In der arabischen Welt tobte auch schon vor dem Krieg zwischen Israel und der Hamas ein Medienkonflikt mit zahlreichen Akteuren. Darunter nationale Medien, aber auch ausländische Akteure wie Russland, die Türkei, der Iran und zunehmend auch China, die viel Desinformation streuen. Für ausländische Medien ist die arabische Welt eine dankbare Zielgruppe, denn über 300 Millionen Menschen in den 22 Staaten der Arabischen Liga sprechen dieselbe Sprache und können gleichzeitig erreicht werden. In den arabischen Medien selber gibt es keine einheitliche Position, sondern je nach Regierung sehr unterschiedliche Standpunkte. Es gibt auch nur wenige unabhängige Medien. Man ist sich jedoch einig, den Rechten der Palästinenser sehr wohlwollend gegenüberzustehen und für das Leiden der palästinensischen Zivilbevölkerung sehr empfänglich zu sein. Uneinigkeit herrscht jedoch darüber, wie diese Rechte am besten durchgesetzt werden können.
Gerade die nationalen Sender in der arabischen Welt haben einen starken Einfluss auf innenpolitische Angelegenheiten. Menschen aus anderen arabischen Ländern sehen sie nur, um zu erfahren, was die Regierungen dieser Länder denken. Interessanterweise wird derzeit Al-Manar viel geschaut, der Sender der Hisbollah. Weil man mehr über die Position der Miliz in dem Konflikt erfahren möchte.
Die sozialen Medien sind definitiv, und das belegen auch Statistiken, in der Region des Nahen Ostens noch mächtiger als in Europa. Zeitungen und ihre Online-Ableger werden meist von einer sehr gebildeten, aber recht kleinen Elite gelesen. Die Wahrnehmung des aktuellen Gaza-Konflikts wird jedoch vor allem durch die panarabischen Fernsehsender wie Al-Arabiya und Al-Jazeera geprägt. Hinter ihnen stehen verfeindete Staaten. Saudi-Arabien hat Al-Arabiya historisch gesehen gegründet, um den Einfluss von Al-Jazeera zu bekämpfen, der wiederum von Katar kontrolliert wird. Einem der wichtigsten Unterstützer der Hamas und der einflussreichere der beiden Sender. Al-Jazeera wird besonders viel gehört, da er durch seine Büros in Gaza und Jerusalem über Informationen aus erster Hand verfügt. Israel wiederum wirft Al-Jazeera derzeit Hamas-Propaganda vor und versucht, das Büro in Jerusalem zu schließen.
Al-Jazeera ist der reichweitenstärkste Sender der arabischen Welt. Der Sender erstreckt sich über 95 Länder, in denen insgesamt über 3.000 Angestellte beschäftigt sind. Und auch die Reichweite ist enorm, über die sozialen Medien erreicht er weltweit mehrere Millionen Zuschauer. Al-Jazeera sendet längst nicht mehr nur auf Arabisch, sondern hat seit 2006 einen englischsprachigen Ableger. Der Sender wird in der arabischen Welt für seine Vorortberichterstattung geschätzt, ist vielfach ausgezeichnet und gelobt, nicht zuletzt für progressive Formate wie die Talksendung „Die entgegengesetzte Richtung“, in der Menschen mit konträren Meinungen in Moral- und Religionsfragen in den Dialog treten. Al-Jazeera war Ende der Neunzigerjahre der erste arabische Sender, der Israelis als Gäste einlud, und auch der erste arabische Sender, auf dem Hebräisch zu hören war. Der Sender hat damit einen freien Ton geschaffen, es sprach etwa eine Vollverschleierte mit einer Frau im Minirock. Es gab schon damals erste Forderungen, den Sender zu schließen.
