Er ist in den Medien nicht nur präsent, wenn er großspurig seinen Herrscher daheim im Kreml kritisiert, wenn er propagandistisch die Einnahme der durch seine Söldner zerstörten Stadt Bachmut in der Ukraine verkündet. Der frühere Koch Putins, Jewgenij Prigoschin, Gründer und Oberkommandierender der Mördertruppe „Wagner Group“, bietet sich auch als Friedensvermittler im Sudan an. Ausgerechnet er will im Konflikt zwischen zwei sich bekriegenden Militärfraktionen vermitteln. Er sei „seit langem mit Sudan verbunden“ und habe „mit allen Menschen kommuniziert“, die dort Entscheidungen treffen, schrieb Prigoschin in einem „offenen Brief“, den seine Pressestelle auf Telegram veröffentlichte. Im Gegensatz zu den Vereinten Nationen und anderen, die „sudanesisches Blut wollen“, strebe er Frieden an.
Was der Oligarch, Söldnerführer und frühere Koch von Wladimir Putin über Sudan schreibt, dürfte jedoch zumindest zum Teil auf Tatsachen beruhen. So heißt es in seinem Brief weiter: „Was jetzt in Sudan passiert, ist nicht das, wofür wir den Sudanesen beigebracht haben, mit Waffen umzugehen.“
Über die Aktivitäten Russlands und insbesondere der „Wagner“-Gruppe in dem ostafrikanischen Land wird seit mehreren Jahren spekuliert. Es geht um Gold und Waffen. Aber das Engagement in Sudan ist auch Teil eines geopolitischen Machtkampfs: Russland versucht, in Afrika stärker Fuß zu fassen. Im Juli vergangenen Jahres unternahm Außenminister Sergej Lawrow eine ausgedehnte Reise durch den Kontinent. Dann wieder im Januar diesen Jahres. Und ein weiteres Mal im Februar. Zu den Themen, über die er mit Präsidenten und Diktatoren sprach, gehörten russische Getreideexporte, Energiepartnerschaften und militärische Unterstützung.
Kein anderes Land liefert so viele Waffen nach Afrika wie Russland – mehr als 40 Prozent der afrikanischen Waffenimporte der Jahre 2017 bis 2021 kamen von dort. Zugleich ist Moskau darum bestrebt, seinen politischen Einfluss auszubauen, auf Kosten des Westens. Der Lohn zeigte sich vor rund einem Jahr: Im März 2022 verweigerten 18 afrikanische Länder in der UN-Vollversammlung einer Resolution die Zustimmung, die Russlands Krieg gegen die Ukraine verurteilte.
Der Konflikt in Nordost-Afrika geht weit über den Sudan hinaus. Davon profitiert vor allem der sudanesische Kommandeur Daglo. Er hat eine Allianz mit den russischen Paramilitärs der „Wagner Group“ geschlossen, die auch im Ukraine-Krieg eine tragende Rolle spielen und die an den Goldreserven in der Region interessiert sind, sowie mit dem Warlord Khalifa Haftar im Nachbarland Libyen. Haftar und Daglo eint die Aversion gegen die Muslimbrüder und Islamisten, mit denen wiederum der sudanesische Armeechef Burhan verbündet ist. Gut unterrichtete US-Medien zitierten libysche Quellen, die von Waffenlieferungen an die RSF wenige Tage vor Kriegsbeginn berichten. Im libysch-sudanesischen Grenzgebiet unterhält die RSF mehrere Militärcamps.
Satellitenaufnahmen zeigen im April auf dem Flughafen Al-Khadim geparkte russische Iljushin-76, kurz darauf wurden weitere Flugzeuge auf dem von der RSF und Wagner-Gruppe genutzten zentrallibyschen Militärflughafen Al-Jufra gesichtet. Militärexperten beobachten die russische Luftbrücke zwischen Syrien und Libyen seit 2014, sie halten die gesonderten Parkpositionen der von Wagner betriebenen Iljuschin auf den von Haftars Libysch-Nationaler Armee LNA kontrollierten Flughäfen für eines von mehreren Indizien für Waffenlieferungen an die RSF.
Libysche Journalisten berichten von mehreren Lastwagenkolonnen, die in den vergangenen Tagen von Al-Khadim und Al-Jufra über die libysch-sudanesische Grenze bei Kufra in das sudanesische Al-Fasher unterwegs waren. Die zivilen Lastwagen wären zwar als Hilfslieferungen gekennzeichnet gewesen, waren aber tatsächlich voller Flugabwehrwaffen, behaupten auch mehrere Medien in der libyschen Hauptstadt. Tripolis war 2019 von Haftars LNA, Wagner, Daglos RSF und Söldnern aus dem Tschad 18 Monate lang erfolglos belagert worden.
