Nach massiven Protesten in muslimischen Staaten gegen Koranverbrennungen in Schweden und Dänemark haben die Regierungschefs beider Länder angekündigt, zu prüfen, wie sie derartige Aktionen künftig einschränken können. Der schwedische Ministerpräsident Ulf Kristersson sagte, er stehe dazu in engem Kontakt mit der dänischen Ministerpräsidentin Mette Frederiksen. Man befinde sich „in der schwersten sicherheitspolitischen Situation seit dem Zweiten Weltkrieg“ und müsse unbedingt verhindern, dass Dritte dies ausnutzten.
In Schweden und Dänemark hatte es in den vergangenen Wochen mehrere Aktionen gegeben, bei denen ein Koran beschädigt oder verbrannt wurde. Das hatte unter Muslimen für Empörung gesorgt und zu diplomatischen Verwerfungen geführt. Die schwedische Botschaft in Bagdad wurde von wütenden Demonstranten gestürmt und angezündet, das Büro einer im Irak tätigen dänischen Hilfsorganisation wurde attackiert. Etliche Länder im Nahen Osten bestellten die Botschafter Schwedens und Dänemarks ein. Saudi-Arabien und der Irak beriefen ein Treffen der Organisation für Islamische Zusammenarbeit (OIC) ein. Das OIC verurteilte die Zulassung der Demonstrationen und forderte seine Mitgliedstaaten auf, über „angemessene Maßnahmen“ gegen alle Länder nachzudenken, in denen es gestattet sei, den Koran zu verbrennen oder anderweitig zu schänden. Dabei soll jedes Mitgliedsland frei entscheiden, ob es wirtschaftliche Sanktionen verhängt und/oder diplomatische und kulturpolitische Maßnahmen ergreift. Kuwait kündigte an, 100 000 Korane auf Schwedisch zu drucken und in Schweden verteilen zu wollen, um „muslimische Prinzipien und Werte zu fördern“.
Wie Kristersson verwies auch der dänische Außenminister Lars Løkke Rasmussen auf Sicherheitsbedenken, um zu begründen, warum die Regierung über eine Beschränkung von Koranverbrennungen nachdenkt. Er verwies zudem auf die Gefahr eines Ansehensverlusts seines Landes in muslimischen Ländern. Religionen dürften kritisiert werden, aber wenn man sich vor eine ausländische Botschaft stelle und einen Koran verbrenne, diene das „keinem anderen Zweck als der Verspottung“, sagte er. Zuvor hatte sein Ministerium mitgeteilt, eine Einschränkung des Versammlungsrechts zu prüfen, „natürlich im Rahmen der verfassungsrechtlich geschützten Meinungsfreiheit“.
In Schweden und Dänemark wird diese – gerade auch mit Blick auf Kritik an Religionen – als hoher Wert angesehen. Lange war Religionskritik in Dänemark vor allem Kritik an den christlichen Religionen gewesen. Aber mit der Zuwanderung von Muslimen ist nun der Islam zusehends zum Ziel der Kritik geworden. Viele in Dänemark lebende Muslime hätten sich daran gewöhnt, auch wenn nicht alle bereit seien, die „trocken-protestantische Auffassung von Meinungsfreiheit“ zu teilen. Dass diese aber zunehmend auch auf internationaler Ebene verhandelt werde, muss Dänemark erst lernen. In muslimischen Ländern, in denen Kritik an Religion und Politik nicht zugelassen sei, ist die Nachricht von einer Koranverbrennung kaum mit der allgemeinen Weltsicht vereinbar. In der sogenannten Cartoon-Krise von 2005 um in Dänemark veröffentlichte Mohammed-Karikaturen habe das Land dies noch nicht wahrhaben wollen, aber nun versuche der dänische Außenminister offenbar vorsichtiger vorzugehen, sagt ein Religionswissenschaftler. Wirtschaftliche Interessen Dänemarks in muslimischen Staaten spielten da sicherlich auch eine Rolle – ebenso wie es in muslimischen Staaten Versuche gebe, von derartigen Provokationen zu profitieren, indem sie diplomatischen Druck aufbauten. Im Ringen um einen NATO-Beitritt Schwedens und den Widerstand des türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan dagegen ließ sich dies zuletzt beobachten.
Schweden will prüfen, ob das Gesetz über die öffentliche Ordnung geändert werden kann, damit die Polizei Demonstrationen mit Koranverbrennungen künftig leichter beenden kann. Zuletzt fand vor dem Parlament in Stockholm abermals eine solche statt. Die irakischen Aktivisten Salwan Momika und Salwan Najem traten zunächst mit Füßen auf einen Koran und zündeten dann mehrere Seiten daraus an. Die Polizei hatte zuvor geäußert, sie erteile nur Genehmigungen für öffentliche Versammlungen, nicht für die Inhalte dieser Versammlungen.
