Jahrelang wurde im In- und Ausland gegen den libanesischen Ex-Zentralbankchef Riad Salameh ermittelt. Nun ist der frühere Notenbankchef wegen Veruntreuung öffentlicher Gelder und Bereicherung in Beirut angeklagt und festgenommen worden. Konkret werden Salameh Unterschlagung, Geldwäsche und Betrug von Provisionen vorgeworfen, die er im Rahmen der Geschäfte der Zentralbank mit Optimum Invest eingestrichen haben soll. Die Geschäfte mit der libanesischen Maklerfirma sollen ihm zwischen 2015 und 2018 mehr als 110 Millionen Dollar eingebracht haben, wie Justizkreise der Nachrichtenagentur Reuters bestätigten.
Salameh wurde im Justizpalast in der libanesischen Hauptstadt verhört, wie die Staatsagentur NNA berichtete. Der 74-Jährige solle dort vier Tage lang festgehalten werden, bevor sein Fall an die Staatsanwaltschaft Beirut übergeben werde, hiess es. Weder Salameh noch sein Anwalt äusserten sich zunächst zu den neuen Vorwürfen. Optimum Invest reagierte darauf mit dem Verweis auf ein Statement, wonach eine Finanzprüfung Ende 2023 „keine Hinweise auf Fehlverhalten oder Rechtswidrigkeit“ im Umgang des Unternehmens mit der Zentralbank ergeben habe.
Gegen Salameh wird seit längerem auch in mehreren europäischen Ländern ermittelt. Er soll gemeinsam mit seinem Bruder Raja über viele Jahre hinweg mehrere hundert Millionen Dollar illegal aus Libanon gebracht und im Ausland gewaschen haben. Dazu diente ein kompliziertes Geflecht aus Offshore-Firmen. Das Geld sollen die Brüder in den Kauf von Luxusimmobilien an verschiedenen Orten in Europa investiert haben. Die Schweizer Finanzmarktaufsicht rügte im Fall Salameh im März die Banque Audi (Suisse) wegen schwerer Versäumnisse bei der Geldwäschereiprävention. Und auch die HSBC Genf belegte sie vor wenigen Monaten mit Sanktionen wegen Geschäften, die mit dem früheren libanesischen Notenbankchef in Verbindung stehen dürften. Die HSBC Genf hat laut der Finma bei Geschäften mit „zwei politisch exponierten Personen“ in Libanon die Sorgfaltspflichten zur Verhinderung von Geldwäscherei schwer verletzt. Bei den Transaktionen, die zwischen 2002 und 2015 getätigt wurden, flossen laut der Finma mehr als 300 Millionen Dollar. Die Gelder, „die von einer staatlichen Institution stammten“, wurden aus Libanon in die Schweiz überwiesen und flossen nach kurzer Zeit zum Grossteil auf andere Konten in Libanon.
Das Konto bei der HSBC war damit ein Durchlaufkonto. Die HSBC hätte dies der Meldestelle für Geldwäscherei unmittelbar melden müssen, tat es aber erst 2020. Die Schweizer Bundesanwaltschaft leitete deshalb ein Verfahren ein und stellte 2021 ein Rechtshilfegesuch an Libanon. 2023 erliess auch die französische Staatsanwaltschaft einen Haftbefehl gegen Salameh, kurz darauf folgte die deutsche Anklagebehörde. Auch in Luxemburg und Liechtenstein laufen Ermittlungen gegen Salameh. Seit vergangenem Jahr wird er von Interpol gesucht. Allerdings liefert Libanon seine Staatsbürger nicht ins Ausland aus.
Auch im eigenen Land ist Salameh umstritten. Trotzdem stand er dreissig Jahre an der Spitze der Zentralbank Libanons, im vergangenen Jahr ging er mit 73 Jahren in Rente. Einst wurde er für den Wiederaufbau Libanons nach dem 15-jährigen Bürgerkrieg gefeiert, doch heute steckt das Land in der schwersten Wirtschafts- und Finanzkrise seiner Geschichte. „Während 27 der 30 Jahre, in denen ich der Zentralbank vorstand, trug ich massgeblich zur Stabilität des Landes und seiner Wirtschaft bei“, erklärte er bei seinem Abgang. Die vermeintliche Stabilität wurde allerdings mit wachsenden Schulden finanziert.
2019 implodierte das System, die libanesische Wirtschaft brach zusammen. Die Inflation stieg nach 2019 von 3 auf über 200 Prozent im vergangenen Jahr, wie Daten der Weltbank zeigen. Die Arbeitslosigkeit belief sich 2023 auf 11,6 Prozent. Seit dem Ende der Amtszeit von Präsident Michel Aoun im Oktober 2022 ist Libanon ohne Staatsoberhaupt, die Regierung ist nur geschäftsführend tätig. Die Zentralbank wird interimsmässig vom ersten Vizegouverneur Wassim Mansouri geführt – einem schiitischen Anwalt und entfernten Cousin von Nabih Berri, dem Parlamentspräsidenten. Ein Nachfolger wurde wegen der Streitereien zwischen den politischen Lagern bisher nicht ernannt.
Salamehs Festnahme kommt überraschend. Laufende Verfahren in Libanon gingen bisher nur stockend voran. Noch 2022 drohte der Ministerpräsident Najib Mikati mit seinem Rücktritt, sollte Salameh entlassen werden. Immer wieder war in Beirut zu hören, dass Salameh im Fall einer Anklage über genügend kompromittierendes Material verfüge, um notfalls die ganze Elite des Landes mit sich zu reissen.