Der Vorgänger der jetzigen Innenministerin in Deutschland, Horst Seehofer, tat sich mit dem Begriff „Einwanderungsland“ noch schwer. Im Koalitionsvertrag der neuen Bundesregierung findet sich ein ausdrückliches Bekenntnis dazu, dass Deutschland schon lange ein Einwanderungsland sei. Als Ziel geben die drei Parteien einen „Neuanfang“ in der Migrations- und Integrationspolitik aus, der „einem modernen Einwanderungsland“ gerecht werden soll. Migration soll vorausschauend und realistisch gestaltet werden, reguläre Migration ermöglicht, irreguläre Migration reduziert werden. Die neue Regierung bezeichnet diesen Zweiklang als „Paradigmenwechsel“.
Was die konkreten Initiativen anbetrifft, besteht ein beträchtlicher Unterschied zur Vorgängerregierung. Die hat zwar einen ersten Schritt zum sogenannten Spurwechsel gemacht, der eine Durchlässigkeit zwischen Asylsystem und Erwerbsmigration schafft. Aber das Chancenaufenthaltsrecht geht deutlich darüber hinaus. Es wurde bereits im deutschen Parlament verabschiedet.
Noch nicht ganz so weit gediehen sind die Änderungen zur Fachkräfteeinwanderung. Auch hier geht die Regierung über die Liberalisierungen der Vorgängerregierung hinaus. Das dritte Vorhaben, über das debattiert wurde, sind Änderungen im Staatsangehörigkeitsrecht. Der Gesetzentwurf aus dem Bundesinnenministerium ist noch in der Entwurfsphase, er wurde also noch nicht zur Abstimmung an die anderen Ressorts gegeben.
Mit diesem neuen Aufenthaltstitel soll das Problem von Kettenduldungen gelöst werden, profitieren sollen also gut integrierte Ausländer, die schon mehrere Jahre ohne gesicherten Status in Deutschland leben. Wer am 31. Oktober 2022 seit fünf Jahren geduldet oder gestattet ist oder mit einer Aufenthaltserlaubnis lebt und zudem nicht straffällig geworden ist, soll nach den Plänen der Regierung einen Aufenthaltsstatus für 18 Monate bekommen, um die fehlenden Voraussetzungen für einen langfristigen Aufenthaltstitel zu erfüllen – das sind unter anderem Deutschkenntnisse und die Sicherung des eigenen Lebensunterhalts. Voraussetzung ist ein Bekenntnis zur freiheitlichen demokratischen Grundordnung. Ausgeschlossen sein sollen Menschen, die ihre Abschiebung aufgrund von wiederholten, vorsätzlichen Falschangaben oder aktiver Identitätstäuschung verhindern. Nach Schätzungen könnten rund 135.000 Menschen diese Regelung nutzen.
Drittstaatsangehörige „mit gutem Potential“ sollen zur Suche eines Arbeitsplatzes nach Deutschland kommen und sich hier aufhalten können. Dafür soll eine „Chancenkarte“ eingeführt werden, die auf einem „transparenten und unbürokratischen Punktesystem“ beruht. Das Vorbild hierfür sind Regelungen in Kanada. Zu den Auswahlkriterien könnten Qualifikation, Sprachkenntnisse, Berufserfahrung und Deutschlandbezug gehören. Die Einwanderung soll außerdem Drittstaatsangehörigen ermöglicht werden, die mindestens zwei Jahre Berufserfahrung und einen in ihrem Herkunftsland staatlich anerkannten, mindestens zweijährigen Berufsabschluss erworben haben. Diese Personen müssen in nicht reglementierten Berufen künftig ihren Abschluss nicht mehr formal in Deutschland anerkennen lassen. Ausländische Hochschulabsolventen bekommen wie bisher die Blaue Karte. Fachkräfte sollen künftig jede qualifizierte Beschäftigung ausüben können: Eine als Kauffrau für Büromanagement anerkannte Fachkraft kann auch im Bereich Logistik als Fachkraft beschäftigt werden.
Dem Gesetzentwurf zufolge sollen in Deutschland geborene Kinder ausländischer Eltern automatisch die deutsche Staatsangehörigkeit erhalten, wenn ein Elternteil seit fünf Jahren „seinen rechtmäßigen gewöhnlichen Aufenthalt“ in Deutschland hat. Außerdem soll eine Einbürgerung in der Regel nach fünf Jahren möglich sein und nicht wie bisher nach acht Jahren, bei besonderen Integrationsleistungen sollen sogar drei Jahre genügen. Für Angehörige der sogenannten Gastarbeitergeneration soll das für die Einbürgerung notwendige Sprachniveau gesenkt werden. Mehrfachstaatsangehörigkeit soll weiterhin ermöglicht werden, mit der Einbürgerung muss die bisherige Staatsangehörigkeit also nicht mehr abgegeben werden.
Oppositionsführer Friedrich Merz kritisiert den Gesetzentwurf besonders stark. Zwar will er sich „einer weiteren Modernisierung des Einwanderungsrechts und des Staatsbürgerschaftsrechts“ nicht verschließen, sieht aber in den Regierungsvorhaben eine Verwässerung des Staatsangehörigkeitsrechts in Deutschland..
Brisanter sind allerdings die Bedenken aus den Reihen der Regierungskoalition selbst, besonders bei den Liberalen. Der stellvertretende Fraktionsvorsitzende Konstantin Kuhle kritisierte die Reihenfolge, die FDP dringt darauf, zunächst in der Frage der Fachkräfteeinwanderung voranzukommen. Der Fraktionsvorsitzende Christian Dürr fordert eine Migrationspolitik „aus einem Guss“. Er sprach auch an, dass Ausländer, die sich nicht integrieren wollen, das Land wieder verlassen müssen.
Dürr spricht einen Passus aus dem Koalitionsvertrag an, zu dem es bisher noch keinen Vorstoß gibt. Von einer „Rückführungsoffensive“ ist die Rede, um Ausreisen konsequenter umzusetzen, insbesondere die Abschiebung von Straftätern und Gefährdern. Außerdem hat sich die Regierung vorgenommen, Asylklageverfahren zu beschleunigen, damit es schneller Klarheit gibt, wer bleiben darf und wer nicht. Auch hier gibt es noch keine konkreteren Pläne.
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