Mitte Juli kündigte ein Syrer an, eine Thora und eine Bibel vor der israelischen Botschaft in Stockholm zu verbrennen. Am Samstag der vermeintlichen Verbrennung stand der blasse kleine Mann inmitten eines Pulks von Journalisten, Polizisten und Schaulustigen und sagte, er habe nie vorgehabt, ein heiliges Buch anzuzünden, er wolle nur entschieden dagegen protestieren, dass andere das tun, so etwas mache man einfach nicht. Dann schritt er davon, zurück in die Anonymität. Die Journalisten aber riefen in ihren Redaktionen an, um Entwarnung zu geben, ist ja zum Glück nichts passiert, und so wurde denn auch kaum darüber berichtet.
Salwan Momika, dessen Namen dank regelmäßiger Berichterstattung mittlerweile jedes Kind in Schweden kennt, zündete zum dritten Mal in diesem Sommer einen Koran an. Wie bei den anderen beiden Veranstaltungen verband er die Verbrennung mit weiteren Demütigungsgesten und provokanten Handlungen, er trampelte auf dem Koran herum und riss Seiten heraus. Allerdings verzichtete er diesmal darauf, das Buch herumzukicken wie einen Ball oder Speckstreifen zwischen die Seiten zu legen.
Dafür trat der 37-Jährige auf ein Bild des irakischen Geistlichen Moqtada al-Sadr, dessen Anhänger in Reaktion auf Momikas vorangehende Verbrennungen zweimal die schwedische Botschaft in Bagdad gestürmt hatten. Und er hielt mehrmals eine schwedische Fahne in die Kameras, schließlich macht er das Ganze seinen eigenen Worten zufolge zur Verteidigung der hiesigen Meinungsfreiheit. Er werde mit seinen Aktionen fortfahren, bis Schweden verstehe, „dass der Koran Gewalt fördere“, sagte er der Tageszeitung Dagens Nyheter. Das Buch müsse endlich verboten werden, weil es zu Gewalt und Mord aufrufe.
Salwan Momika stammt aus dem Irak, bezeichnet sich als politischen Flüchtling, der 2019 in Schweden angekommen sei. Im April 2021 erhielt er in Schweden eine Aufenthaltserlaubnis für drei Jahre. Inzwischen läuft ein Ermittlungsverfahren gegen ihn, weil er im Sommer 2021 einen Mitbewohner mit einem Messer bedroht haben soll. Am 11. Juli leitete die schwedische Migrationsbehörde außerdem ein Verfahren ein, um zu prüfen, ob Momika der Schutzstatus und die Aufenthaltserlaubnis entzogen werden sollten. Zu den Gründen lässt die Behörde nur wissen, man habe „Informationen aus der Öffentlichkeit erhalten“.
Wie in Bagdad protestierten in vielen islamischen Ländern Muslime empört gegen das Verbrennen des Koran in Schweden. Im Netz kursieren Bilder, die Momika angeblich in früheren Jahren im Irak zeigen. Demzufolge habe er eine Führungsrolle in einer christlichen Milizengruppe innegehabt, die von Iran gegen den IS unterstützt worden sein soll. Momika sagt dazu, die irakische Regierung verbreite Lügen über ihn, er sei Anführer der Syrischen Demokratischen Partei im Irak gewesen, nicht Mitglied einer Miliz. Der Zeitung Aftonbladet sagte er, er wolle als Mitglied der rechtspopulistischen Schwedendemokraten bei den nächsten Parlamentswahlen kandidieren. Er ist dort seit einem Jahr Mitglied und teilt mit, er sei „stolz auf die Partei, die die einzige ist, die Schweden und schwedische Werte verteidigt“.
Die Nähe zu den Schwedendemokraten hat Momika gemein mit dem anderen pyromanischen Seriendemonstranten: Rasmus Paludan. Der wegen Volksverhetzung verurteilte dänische Rechtsradikale, der auch die schwedische Staatsbürgerschaft besitzt, hat sich die Anmeldegebühren für seine Koranverbrennung vor der türkischen Botschaft im Februar dieses Jahres von Chang Frick bezahlen lassen. Der wiederum betreibt ein rechtspopulistisches Onlinemagazin und ist Moderator beim Riks-Kanal der Schwedendemokraten.
Rasmus Paludan hat in Dänemark die Stram Kurs gegründet, was so viel wie Harte Linie heißt. Die Partei will alle Muslime ausweisen. Er meldete im Frühjahr 2022 sechs Koranverbrennungen an, um damit bei einer Tour durch Schweden auf das Versagen der schwedischen Regierung bei der Integration von Einwanderern hinzuweisen und gleichzeitig die Religion des Islam zu kritisieren. Für die Demonstrationen wählte er Stadtviertel mit hohem Migrationsanteil, es kam zu gewalttätigen Gegenprotesten, mehr als 300 Polizisten wurden verletzt.
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