehen und wie lange die Person in Gewahrsam sitzen würde, machte er mit. Als das Flugzeug dann in der Luft war, machte sich in der Politik Erleichterung breit. „Wir haben angekündigt, dass wir auch Straftäter nach Afghanistan wieder abschieben werden. Das haben wir sorgfältig vorbereitet, ohne groß darüber zu reden, weil solches Vorhaben ja nur gelingt, wenn man sich da Mühe gibt, wenn man es sorgfältig und sehr diskret macht. Heute ist das erfolgt“, sagte Bundeskanzler Olaf Scholz. Vor zwei Monaten, nach dem Mord eines Afghanen an einem Polizisten in Mannheim, hatte Scholz die Abschiebungen angekündigt.
Für die Ampelkoalition ist die Abschiebung ein Erfolg – aber auch ein Wagnis. Man griff auf die Hilfe und Vermittlungsangebote von Katar zurück. Mit den Taliban selbst wollte man nicht verhandeln. Das Auswärtige Amt lehnt dies strikt ab, das hat sich auch in den vergangenen Wochen unter dem Druck der Abschiebe-Debatte nicht geändert. Auch wenn man es im Kanzleramt wohl nicht ganz so strikt sieht. Aber weder will man zu einer Normalisierung noch einer Aufwertung des Regimes beitragen. So kam es, dass es seit der Machtübernahme der Taliban in Afghanistan auch keine Abschiebeflüge mehr gegeben hatte. Aus der SPD waren in den vergangenen Wochen Forderungen laut geworden, diesen Kurs zu ändern. Bislang unterhält jedoch kein Land der EU eine Botschaft in Kabul. Die EU ist aber mit einer Delegation vor Ort. Zum dritten Jahrestag der Machtübernahme hatte Außenministerin Annalena Baerbock geäußert, die Taliban wollten Frauen und Mädchen mit „ihrer menschenverachtenden Politik“ zwingen, „ihre Träume und Zukunft zu Grabe zu tragen“. Es werde „keine normalen Beziehungen geben, solange die Taliban weiter die Hälfte der Gesellschaft vom Arbeitsleben und gesellschaftlicher Teilhabe ausschließen“. In ihrer Partei weiß sie sich unterstützt in diesem Kurs.
Allerdings hatte Baerbock mit Blick auf Abschiebungen nach Syrien und Afghanistan gesagt, dass dies in „Einzelfällen“ möglich, „aber offensichtlich nicht trivial“ sei. Man müsse sich jeden Einzelfall anschauen. Aber man könne „ja nicht ignorieren, dass in diesen Ländern ein Diktator und eine Terrororganisation herrschen und man deswegen nicht einfach Dinge versprechen kann“. Kein Land des Westens hat das Taliban-Regime bislang anerkannt. Gespräche über ein Verbindungsbüro und den Umweg Doha zu technischen Fragen wie der Umsetzung humanitärer Hilfe gibt es hingegen schon länger. Nun liefen die Gespräche unter Federführung des Bundeskanzleramts und des Bundesinnenministeriums. Initiiert worden waren die Gespräche vom außenpolitischen Berater des Bundeskanzlers. Es ist aber eher nicht zu erwarten, dass nach diesem Modell noch viele weitere Flüge stattfinden werden, wie aus Berlin zu hören ist. Parallel verhandelt man mit Nachbarländern Afghanistans, vor allem Usbekistan. Für den Flug vom Freitag war eine Abschiebung dorthin aber wohl zu bürokratisch und kompliziert, hieß es.
1.000 Euro Handgeld bekamen die Straftäter zu ihrer Abschiebung mit auf den Weg. Unter den 28 Personen sind einige, die traurige Prominenz erlangt haben. Etwa einer der Täter von Illerkirchberg in Baden-Württemberg. Er hatte mit weiteren Männern ein damals 14 Jahre altes Mädchen vergewaltigt. Es klingt paradox, aber Deutschland darf das Schicksal der nun abgeschobenen Straftäter in Afghanistan nicht egal sein. Denn dass ihnen in dem Land unter den Taliban Schlimmes drohen könnte, war ja der Grund, warum man so lange niemanden dorthin abschob. Abgeschobenen darf in ihrem Heimatland keine Verfolgung oder Gefahr drohen. Offenbar hat die Bundesregierung mit den „Schlüsselmächten“ der Region vereinbart, dass es eine Art Monitoring für die Sicherheit der 28 geben soll.
Welche Sicherheitsrisiken für die Abgeschobenen in Afghanistan bestehen, hängt von ihrem persönlichen Hintergrund und der Art ihrer Straftaten ab. Da die Aktion aber für das Streben der Taliban nach internationaler Anerkennung von großer Bedeutung ist, kann man vermuten, dass sie wenig Interesse daran haben, die Rückkehrer zu inhaftieren oder anderweitig zu verfolgen. Am ehesten wären wohl Personen gefährdet, die in Deutschland wegen islamistischer Gewalttaten inhaftiert waren und der Terrorgruppe „Islamischer Staat“ (IS) nahestehen. Die Taliban betrachten den IS als größte Bedrohung für ihren Machterhalt.
Im Lagebericht des Auswärtigen Amtes von Juni 2023 wird außerdem auf die Gefahr von Racheakten hingewiesen. Das wäre vor allem dann der Fall, wenn der Betreffende in Deutschland einen anderen Afghanen getötet hätte. Man darf vermuten, dass die deutschen Behörden solche Personen vorerst ausgespart haben. In dem Lagebericht heißt es, „auch eine erneute Verurteilung durch das von Taliban kontrollierte Justizsystem ist nicht ausgeschlossen“. Die Urteile deutscher Gerichte spielen für die Scharia-Richter jedoch keine Rolle. Vermutlich werden die Taliban die 28 Abgeschobenen genau im Auge behalten, auch um sicherzustellen, dass sie nicht vom IS angeworben werden. Zu den möglichen Gefahren, die den Abgeschobenen drohen, zählt angesichts der prekären humanitären Lage die Verelendung, falls sie keine Familie in Afghanistan haben. Mit den 1.000 Euro, die ihnen vor dem Abflug ausgehändigt wurden, dürften sie die Anfangsphase überbrücken können.
Auch wenn es keine direkten Absprachen zwischen der Bundesregierung und den Taliban gegeben haben soll, dürften die afghanischen Machthaber die Aufnahme der Straftäter zu nutzen versuchen, um zu zeigen, dass westliche Staaten auf ihre Kooperationsbereitschaft angewiesen sind. Und auch wenn das Regime in Kabul bisher von keinem Land offiziell anerkannt wird – der internationale Konsens zur Isolierung der Islamisten bröckelt. Vor zwei Wochen besuchte der usbekische Ministerpräsident Abdulla Aripow Kabul. Kurz zuvor hatten die Vereinigten Arabischen Emirate als zweites Land der Welt die Entsendung eines Botschafters der Taliban nach Abu Dhabi akzeptiert. China war diesen Schritt im Januar gegangen.
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