Die Kämpfe sind geschlagen: Die Fußball-WM ist beendet, das deutsche Team – fälschlicherweise als oberster Katar-Basher in den arabischen Staaten hingestellt – flog bereits nach der Vorrunde nach Hause, Marokko als arabisches Land schaffte es ins Halbfinale und das Identifikationsfigur für Millionen von Fans, Lionel Messi, hielt zum Schluss den Pokal in den Händen.
Viele der Stadien, die unter menschenunwürdigen Arbeitsbedingungen errichtet wurden, sind nun dazu verurteilt, im Wüstenstaat zu Ruinen zu verkommen. Vielleicht wäre der Golfstaat auch langfristig zufrieden gewesen mit der PR-Aktion Fußball, unter tatkräftiger Mithilfe der FIFA und dessen Präsident Gianni Infantino. Auch der Westen hätte wohl die Umstände dieses Sportereignisses gerne vergessen, wäre zur „Tagesordnung“ übergegangen, die Öffentlichkeit scheint ja eh nicht langfristig sich mit solchen Themen auseinandersetzen zu wollen. Das antike Rom lässt grüßen: Panem et circenses!
Auf politischer Ebene hat nun leider der Korruptionsskandal im Europäischen Parlament, an dem Katar maßgeblich beteiligt war, einen für das Emirat unangenehmen Epilog verursacht. Der Versuch Katars, die europäische Politik für seine eigenen Interessen einzukaufen, scheint zumindest in Brüssel vorzeitig gescheitert zu sein – dank einer engagierten Staatsanwaltschaft, die es sich zur Aufgabe gemacht hat, Bestechung und Korruption unnachgiebig zu verfolgen. Es stellt sich nun nur die Frage, ob die Entscheider in den den europäischen Staaten endlich umdenken, sich nicht dafür hergeben, den Wüstenstaat für den Hort von Offenheit, Toleranz und Multikulturalität zu preisen.
Spätestens letzten Sommer wurde die mediale Kritik an der Ausrichtung der Weltmeisterschaft in Katar immer deutlicher, besonders in den westeuropäischen Blättern. Dies wurde auch bei den Herrschern in Doha mit großer Sorge beobachtet, daher beschloss man dort, in die Offensive zu gehen: Der verantwortliche Hauptorganisator der Spiele, Hassan Al Thawadi, wurde nach Europa geschickt, um diese Gerüchte überzeugend unter den Teppich zu kehren. Eines seiner Hauptziele war Deutschland: In Berlin, aber auch in München – Katar ist Hauptsponsor des FC Bayern München – sollte er die Verantwortlichen überzeugen, dass die Anschuldigungen gegen das Emirat nur dummes Gerede ist.
Deutschland ist schon in den vergangenen zehn Jahren eines der Hauptziele der Herrscher in Katar gewesen, man kaufte sich großflächig dort ein: An die 25 Milliarden Euro wurden investiert. Der Besuch von Al Thawadi war eine Gelegenheit, um zu versuchen, die Kritiker zum Schweigen zu bringen und einige der prominentesten Gesichter medienwirksam als Unterstützer zu benutzen. Al Thawadi saß in einer Loge mit Blick auf das Heimfeld des FC Bayern München und sprach mit den Mitgliedern des Clubs über die „Macht des Fußball“, um positive Veränderungen zu bewirken.
Obwohl Katar auch in Großbritannien und in Frankreich in ähnlichem Umfang investiert hat, lag der Schwerpunkt seines deutschen Engagements weniger auf auffälligen Trophäenkäufen als auf ein Engagement in grundlegende Infrastrukturinvestitionen.
In Großbritannien hat Katar Luxus-Hotspots wie das Ritz Hotel und das weltberühmte Kaufhaus Harrods aufgekauft und mit dem Shard das höchste Gebäude des Landes errichtet. In Frankreich erwarb das Unternehmen den Fußballverein Paris Saint-Germain. Aber in Deutschland gehören zu den Vorzeigekäufen des Golfstaats Anteile am Schifffahrtsgiganten Hapag-Lloyd und am Energieversorger RWE.
An seiner Seite bei der Visite waren Sigmar Gabriel, ehemaliger deutscher Vizekanzler, Wirtschafts- und Außenminister, sowie Christoph Heusgen, langjähriger nationaler Sicherheitsberater der ehemaligen Bundeskanzlerin Angela Merkel, vier Jahre lang bis zu seiner Pensionierung 2021 deutscher Botschafter bei den Vereinten Nationen und seit vergangenem Jahr Chef der weltweit anerkannten Münchner Sicherheitskonferenz.
