Der Premierminister des Vereinigten Königreichs Rishi Sunak hat an seinen Bürgern ein Versprechen gegeben: Wir stoppen die Boote, we stop the boats! Der Premier meint damit die Boote von Schleppern, die Menschen illegal über den Ärmelkanal nach Großbritannien bringen. Laut britischer Regierung waren es allein im vergangenen Jahr 45.728, die auf diesem Weg ins Vereinigte Königreich gekommen sind. Damit soll nun Schluss sein.
Die britische Regierung veröffentlichte einen Entwurf für ein verschärftes Asylrecht, der vorsieht, dass illegal über den Ärmelkanal ins Land gekommene Migranten einfacher festgenommen und abgeschoben werden können. Parallel dazu sollen neue „legale und sichere Wege“ für Asylsuchende eröffnet werden. „Unsere Maßnahmen werden im Prinzip und in der Anwendung einfach sein: Der einzige Weg nach Großbritannien wird ein sicherer und legaler Weg sein“, sagte Innenministerin Suella Braverman zu den Plänen. „Genug ist genug“, meinte sie, als sie den Gesetzentwurf im Unterhaus vorstellte. Die Geduld des britischen Volkes sei erschöpft, deshalb werde die Regierung nun handeln und die Schlepperboote stoppen. Braverman sagte, sie sei zuversichtlich, dass dies im Einklang mit internationalem Recht gelinge. Etwas deutlicher wurde sie bereits vor ihrem Auftritt im Parlament. Dem Daily Telegraph sagte Braverman: „Wir haben die Grenzen des internationalen Rechts ausgereizt, um diese Krise zu lösen.“
Die britische Regierung steht durch eine Rekordzahl über den Ärmelkanal einreisender Migranten seit Monaten politisch unter Druck. Alleine im vergangenen Jahr überquerten fast 45.000 Menschen den Ärmelkanal von Frankreich nach England – im Vergleich zu knapp 30.000 im Jahr 2021. Den Plänen zufolge will die Regierung illegal eingereisten Menschen lebenslang die Rückkehr nach Großbritannien untersagen. Zudem sehen sie Abschiebungen abgelehnter Asylbewerber ins ostafrikanische Ruanda vor.
Entsprechende Pläne waren bisher gescheitert. So wurde ein für Juni 2022 geplanter Flug von abgeschobenen Flüchtlingen nach Ruanda durch ein Urteil des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte kurzfristig gestrichen. Im Dezember urteilte jedoch der Londoner High Court, die Abschiebungen nach Ruanda seien rechtmäßig.
Menschenrechtsorganisationen kritisieren das Gesetzesvorhaben scharf. In den Augen des britischen Flüchtlingsrates verstößt Großbritannien damit gegen seine Verpflichtung im Rahmen der Flüchtlingskonvention der Vereinten Nationen, Menschen unabhängig von ihrem Ankunftsweg eine faire Anhörung zu gewähren. Auch große Teile der Opposition warfen der Regierung vor, gegen geltendes Recht zu verstoßen. Labour-Chef Keir Starmer zweifelte an, dass die Pläne rechtlich Bestand haben werden. Aus Regierungskreisen verlautete, man gehe davon aus, dass die Rechtmäßigkeit des Gesetzes vor Gericht geklärt werde – aber wohl erst nach der Unterhaus-Wahl im kommenden Jahr.
Für Sunak hätte dies den Vorteil, dass er im Wahlkampf zumindest behaupten kann, ein Brexit-Versprechen einzulösen: nämlich die Kontrolle über die eigenen Grenzen wiederzugewinnen. Take back control heißt der Schlachtruf der Brexiteers, der bis heute nicht verstummt ist. Und so versprach Sunak der Boulevardzeitung Sun, dass dies mit dem neuen Gesetz „ein für alle Mal“ geschehen werde. „Dieses Gesetz wird ein klares Signal senden, dass jeder, der illegal in dieses Land kommt, weggeschickt wird.“
Sunak traf sich auch zu Gesprächen mit dem französischen Präsidenten Emmanuel Macron in Paris. Der Premier wollte versuchen, zusammen mit Frankreich einen Weg zu finden, gegen die Schlepperbanden am Ärmelkanal vorzugehen. Doch so einfach ist das nicht. Neben den rechtlichen Hürden gibt es noch allerlei praktische Probleme – nicht nur an der französischen Küste, sondern auch bei Sunak zu Hause. Schließlich müssen die Menschen, die illegal nach Großbritannien kommen, zunächst einmal untergebracht werden. Bislang werden dafür vor allem Hotels und stillgelegte Militärareale genutzt. Laut Innenministerium liegt die Zahl der noch nicht abschließend geprüften Asylanträge derzeit bei 160.000. Ist das neue Gesetz erst einmal in Kraft, soll es auch für diese Altfälle rückwirkend gelten.
Die Frage ist allerdings, ob es der Regierung überhaupt gelingt, Menschen wie geplant binnen 28 Tagen abzuschieben. Mit Ruanda, einem sicheren Drittstaat, hat London bereits einen umstrittenen Migrationspakt geschlossen und dem Land dafür 140 Millionen Pfund gezahlt, umgerechnet etwa 156 Millionen Euro. Die Vereinbarung sieht vor, dass Migranten nach der Abschiebung aus Großbritannien in Ruanda Asyl beantragen und – wenn es ihnen gewährt ist – dort leben können. Da jedoch der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte einschritt, gab es bisher noch keinen einzigen Abschiebeflug nach Ruanda.
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