Nach den Hinrichtungen Oppositioneller in Iran hat die Europäische Union bei ihrem letzten Treffen der Außenminister neue Sanktionen gegen Teheran verhängt. Die verantwortlichen Minister belegten 18 Personen und 19 Organisationen mit Einreise-, Vermögens- und Geschäftssperren. Es war das vierte Sanktionspaket seit dem Beginn der Proteste gegen das Mullah-Regime im September vorigen Jahres. Inzwischen stehen fast zweihundert Namen auf den Sanktionslisten, darunter etliche Kommandeure der Revolutionsgarde und der zu ihr gehörenden Basidsch-Miliz. Einige der nun sanktionierten Regimevertreter sind ranghoch – etwa der Minister für Jugend und Sport oder der Anführer der sogenannten Sittenpolizei.
Keine Fortschritte machten die Minister bei der Einstufung dieser dem geistlichen Führer unterstehenden Truppen als Terrororganisation. Deutschland, die Niederlande und Frankreich forderten den Auswärtigen Dienst in Brüssel auf, Optionen dafür zu prüfen. Parallel zu den EU-Entscheidungen weitete die US-Regierung in Abstimmung mit der Europäischen Union ihre Sanktionen gegen Iran aus. Nach Angaben des dortigen Finanzministeriums wurden Strafmaßnahmen gegen den stellvertretenden Geheimdienstminister Irans und vier Befehlshaber der Revolutionsgarden verhängt.
Gegründet wurde die Miliz als Freiwilligenarmee während der islamischen Revolution im Jahr 1979. Um einen möglichen Umsturzversuch der Armee zu verhindern, formte Ayatollah Ruhollah Chomeini eine ihm persönlich unterstehende, schlagkräftige Parallel-Armee. Mittlerweile verfügen die Pasdaran, wie sie im Persischen heißen, über eine Luftwaffe, Marine und mehrere Geheimdienste. Wegen ihrer Kontrolle über das iranische Raketen- und Nuklearforschungsprogramm sind sie de facto schon jetzt zur mächtigsten Institution im Land aufgestiegen.
Aus Sicht vieler Iraner birgt ein Kuschelkurs der EU gegenüber den Revolutionsgarden die Gefahr eines Putsches. Denn je länger es die Mullahs nicht schaffen, die Straßenproteste zu beenden, desto wahrscheinlicher wird eine Machtübernahme der Pasdaran.
Die Revolutionsgarden kontrollieren einen wesentlichen Teil der Politik und der Wirtschaft in Iran. Sie zu Terroristen zu erklären, wäre ein Schlag gegen das Regime in Teheran. Es könnte darauf mit geheimdienstlichen oder paramilitärischen Aktionen in Europa oder gegen europäische Einrichtungen im Nahen Osten reagieren. Das iranische Regime hat Borrell ausdrücklich vor einem solchen Schritt gewarnt. Das weit verzweigte Netzwerk von informellen Firmen und Rüstungsbetrieben der Revolutionsgarden ist von den seit Jahren aktiven Ermittlern der Vereinten Nationen nur im Ansatz identifiziert worden. Mit eigenen Mobilfunkfirmen, Hotels und Fluggesellschaften verfügen sie über ein weit verzweigtes Wirtschaftsimperium. Einen Großteil ihrer internationalen Geschäfte wickeln die Revolutionsgarden derzeit über Banken und Scheinfirmen im benachbarten Irak ab.
Im November hatte sich die deutsche Außenministerin Annalena Baerbock für die Aufnahme der Revolutionsgarde auf die EU-Terrorliste stark gemacht, auch das Europäische Parlament sprach sich diesen Monat dafür aus. Ein solcher Schritt wäre symbolischer Natur, weil die Garde als Organisation schon seit 2010 EU-Sanktionen unterliegt. Juristische Probleme sind allerdings wohl nur ein Grund, warum Brüssel zögert, die Revolutionsgarden pauschal zu Terroristen zu erklären. Europäische Diplomaten lassen in Gesprächen auch immer wieder durchblicken, dass sie die Hoffnung nicht aufgegeben haben, doch noch irgendwann das Atomabkommen mit Teheran wiederbeleben zu können. Durch den Vertrag soll das iranische Nuklearprogramm beschränkt und Teheran am Bau von Atomwaffen gehindert werden. Da dieses Programm unter der Kontrolle der Revolutionsgarden steht, wäre es kontraproduktiv, sie auf die EU-Terrorliste zu setzen.
Davor hat der iranische Außenminister den EU-Außenbeauftragten Josep Borrell gewarnt, der die Verhandlungen koordiniert. Borrell und der von ihm geleitete Auswärtige Dienst stemmen sich deswegen gegen die Einstufung der Revolutionsgarde als Terrororganisation. „Es ist keine gute Idee, weil es Fortschritte bei anderen Themen verhindert“, sagte ein leitender Beamter. Borrell stellte vor dem Treffen der Außenminister zudem klar, dass die Union im Gegensatz zu den USA nicht in der Lage sei, die Revolutionsgarden als Gesamtorganisation zu einer Terrororganisation zu erklären, obwohl sie maßgeblich für die Gewalt gegen Demonstranten verantwortlich ist. Maßgeblich sei nämlich nicht, „dass das Regime und die Revolutionsgarden ihre eigene Bevölkerung terrorisieren“. Vielmehr sieht ein gemeinsamer Standpunkt der EU-Staaten vor, dass eine zuständige Behörde, in der Regel ein Gericht, Ermittlungen wegen Terrorverdachts in einem Mitgliedsland aufnimmt und Beweise dafür vorweisen kann. Borrell zufolge fehle dafür aber eine juristische Voraussetzung: Zu einer Terrororganisation könne die EU nur Gruppierungen erklären, die in einem Mitgliedsstaat von einem Gericht wegen terroristischer Aktivitäten verurteilt worden sei oder gegen die aus diesem Grund offiziell ermittelt werde. Das ist bei den Revolutionsgarden bisher offenbar nicht der Fall. „So etwas kann man nicht ohne ein Gericht, ohne die vorherige Entscheidung eines Gerichts beschließen“, sagte Borrell. „Man kann nicht sagen, ich halte dich für einen Terroristen, weil ich dich nicht mag.“
Die deutsche Außenministerin Annalena Baerbock möchte im Gegensatz zu Borrell ein klares Signal setzen. Im Iran stehe ein brutales Regime gegen das Volk, sagte sie in Brüssel. „Das iranische Regime, die Revolutionsgarden terrorisieren ihre eigene Bevölkerung jeden Tag.“ Dem widersprach die EU-Bürokratie zumindest in Teilen. Zwar wurden, wie oben beschrieben, mehrere Kommandeure der Revolutionsgarden sowie eine Reihe regionaler Einheiten der Truppe auf die neue Sanktionsliste gesetzt. Sie alle seien für „schwere Menschenrechtsverletzungen“ verantwortlich, heißt es in dem Beschluss. Der Vorwurf, Terrorakte zu verüben, wird hingegen nicht erhoben.
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