Auch wurden Gesprächsrunden mit Gewerkschaftlerin und Menschenrechtlern geführt, um zu zeigen, wie offen man in Katar ist. Verwunderlich dabei waren dabei nur die freundlichen Worte des SPD-Politikers und früheren Ministers. Aber auch der deutsche Ex-Diplomat verhehlte nicht seinen Respekt vor Katar. „Katar ist einer der wenigen stabilen Orte in einer äußerst fragilen Welt, in der wir leben, wo noch Gespräche stattfinden können“, erklärte Gabriel einmal und nannte das Emirat „ ein erstaunlich stabiles Land in einer instabilen Region.“ Keine Worte des Sozialdemokraten zu den toten Arbeitern, zu der Situation von Frauen im Land, zu Minderheiten. Auch erwähnte er nicht, dass Katar ein Hauptsponsor der extremistischen Muslimbrunderschaft war, die Herrscher-Qlique fragwürdigen Beziehngen zu den Taliban in Afghanistan hat. Der pensionierte Diplomat Heusgen schloss sich Gabriel an und nannte Katar „ein Modell“ für andere Länder. „Obwohl ich ein oder zwei Dinge über die Welt weiß, habe ich heute wirklich etwas über Katar gelernt“, sagte er am Ende eines Treffens mit einem Lächeln und betonte, dass der Fußball ein „Katalysator“ für Veränderungen im Emirat gewesen sei.
Siegmar Gabriel, ehemaliger Vorsitzender der deutschen Sozialdemokratie pflegte als Wirtschaftsminister von 2013 bis 2017 die Beziehungen nach Katar und besuchte 2015 das Emirat mit einer großen Anzahl deutscher Unternehmer. 2020, zwei Jahre nach seinem Ausscheiden aus dem öffentlichen Amt, wechselte Gabriel auf Wunsch Katars in den Aufsichtsrat der Deutschen Bank. „Die deutsche Arroganz gegenüber Katar macht mich krank“, twitterte er im Oktober inmitten eines Trommelwirbels negativer Kommentare von Stimmen über die Behandlung von Schwulen und Lesben durch das Emirat und stellte fest, dass „Homosexualität in Deutschland bis 1994 illegal war“.
Und wie steht es mit dem Ex-Diplomaten Heusgen? Eines der wichtigsten Instrumente der Einflussnahme Katars auf Deutschland war und ist die staatlich geförderte Münchner Sicherheitskonferenz (MSC), die jährlich in der bayerischen Hauptstadt veranstaltet wird und ein globales Stelldichein von Regierungschefs, Außen- und Verteidigungsministern darstellt. Auch die Wirtschaftseliten haben ein großes Interesse daran, in der illustren Teilnehmerliste aufgeführt zu werden.
Nachdem die Kritik an der Fußball-WM immer stärker wurde, kam es zu Verteidigungsreden der deutschen Katar-Freunde: MSC-Chef Heusgen, der zufällig auf einer „privaten“ Reise in Katar war, um Ende November einem WM-Spiel beizuwohnen, traf sich dort mit Außenminister Mohammed bin Abdulrahman Al Thani. „Die Regierung in Katar ist enttäuscht von uns“, vertraute Heusgen anschließend dem deutschen Magazin DER SPIEGEL an. Das Magazin beschrieb, wie Al Thani sich bei Heusgen über Deutschlands „Selbstgerechtigkeit“, „Heuchelei“ und „Nichtbereitschaft, eine andere Kultur zu akzeptieren“ beschwert hatte.
Katar hat in den letzten Jahren zwei MSC-Treffen in Doha veranstaltet und bei der Finanzierung und Organisation unterstützt. 2018 gewährte der frühere MSC-Chef Wolfgang Ischinger dem katarischen Emir Tamim bin Hamad Al Thani das seltene Privileg, auf der Eröffnungssitzung der MSC zu sprechen, während die Leiter der Vereinten Nationen und der NATO zuschauen mussten. Ein ehemaliger katarischer Premierminister und Außenminister, Hamad bin Jassim bin Jabr Al Thani, sitzt auch im Kuratorium der MSC, ihrem exklusivsten Gremium, das den größten Spendern der Konferenz vorbehalten ist.
Katar war auch Kunde von Ischingers Beratungsunternehmen Agora Strategy Group, die das Emirat 2017 engagierte, um seinen damaligen Botschafter in Deutschland, ein Mitglied der Herrscherfamilie, in den Feinheiten der Diplomatie zu schulen. Die Verlobung war ein kluger strategischer Schachzug: Der damalige Botschafter Scheich Saoud bin Abdulrahman Al Thani ist heute Stabschef des Emirs.
In den letzten zehn Jahren hat der Staatsfonds des Emirats zusammen mit Mitgliedern der Herrscherfamilie bedeutende Positionen in einigen der bekanntesten deutschen Firmennamen aufgebaut, darunter eine 11-prozentige Beteiligung an VW, dem größten Autohersteller des Landes, und 6 Prozent in der Deutschen Bank. Im vergangenen Herbst erwarben die Katarer einen Anteil von 5 Prozent an Porsche und machten das Emirat zu einem der größten Anteilseigner des traditionsreichen Luxus-Sportwagenherstellers. Auch wurde das Emirat zu einem Großkunden der deutschen Rüstungsindustrie, ohne dass die deutsche Regierung ihr Veto zu Waffenexporten einlegte. Nach der Invasion Russlands in die Ukraine ist Katar zudem zu einem wichtigen Energielieferanten geworden.
Katar, so scheint es, hat Deutschland genau da, wo man es haben will.
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