Die MENA – Region (Naher Osten und Nordafrika) spielt aufgrund ihrer geopolitischen Bedeutung und ihres wirtschaftlichen Potenzials eine wichtige Rolle in der kasachischen Außenpolitik. Astana ist sich der Notwendigkeit bewusst, die Wirtschaftsbeziehungen und bilaterale Zusammenarbeit mit der Region auszubauen. Die Regierung in Astana beurteilt mehrere arabische Länder der Region als potenziell lukrative Märkte für Industrie – und Agrarprodukte aus Kasachstan.
Bereits im Jahre 2022 ist das außenpolitische Engagement Kasachstans im Nahen Osten deutlich gestiegen. Die Bemühungen und Ambitionen wurden von einigen Vereinbarungen und Besuchen auf höchster politischer Ebene unterstrichen. So traf Präsident Kassym – Jomart Tokayev unter anderem die Staatsoberhäupter des Iran, Katar, VAE und Saudi – Arabiens. Die Parteien einigten sich darauf den bilateralen Handel und außenpolitische Beziehungen zu erweitern und konkrete Bereiche für die weitere Zusammenarbeit mit Handel, Verkehr, Logistik und Finanzsphären prioritär zu skizzieren.
Angesichts der Sanktionen gegen Russland, die aufgrund der Mitgliedschaft von Astana in der von Russland geführten Eurasischen Wirtschaftsunion auch Auswirkungen auf die Wirtschaft Kasachstans haben, wird das Onboarden ausländischer Investitionen aus dem Nahen Osten für die kasachische Wirtschaft mehr als entscheidend sein. In diesem Zusammenhang stehen die ambitionierten Planungen Astanas im Agrarsektor und die Entwicklung erneuerbarer / grüner Energie.
Während des offiziellen Besuchs von Präsident Tokajew in den Vereinigten Arabischen Emiraten am 15. Mai 2022, unterzeichneten der kasachische Direktinvestitionsfonds und Masdar eine Vereinbarung über die gemeinsame Errichtung eines Windparks, wobei die erste Phase dieses Projekts auf die Schaffung von 500 MW an Kapazität mit der möglichen Nutzung eines Stromspeichersystems ausgerichtet war.
Auch die Zusammenarbeit mit dem Iran ist für Kasachstan von besonderem Interesse. Am 19. Januar 2023 unterzeichnete die Eurasische Wirtschaftsunion ein Abkommen mit Teheran über die Errichtung einer Freihandelszone (FTA). Dies wird der Zusammenarbeit nicht nur innerhalb des EAEU – Formats, sondern auch auf bilateraler Ebene einen zusätzlichen Impuls verleihen.
Nach den Ergebnissen der bilateralen Zusammenarbeit des 2022 wurden 12 weitere Abkommen zwischen Kasachstan und Katar unterzeichnet, darunter auch im Bereich des bilateralen Handels. So einigten sich beide Länder etwa auf den Ausbau an Exporten von kasachischen Wurst – und Süßwaren, sowie von Fleisch und Honig.
Im Juli 2022 besuchte Präsident Tokajew das Königreich Saudi – Arabien, was die Unterzeichnung von 13 Dokumenten und die Gründung eines Kasachstan – saudischen Investitionsforums zur Folge hatte. Riyadh hat ein besonderes Interesse daran bekundet, in Kasachstans Agrarsektor zu investieren.
Die Beziehungen zwischen Kasachstan und den Vereinigten Arabischen Emiraten lassen sich durch einen breiten Vertragsrechtsrahmen von über hundert Dokumenten sowie einem regelmäßigen Austausch in Form von hochrangigen diplomatischen Delegationen als ein hohes Entwicklungsniveau bezeichnen. Im September 2022 besuchte Premierminister Alikhan Smailov die VAE. In der Folge wurden in verschiedenen Wirtschaftsbereichen mehrere bilaterale Vereinbarungen unterzeichnet, mit einem Gesamtvolumen von insgesamt 900 Millionen Dollar.
Unterdessen belief sich der Handel zwischen den beiden Ländern zwischen Januar und Oktober 2022 auf insgesamt 592 Millionen Dollar, daher gibt es auch in diesem Bereich noch Raum für Adaptierungen und Optimierungen.
Der Regierung in Astana gelang es auch die bilaterale Zusammenarbeit mit Ägypten durch eine Ausweitung der Vertragsbasis auszubauen. Ein neuer Bereich der Zusammenarbeit ist die technische Ausbildung. Im Bereich der Logistik einigte man sich auf die Ausbildung spezieller Arbeitsgruppen, sowohl der zuständigen Behörden, als auch der Geschäftsstrukturen der beiden Länder, um effiziente Transportwege zu entwickeln. Außerdem wird die bilaterale Zusammenarbeit im Energiesektor ausgebaut, unter anderem durch die Schaffung einer Zusammenarbeit auf dem Gebiet der Kernenergie und der Entwicklung erneuerbarer Energiequellen.
Insgesamt wird der ägyptische Markt mit einer Bevölkerung von über 100 Millionen als ein vielversprechendes Land für die Erhöhung der Kasachstans Exporte gesehen. Das Handelspotenzial des Luftverkehrs von verderblichen Waren ist bis dato auch noch nicht voll ausgeschöpft worden.
