Eine Moschee im deutschen Bundesland Bayern ist schon länger im Visier des deutschen Verfassungsschutzes. „O Gott, gewähre dem Volk von Gaza den Sieg und lass das Feuer der Muslime die Feinde verbrennen. O Gott, gewähre dem Volk von Gaza den Sieg und lass das Feuer der Muslime die Feinde verbrennen“, sagt der Prediger auf Arabisch, wenn er im Gottesdienst eine Reihe von Fürbitten anstimmt. Die Gemeinde antwortet mit Zustimmung, „Amin“ für Amen, so notieren es jedenfalls die bayerischen Sicherheitsbehörden.
Es ist eine Predigt, über die sich in der Zwischenzeit etliche mächtige Sicherheitsleute und Strafverfolger im Freistaat Bayern gebeugt haben, bis hinauf in höchste Kreise. Eine Predigt, die nun exemplarisch ein juristisches Nachspiel haben soll. Die Generalstaatsanwaltschaft München hat sich eingeschaltet, einer ihrer erfahrensten Oberstaatsanwälte, Andreas Franck, leitet die Ermittlungen. „O Gott, führe die Schüsse der Widerstandskräfte ins Ziel!“: Solche Sätze des islamischen Predigers in Weiden sollen jetzt zu einem Testfall werden – einem Testfall für das Grundrecht auf Religionsfreiheit, wie es im Artikel 4 des Grundgesetzes garantiert ist. Die Frage lautet: Wie weit reicht dieses Grundrecht, wenn in religiösen Reden für den Sieg über „die Juden“ gebetet wird? Wo verläuft die Grenze?
Ist das ein Aufruf zur Tötung – auch wenn man sie sich von Gott wünscht? Die kleine Moschee in Weiden, das „Islamische Zentrum“, gilt als Treffpunkt der salafistischen Szene, also einer ultrakonservativen Strömung innerhalb des Islam, antiwestlich, wenn auch nicht zwingend gewaltbereit. Aber klar ist: Das ändert nichts daran, dass dieser Prediger und auch die übrigen Gläubigen dort auch jene liberalen Garantien beanspruchen dürfen, die sie anderen nicht zubilligen möchten. „O Gott, töte die Usurpatoren sowie all diejenigen, die sie unterstützen! O Gott, wir bitten dich, die Herzen der Juden mit Schrecken zu erfüllen.“ Solche Sätze aus der Predigt, von den Sicherheitsbehörden protokolliert und übersetzt, gilt es für die bayerischen Strafverfolger nun zu interpretieren. Ist das ein Aufruf zur Tötung von Juden, wie die Generalstaatsanwaltschaft meint? Sie hat schon vor Monaten ein Verfahren eingeleitet, mit strengen und klaren Worten. Im Raum steht der Vorwurf der Volksverhetzung.
Oder ist diese Sichtweise falsch – und das, was der Prediger mit Blick auf Palästina gegen die „usurpierenden Juden“ gesagt hat, ist in Wahrheit bloß eine harte, aber angesichts der Härte der Realität auch legitime Wortwahl für etwas, das in allen Zeiten möglich sein muss: nämlich politische Kritik? Immerhin, es steht nirgends geschrieben, dass sich ein Geistlicher mit Statements zur Tagespolitik zurückhalten müsste.
Volksverhetzung betrifft eigentlich nur Gruppen in Deutschland, nicht in Israel Und immerhin: Bei mehrdeutigen Ausdrücken wie „Feinde“ und „Zionisten“ dürfen die Strafverfolger auch nicht so einfach selbst bestimmen, was jemand wohl damit gemeint haben könnte. Darauf besteht das Bundesverfassungsgericht seit vielen Jahren. Bei mehrdeutigen Äußerungen soll stattdessen im Zweifel die harmloseste Variante gelten; im Zweifel für den Angeklagten, sozusagen. Die Frage ist also: „Besiege die Juden“ oder auch „lass die Zionisten die übelste Qual erleiden“ – meint das wirklich alle Juden, oder meint das mit Blick auf Gaza nicht eher speziell die israelische Staatsmacht? Darüber wird man womöglich zu diskutieren haben.
Ein weiteres juristisches Problem: Eine Volksverhetzung setzt nach dem Paragrafen 130 des Strafgesetzbuchs voraus, dass „gegen eine religiöse oder durch ihre ethnische Herkunft bestimmte Gruppe zum Hass aufgestachelt und zu Gewalt- oder Willkürmaßnahmen aufgefordert“ wird. Nach herkömmlichem Verständnis meint das nur Gruppen im deutschen Inland. Nicht in Nahost. Es kommt also auch hier auf Details an: Wenn der Prediger in seiner Moschee in Weiden sagt: „Töte die Usurpatoren und all diejenigen, die sie unterstützen“, richtet sich das dann nur gegen Juden in Israel oder auch gegen Juden in Deutschland? So interpretiert es jetzt jedenfalls die Generalstaatsanwaltschaft. Was die Justiz hier entscheidet, wird Konsequenzen haben auch für andere Fälle. Das alles macht diesen Fall schwierig. Die Grenzen der Meinungsfreiheit sind in Deutschland weit gezogen, ganz bewusst, die Aufstachelung zu Gewalt muss schon ziemlich eindeutig sein, bevor sie juristisch wirklich greifbar und vorwerfbar wird. Und klar ist: Was immer die bayerische Justiz hier entscheiden wird, es wird Konsequenzen haben auch für andere Fälle.
Noch immer nicht geklärt und ein regelmäßig wiederkehrendes Thema ist zum Beispiel der Umgang mit Predigten auch in den Ditib-Moscheen, die unter der Kontrolle des türkischen Staates stehen. Der Chef der türkischen Religionsbehörde Diyanet, Ali Erbaş, sprach schon wenige Tage nach dem 7. Oktober 2023 davon, dass das „zionistische Israel“ in Gaza einen „Völkermord“ begehe, der auf einem „schmutzigen und perversen Glauben“ basiere. Der türkische Staatschef Recep Tayyip Erdoğan nannte die Hamas unmittelbar nach dem 7. Oktober eine „Widerstandsbewegung“ und „Glaubenskrieger“.
Die Religionsfreiheit habe jedenfalls dort ihre Grenze, wo die Menschenwürde anderer Menschen verletzt werde, sagt der bayerische Oberstaatsanwalt Andreas Franck. Er verweist insbesondere auf den letzten Teil der Predigt in Weiden in der Oberpfalz: „O Gott, lass die Zionisten die übelste Qual erleiden“, so hat der dortige Prediger seine Ausführungen abgeschlossen. „Verteile und zerrütte sie, o du Allmächtiger. O Gott, zerschmettere sie, fessele sie und werfe Schrecken in ihre Herzen, o Gott. O Gott, lass den Kreis des Übels über sie herfallen … O Gott, rette die Al-Aksa-Moschee vor den Fängen der usurpierenden Juden.“
Das Amtsgericht Weiden hat jetzt zu prüfen, ob es die Anklage zulässt. Denkbar wäre dann eine Strafe zwischen drei Monaten und fünf Jahren Haft für den Prediger, der sich bislang nicht zu den Vorwürfen äußert, auch nicht durch seinen Anwalt. Eine Abschiebung droht dem Mann dagegen nicht. Denn der salafistische Prediger hat es, auf welche Weise auch immer, in seinen Jahren in Deutschland geschafft, eingebürgert zu werden. Er ist jetzt Doppelstaatler.