Mit seinem Jugendangebot AJ+ versuchte der Sender auch im Westen Fuß zu fassen, das Onlinemedium wurde 2014 gegründet und ist auf Arabisch, Englisch, Spanisch und seit 2018 auch auf Französisch verfügbar. In den sozialen Medien versucht AJ+ den Eindruck eines unabhängigen Mediums zu erwecken: „AJ+ ist ein einzigartiges, digitales Nachrichten- und Storytelling-Projekt, das sich für Menschenrechte und Gleichberechtigung einsetzt, die Mächtigen zur Rechenschaft zieht und der Stimme der Machtlosen Gehör verschafft“, heißt es dort.
Der Sender ist scheu, wenn Journalisten seine Strukturen recherchieren wollen. Sucht man auf der Seite aber nach einem Beitrag über die Arbeitsbedingungen beim Stadionbau für die Fußballweltmeisterschaft in Katar oder die dortige Queerfeindlichkeit, stößt man lediglich auf Beiträge über die Doppelmoral westlicher WM-Boykottaufrufe. Ähnlich einseitig sieht es beim Thema Antisemitismus aus: Angriffe auf Juden kommen quasi nie zur Sprache, das Thema wird eher nur erwähnt, um etwa den BDS-nahen früheren Pink-Floyd-Gitarristen Roger Waters zu verteidigen und die Stimmung in Europa als „antipalästinensich“ zu geißeln. Dabei sind die Beiträge von AJ+ meist aufwendig produziert, seine Journalisten gut ausgebildet – und weil nicht viele Medien kritische Perspektiven auf die westliche Welt in der Schärfe und Qualität bieten, auch erfolgreich. Das Narrativ findet durchaus Anklang bei Teilen der europäischen Linken, die sich als anti-imperialistisch und feministisch verstehen. Der englischsprachige Instagram-Account des Programms hat eine Million Abonnenten.
Auch, wenn Al-Jazeera den Vorwurf der einer direkten Einflussnahme seiner Eigentümer vehement abstreitet, ist der Sender dennoch auffallend kooperationsscheu, wenn Journalisten versuchen, seine Strukturen zu recherchieren. Die Pressestelle des Senders reagiert normalerweise weder auf Anrufe noch auf Mails. Interviews geben die Ressortleiter oft nur in Anwesenheit des Pressesprechers, die das Gespräch parallel aufnehmen, berichtet etwa die französische Zeitung Libération. Über die Finanzen des Senders ist nur wenig bekannt. Etwa, dass er gänzlich vom Staat finanziert wird – doch wie hoch das Budget ist, bleibt unklar.
Der Sender schaffte es, mit seinen Korrespondenten überall dort zu sein, wo in der arabischen Welt Konflikte und Kriege ausbrachen: Als 2001 die USA nach dem Anschlag aufs World Trade Center in Afghanistan nach Osama Bin Laden suchten, war es der katarische Sender, der an Videos des Al-Qaida-Führers gelangte und diese ausstrahlte. Internationale Medien sprachen vom „CNN des Nahen Ostens“. In den letzten Jahren schrumpfte jedoch die Popularität von Al-Jazeera durch die Konkurrenz von Social-Media-Angeboten.
Zweifel an der Unabhängigkeit des Senders gibt es nicht erst seit Kriegsbeginn. Angesichts der Berichterstattung über die Hamas, aber auch die ideologische Nähe zur Muslimbruderschaft, flammen diese immer wieder auf. Die Nähe des Senders zur islamistischen Bewegung bildet eine eigene Fraktion im Sender bilden. Die Muslimbruderschaft, gegründet 1928 in Ägypten mit dem Ziel, islamische Moralvorstellungen zu verbreiten und sich gegen die britische Herrschaft in Ägypten zur Wehr zu setzen, verschrieb sich dem Credo: „Gott ist unser Ziel. Der Prophet ist unser Führer. Der Koran ist unsere Verfassung. Der Dschihad ist unser Weg. Der Tod für Gott ist unser nobelster Wunsch.“ Die Muslimbruderschaft hat sich in der gesamten islamischen Welt ausgebreitet, einer ihrer Ableger ist die Hamas in Gaza, die sich 1987 nach der ersten Intifada aus der palästinensischen Muslimbruderschaft in Gaza heraus gründete.
