Nachdem wir bereits die Migrationspolitik in Großbritannien dargestellt haben, wollen wir heute einen Blick in den Norden richten. Die schwedische Regierung hat im ersten Halbjahr diesen Jahres den Vorsitz im Europäischen Rat, also war es federführend im Asylkompromiss, den der Rat in der vergangenen Woche auf Ministerebene verabschiedete. Darüber werden wir in den kommenden Tagen berichten, wollen heute aber einmal den Blick darauf richten, welche Maßnahmen die konservative Regierung, die von den rechtsextremen Schwedendemokraten gestützt wird, in ihrer Migrationspolitik gesetzt hat.
In Schweden regiert seit letztem Herbst ein konservatives Bündnis der Moderaten Sammlungspartei von Ministerpräsident Ulf Kristersson zusammen mit den Liberalen und den Christdemokraten, toleriert wird die Minderheitsregierung von den rechtspopulistischen Schwedendemokraten. Mitte Oktober stellten die vier Parteien die sogenannte Tidö-Übereinkunft vor, in der die Grundzüge der Regierungsvorhaben festlegt sind. Die Vorschläge führten zu einem Aufschrei unter Menschenrechtsaktivisten und Flüchtlingshelfern. Doch blieb zunächst unklar, ob und, wenn ja, wie viel davon verwirklicht würde. Nun aber geht die Regierung zunehmend umstrittene Maßnahmen in der Migrations- und Flüchtlingspolitik an. Das Mindesteinkommen kommt, auch wurde nun bekannt, dass die Regierung an einem Gesetzesentwurf arbeitet, dem zufolge etwa Lehrer, Mitarbeiter im Gesundheitswesen, aber auch Sozialarbeiter gezwungen wären, illegale Migranten zu melden.
Im Asylrecht vollzog Schweden schon nach dem starken Zuzug 2016 noch unter einer sozialdemokratisch geführten Regierung einen Paradigmenwechsel. „Schweden hat damals beim Schutz der Menschen das EU-Minimum erreicht“, sagt ein Sprecher des Schwedischen Zentrums für Flüchtlingsrecht, einer Organisation, die Asylbewerber berät. Die Regierung plant auf Basis des Tidö-Abkommen weitere Verschärfungen etwa bei der Unterbringung und den Asylverfahren. So soll etwa Asylbewerbern in erster Instanz nicht mehr automatisch ein Anwalt zur Seite gestellt werden, auch soll ein dauerhafter Aufenthaltsstatus, den Flüchtlinge in Schweden meist nach fünf Jahren erhalten, für diese abgeschafft werden. Auch sollen Kinder in Abschiebezentren untergebracht und auch Menschen mit dauerhaftem Aufenthaltsrecht zur Ausreise gebracht werden. Abgeschafft werden soll zudem der Wechsel von einem Aufenthaltsstatus zum anderen, die Anzahl der Quotenflüchtlinge soll reduziert werden, die über ein UNHCR-Verfahren ins Land kommen. Abschiebungen sollen verstärkt werden und künftig auch aufgrund von „unsozialem Verhalten“ möglich sein, auch wenn unklar bleibt, was das genau bedeutet. Eine Verurteilung wäre dann nicht mehr notwendig.
Arbeitserlaubnisse für Einwanderer werden künftig an ein Mindesteinkommen gekoppelt werden. Das entsprechende Gesetz wurde erst im vergangenen Monat im Parlament vorgestellt. Demnach wird ein Einkommen von mindestens 26.560 Kronen (ca. 2.300 Euro) monatlich Voraussetzung sein. Die neue Regelung soll Anfang Oktober in Kraft treten. Sie diene dazu, Einwanderung in Niedriglohnberufe zu stoppen, sagte die Innenministerin, davon seien mehrere Tausend Menschen betroffen. Das Vorhaben wurde gegenüber ursprünglichen Plänen einerseits abgeschwächt (geplant war ein Mindesteinkommen von 30.000 Kronen), andererseits soll nun auch für Erneuerungen von Arbeitserlaubnissen ein Mindestgehalt Voraussetzung sein.
In vielem hat Schweden damit Dänemark zu Vorbild. Dort ist die Ausreise von Flüchtlingen vorderstes Ziel, nicht deren Integration. Asylbewerbern ist während ihres Verfahrens nicht erlaubt zu arbeiten, auch anerkannte Flüchtlinge erhalten keinen dauerhaften Aufenthaltstitel mehr, ihr Status wird immer wieder überprüft. Derzeit verlieren dort viele Syrer Schutz, weil sie aus Gebieten kommen, die von der Regierung als sicher eingestuft wurden. Zudem gelten in sogenannten Ghettovierteln verschärfte Gesetze.
Schweden hat ein enormes Problem mit der Bandenkriminalität. Fast täglich gibt es Schießereien und Explosionen. Oft sind die Straftäter minderjährig. Auch hierzu enthält das Tidö-Abkommen eine Reihe von Vorhaben. Aus vielen spricht die Sicht, dass Migration die Ursache von Verbrechen ist. Künftig sollen etwa Ausländer auch dann abgeschoben werden, wenn sie nur verbunden sind mit einer kriminellen Organisation oder einer solchen, die die „schwedischen Werte“ gefährdet, Gangmitglieder sollen doppelte Strafen erhalten, Strafreduktionen für Jugendliche wegfallen und vieles mehr. Die geplanten Maßnahmen führten nicht zu mehr Integration, sondern zu mehr Ausgrenzung, sagt das Stockholmer Zentrum für Flüchtlingsrecht: „Eines der Hauptziele des Tidö-Abkommens ist die Verbesserung der Integration, aber gleichzeitig enthält es Maßnahmen, die die Rechte von Asylbewerbern einschränken und die Menschen weiter von der Gesellschaft fernhalten.“ Aufgrund der Maßnahmen sei eine Verschlechterung bei der Integration wahrscheinlich, insofern problematisch, da die meisten Menschen schließlich im Land bleiben und die Konflikte in den Herkunftsländern nicht verschwinden würden. Bei vielen Punkten im Tidö-Abkommen wisse man immer noch nicht, was davon am Ende wirklich beschlossen würde, doch sei stets eine Ablehnung von Migranten herauszulesen. Viele Aussagen aus Regierungskreisen in Schweden würden eher an die Politik in Polen und Ungarn erinnern, so die Kritiker.
Schweden droht ein Land mit unterschiedlichen Rechten für unterschiedliche Gruppen zu werden, eine Gesellschaft von wir und die, in der Ausländer vor allem als Sicherheitsbedrohung wahrgenommen würden.
Alle Veröffentlichungs- und Urheberrechte sind dem MENA Research and Study Center vorbehalten.