Die langjährige Zusammenarbeit Daglos mit dem Kreml ist unumstritten. Nach der russischen Annexion der Krim im Sommer 2014 einigten sich Wagner-Kommandeure mit den damals noch alliierten Daglo und Burhan auf eine lukrative Partnerschaft in den Goldgräberstädten in Libyen und Darfur. Sudanesische Ingenieure holten im Auftrag Daglos von 2017 im darfurischen Jebel Amer und ein Jahr später im tschadisch-libyschen Grenzgebiet riesige Goldvorräte aus dem Wüstenboden. Wagner-Söldner sorgten für die Sicherung der Transporte und der immer größer werdenden Wüstencamps, in die Migranten und Arbeitssuchende aus der ganzen Region strömten. Jede Woche pendeln Maschinen der russischen Luftwaffe zwischen den syrischen Militärflughäfen bei Latakia und den beiden libyschen Militärstützpunkten Jufra und Al-Khadim. Auf dem Weg nach Libyen sind syrische und russische Söldner oder Waffen an Bord, für den Rückweg werden Gold und US-Dollar für Damaskus und Moskau geladen. Oft machen die Iljuschins auch einen Umweg in die Vereinigten Arabischen Emirate, dem wichtigsten Handelsplatz für das Gold aus dem Dreiländereck Sudan, Libyen und Tschad.
Am Tag des russischen Einmarsches in die Ukraine war Daglo wiederum mit einer von ihm zusammengestellten Delegation in Moskau zu Gast. Manchen Berichten zufolge geht die Zusammenarbeit zwischen ihm und Russland aber noch weit über den Goldhandel hinaus. Der amerikanische Sender CNN berichtete kürzlich, dass die „Wagner“-Gruppe die RSF mit Boden-Luft-Raketen beliefert habe. Sie seien kurz vor dem Ausbruch der Kämpfe nach Libyen gebracht worden, wo „Wagner“ Militärbasen des mit den RSF verbündeten Kriegsherrn Khalifa Haftar nutzt, und von dort nach Sudan.
Prigoschin weist auch das zurück. Einen Tag nach der Veröffentlichung seines „offenen Briefs“ teilte er mit: „Ich betone noch einmal, dass der private Militärdienstleister Wagner in keiner Weise in den sudanesischen Konflikt verwickelt ist.“ Desinformation hat allerdings schon immer zum Geschäft von „Wagner“ gehört. Und Prigoschins Gruppe nimmt in Afrika auf verschiedenen Wegen Einfluss. In Sudan über Tarnfirmen im Zusammenhang mit dem Goldabbau und offenbar durch Rüstungslieferungen. Anderswo, etwa in Mali, ist „Wagner“ unmittelbar militärisch aktiv. Frankreich hat seine Truppen deshalb aus Mali abgezogen, nach einem mehr als zehn Jahre langen, aber letztlich wenig erfolgreichen Einsatz gegen islamistische Terrorgruppen.Für den Kreml dient das Gold der Sahara zur Stützung der durch westliche Sanktionen geschwächten Zentralbank. Daglo sah in der Partnerschaft mit Moskau die Chance, sich von der Armee und der politischen Elite in Khartum unabhängig zu machen. Denn die Islamisten, Generäle und Regimeanhänger in der Hauptstadt sehen in ihm und seinen aus den verarmten Provinzen des Tschad und Sudan kommenden RSF-Paramilitärs allenfalls Befehlsempfänger. Die militärische Unterstützung des Kremls dankte Daglo mit dem Versprechen einer zukünftigen russischen Militärbasis in der Hafenstadt Port Sudan.
Bisher konzentrierten sich Russland und die Söldner der „Wagner Group“ auf krisengeschüttelte Staaten in Afrika. Beobachter befürchten aber, dass sich die Sudan-Krise ausweiten und die gesamte Region erschüttern könnte. Tschad wäre besonders betroffen. Schon jetzt flüchten sich Tausende Menschen aus Sudan dorthin. „Wagner“ und Russland mögen nicht hinter dem Machtkampf der dortigen Militärführer stehen. Gelegen kommt ihnen der Machtkampf aber in jedem Fall.
Der Westen hat den Kampf um den „globalen Süden“ zu einem Schlüssel für die internationale Isolierung Russlands im Ukraine-Krieg erkoren. Diese Kampagne ist bislang weniger erfolgreich als erhofft. Moskau geht bei der Unterstützung autokratischer Regime in Afrika und anderen Teilen der Welt wenig wählerisch vor. Es liefert Waffen, erhält Rohstoffe und redet herzlich wenig über demokratische Werte. Die Chinesen machen es ähnlich. Sie bauen Straßen, Brücke und Eisenbahnlinien. Finanziert wird das Ganze durch Kredite aus Peking. Die Arbeiter kommen ebenfalls aus der Volksrepublik. Europäer und Amerikaner haben noch kein passendes Gegenmodell hierzu gefunden. Klar ist: Westliche Werte allein reichen nicht.
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