Im Jahr 2022 fand ein Erfahrungsaustausch zwischen Kasachstan und Israel im Bereich der Kontrolle und Freigabe von Warenerklärungen sowie der Überwachung von Containersendungen statt. Im Gesundheitswesen wurde ein „Memorandum of cooperation“ unterzeichnet, um die Zusammenarbeit in Bereichen wie Pharmakologie, Transplantologie, Biomedizin, Digitalisierung von Gesundheitsdienstleistungen, personalisierte Medizin, etc. weiter auszubauen.
Eine Schlüsselverbindung in der Politik Kasachstans gegenüber den nordafrikanischen Ländern, einschließlich Algerien, Marokko und Tunesien, ist die dynamische Entwicklung der Handels – und Wirtschaftsbeziehungen.
Der Markt in der Region verzeichnet ein jährliches Wachstum und entwickelt sich zu einer neuen Produktions -Industriezone. Einige kasachische Unternehmen, vorwiegend aus dem Bergbau – und Dienstleistungsbereich, operieren erfolgreich auf dem afrikanischen Kontinent. Die hohe Nachfrage nach Produkten, die Kasachstans Exportproduktlinie ausmachen, zeigt das bedeutende Potenzial für die Entwicklung des gegenseitigen Handels mit den nordafrikanischen Ländern.
Vor dem Hintergrund des russisch – ukrainischen Konflikts und der Störung der globalen Lieferketten scheint die Zusammenarbeit im Bereich der Ernährungssicherheit von Vorteil, wenn der Bedarf an Gütern dem landwirtschaftlichen Exportpotenzial Kasachstans entspricht.
So ist Ägypten beispielsweise der größte Weizenimporteur der Welt, wobei Russland und die Ukraine 85% der gesamten Versorgung bereitstellen. Mit dem Ausbruch des bewaffneten Konflikts und der Verhängung von Sanktionen gegen russische Exporte sind die Weizenpreise deutlich gestiegen. Kairo ist nun gezwungen, nach alternativen Anbietern zu suchen.
Die schwierige geopolitische Lage verschärfte auch die Ernährungssicherheit in Libyen, die bis zu 75 Prozent ihres Weizens aus Russland und der Ukraine importiert. Die Störung in der Lieferkette hat zu höheren Brotpreisen geführt und den öffentlichen Druck auf die Behörden des Landes verstärkt.
Vor der russischen Invasion in der Ukraine importierte Tunesien 80% seines Weizens aus der Ukraine. Derzeit sind die ukrainischen Exporte durch die russische Blockade der ukrainischen Exporte durch das Schwarze Meer verringert worden. Die Initiative „Getreide für die Ukraine“ versucht in der angespannten Situation Abhilfe zu schaffen. Doch die russische Aggression in der Ukraine wurde die höchste Preissteigerung der letzten 14 Jahren in diesem Bereich ausgelöst. Das Ergebnis ist, dass der Großteil der Bevölkerung Schwierigkeiten beim Kauf von auf Rädern basierender Nahrung hat, da auch die Lieferkosten explodierten.
Die wichtigsten Importeure von kasachischem Getreide bleiben die Länder Zentralasiens und Afghanistans, die zusammen etwa 80% der Exporte Kasachstans ausmachen. Gleichzeitig könnten nordafrikanische Länder potenzielle Käufer sein. Bis heute wird das Exportpotenzial von kasachischem Weizen und Mehl auf zwischen 9 und 10,5 Millionen Tonnen jährlich geschätzt.
Um gleichzeitig nachhaltige Handelsverbindungen zwischen Kasachstan und den nordafrikanischen Ländern zu schaffen, müssen die nach wie vor bestehenden logistischen Probleme angegangen werden. Derzeit zielen viele Transport – und Logistikinitiativen darauf ab, den Warenfluss zwischen den Ländern zu erhöhen. Insbesondere ein Korridor, von Usbekistan, Turkmenistan und dem Oman, die Nord – Süd – Route durch Kasachstan, Turkmenistan bis in den Iran, weiter bis in den Nahen Osten und schließlich nach Nordafrika soll diese Warenflusserhöhung gewährleisten. Diese Route ist von besonderem Interesse für Astana, da bereits die Kasachstan – Turkmenistan – Iran – Eisenbahn gegründet wurde, mit dem Ziel die MENA – Partner zu erreichen.
Es sei darauf hingewiesen, dass sich die Route über das Kaspische Meer nach Nordafrika im Konzept der maritimen Zusammenarbeit der Chinesischen One – Belt – One – Road – Initiative niederschlägt. Gemäß diesem Dokument ist das 21. Jahrhundert das Jahrhundert des maritimen Handels. Das Konzept betont, wie wichtig es ist, die wirtschaftliche Zusammenarbeit zu stärken und maritime Partnerschaften aufzubauen.
Trotz der bestehenden Probleme eröffnet die Lösung der Frage der Warenlieferung Möglichkeiten für den Ausbau der Handels – und Wirtschaftsbeziehungen zwischen Kasachstan und den MENA – Ländern. In diesem Zusammenhang ist die Einrichtung intermodaler Handelswege, die Zentralasien mit dem Nahen Osten und Nordafrika verbinden, Gegenstand einer aktiven gemeinsamen Arbeit.
Die Zusammenarbeit zwischen Kasachstan und den MENA – Ländern entwickelt sich dynamisch und verfügt über einen großen, noch nicht ausgeschöpften Wachstumskurs. Grundlage für den Aufbau einer nachhaltigen Zusammenarbeit sind Handel und Investitionen, deren Entwicklung direkt von der Existenz eines gut funktionierenden Logistiksystems abhängt.
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