Der Hamas-Gründer, Scheich Ahmad Yasin, bezog sich bereits in den Anfängen der Terrororganisation auf eine antisemitische Verschwörungserzählung mit dem Namen „Protokolle der Weisen von Zion“, wonach das „Weltjudentum“ anstrebe, die Weltherrschaft zu übernehmen, indem es Staaten in finanzielle Abhängigkeit zwinge. Anfang des 20. Jahrhunderts verfasst, wurde das Dokument in den 1920ern als Fälschung entlarvt. Das hielt Yasin von der Verbreitung seiner antisemitischen Thesen und seinem Hass auf das Judentum allerdings nicht ab. Dasselbe Dokument diente Adolf Hitler und den Nationalsozialisten als Stütze ihrer Ideologie. Als Yasin 2004 durch einen israelischen Raketenangriff gezielt getötet wurde, hieß es auf dem arabischen Al-Jazeera „Leb wohl, Vater des Widerstands“. Der Nachruf kam vom qatarischen Islamisten und Muslimbruder Yousif Al Qaradawi, der über viele Jahre die Sendung „Die Sharia und das Leben“ auf dem kanarischen Sender moderierte. Er präsentierte einem Millionenpublikum radikalislamistische Auslegungen des Koran. So sprach er etwa davon, dass die Todesstrafe für außerehelichen Geschlechtsverkehr angemessen, die Verstümmelung weiblicher Genitalien gerechtfertigt und Homosexualität mit Peitschenhieben zu bestrafen sei.
Qaradawi nahm nach Yasins Tod auf Al-Jazeera Abschied von „einem Mann, der sein Leben dem Predigen, dem Dschihad und Kampf für die Befreiung seines Heimatlandes von der brutalen zionistischen Besatzung widmete“. Er beendete seinen Nachruf mit den Worten: „Wir sagen den Zionisten: Sie haben eine Tat begangen, die ihnen niemand verzeihen wird.“ Qaradawi glorifizierte den Holocaust „als Allahs Rache an den Juden“, Selbstmordattentate von Palästinensern waren in seinen Augen ein Märtyrertod und kein Suizid, der im Islam streng verboten ist. Zudem beschwor er einen abermaligen Holocaust herauf: „So Gott will, wird das nächste Mal diese Strafe Gottes durch die Hand der Gläubigen erfolgen.“ All das war auf Al-Jazeera zu sehen. „Die Scharia und das Leben“ war über viele Jahre die beliebteste Show des Senders.
Al-Jazeera selbst pocht auf seine redaktionelle Unabhängigkeit, trotz der qatarischen Geldgeber. Aufschlussreich sind 2010 von Wikileaks veröffentliche Dokumente der US-Botschaft in Doha, in denen es heißt, Katar nutze Al-Jazeera als Druckmittel in außenpolitischen Verhandlungen, indem es seine Berichterstattung zugunsten ausländischer Staatsoberhäupter anpasse und anbiete, kritische Übertragungen für größere Zugeständnisse einzustellen.
Experten sprechen oft von einem Kräfte-Dreieck aus Al Jazeera, der Hamas in Gaza und der Exilführung in Qatar: Sie müssen als Teil ein und desselben Problems wahrgenommen werden. Die Frage ist prinzipiell, warum die politische Führung von Hamas und Muslimbruderschaft in Katar unbehelligt leben können. Das Vermögen der Familie Haniyeh wird auf mehrere Milliarden Dollar geschätzt. Die Söhne des Hamas-Führers zeigen sich gern in den Betten von Luxushotels, im Pool oder mit teuren Sportwagen – während in Gaza Menschen sterben.
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