Bekannt ist das Phänomen bereits aus Österreich: Ultrarechte Parteien wie die FPÖ werden nicht nur von alten Herren mit Lodenmantel gewählt, sondern auch zu einem nicht geringen Teil von Wählern mit migrantischen Hintergrund. Hier sind es besonders Bürger mit einem familiären Hintergrund aus dem Balkan und Ungarn. Nun legen erste Zahlen nahe, dass das Alpenland kein Alleinstellungsmerkmal darstellt. In Deutschland verhält es sich ähnlich.
Eine Studie, die das Wahlverhalten von Migranten bei der Bundestagswahl 2017 untersuchte, kam noch zum Ergebnis, dass kaum Muslimischstämmige für die AfD stimmten. Die islamfeindliche Haltung wirkte abschreckend auf sie. Vielleicht scheint dies nicht mehr zu gelten. „Weil die hier mal aufräumen“, wird häufig als Grund für das Kreuz bei der rechtsextremen AfD in Deutschland genannt. Das Zitat stammt aber nicht von einem ostdeutschen Protestwähler, sondern von einem Wähler, der sich selbst als Araber bezeichnet und vor Jahrzehnten ins Land eingewandert ist. Ihn stören Zuwanderung und Kriminalität, die aus seiner Sicht beide zu hoch sind.
Experten aus der politischen Bildungsarbeit, die in direktem Kontakt mit Menschen stehen, die einen Migrationshintergrund haben, stellen in den letzten Jahren fest, dass Wähler aus muslimischen Familien nicht selten die Absicht äußern, für die AfD stimmen zu wollen. Es sind durchschnittlich zwar nur ca. zwei Prozent der Migranten, aber es handelt sich deutlich um eine wachsende Gruppe. Dabei unterscheidet man zwischen zwei Gruppen, die Sympathie für die AfD zeigen: Die erste Gruppe besteht aus Menschen, die ihre Vorurteile und Verschwörungsgedanken wenig hinterfragen, beispielsweise Vorurteile gegen Sinti und Roma, Rassismus gegenüber schwarzen Personen. Auch die in den arabisch-sprachigen sozialen Medien während der Pandemie verbreiteten Verschwörungstheorien über Corona hatten ihre Wirkung. Diese Haltungen sind auch unter Migranten verbreitet und deckten sich mit Positionen der AfD. Das andere Spektrum der arabischen Wählerschicht für die Rechtsextremen sind nicht so eindeutig abzuholen, denn diese fühlen sich von der Mehrheitsgesellschaft abgelehnt und wollen daher dem Staat Schaden zufügen. Es sind also die typischen Protestwähler, die die Wahlforschung auch aus der Mehrheitsgesellschaft mehr als gut kennt. Hier geht es den Wählern nicht um einzelne Positionen der AfD, sondern darum, dass sie das Establishment entmachten ein Stück weit bloßstellen oder entmachten wollen. Neuere Studien zum Wahlverhalten von Migranten mit Systemfrust bestätigen diese These: Sie fühlen sich bei der AfD gut aufgehoben.
Die Wahlforschung ist sich schon seit langem einig darüber, dass Wähler mit Migrationsgeschichte nicht grundsätzlich von Wählern ohne Migrationsgeschichte unterschieden werden können. Die Angleichung setze sich seit Jahrzehnten fort. Dass unter Türkeistämmigen die SPD deutlich stärker war, hatte damit zu tun, dass Parteien links der Mitte als offener für die Probleme von Einwanderern wahrgenommen werden. Zudem waren die sog. „Gastarbeiter“ aus der Türkei soziologisch gesprochen Teil der Arbeiter in Deutschland. Da lag es mehr als nahe, dass sie auch nach Erhalt der deutschen Staatsbürgerschaft sozialdemokratisch wählen würden. Die Dominanz gegenüber der SPD nimmt aber bereits seit Jahren stetig ab. Dies hat auch die konservative CDU erkannt, bislang nicht gerade die klassische Partei für das migrantische Milieu, die sich stärker als früher um muslimischen Mittelschichtswähler bemüht, die konservative Positionen haben.
Parallel dazu gleichen sich aber auch die Wähler in ihren extremen Positionen an. Xenophobie und Rassismus sind unter Migranten genauso stark verbreitet wie in allen anderen Bevölkerungsgruppen. Insofern ist es auch nicht verwunderlich, wenn Positionen der AfD von der islamischen Wählerschaft in Europa übernommen werden. Häufig ist in Deutschland bereits über Russlanddeutsche berichtet worden, die für die AfD stimmten. Im Rahmen der bereits oben genannten Studie zur deutschen Bundestagswahl 2017 zeigte sich, dass rund 15 Prozent von ihnen für die AfD stimmten, ein Fünftel mehr als in der Gesamtbevölkerung. „Dass die Partei Einwanderung ablehnt, ist für ihre russlanddeutschen Wähler kein Problem. Manche Russlanddeutsche begreifen sich als die ,richtigen Deutschen‘, die als Umgesiedelte ihre Identität verteidigen mussten“, sagte der Leiter der Studie. In der Gruppe der aus Russland Stammenden habe sich Misstrauen gegenüber Flüchtlingen aus Syrien gezeigt. Die Befragten störte, dass die Syrer kein Deutsch gesprochen hätten und gleich eine Menge Leistungen des Staates erhalten hätten.
Diese Form des Konkurrenzdenkens zeigt sich auch in anderen Migrantengruppen, die vor Jahrzehnten nach Deutschland gekommen sind. Der Vorwurf: Die Neuen erlangen innerhalb kurzer Zeit den Status, den frühere Einwanderer sich über Jahre erarbeiten mussten. Daraus kann eine Ablehnung von Einwanderung erwachsen, die hin zur AfD führen kann. Bislang fehlen allerdings belastbare, aktuellere Studien zum Thema.
Die Pandemie hat sicherlich noch zu einer Verstärkung dieser Tendenz hin zu rechtsextremistischen Parteien geführt. So gab es unter Migranten wie im Rest der Bevölkerung Menschen, die für Verschwörungsgedanken empfänglich waren und sich der Impfung verweigert haben. In diesen Kreisen hat die AfD mit ihrem Protest auch aus migrantischen Gruppen Zuspruch erhalten.
Auch die AfD hat dieses Wählerpotential erkannt. Ein der Partei nahestehender Verein wurde genau für diese Zielgruppe gegründet. Die Truppe geht in Schulen und wirbt für die rechten Ideen, auch unter Migranten. Der Verein soll in kommenden Wahlkämpfen keine besonders wichtige Rolle spielen. Dem AfD-Verein geht es vielmehr um ein langfristiges Signal, keinen Wahlkampftrick. Ähnlich war die rechte FPÖ in Österreich bereits erfolgreich, auch unter Migranten. Die AfD versucht hier eine Taktik anzuwenden, wie sie es bereits mit der jüdischen Community versucht: Man sei ja keine antisemitische Partei, immerhin gibt es eine Gruppe mit dem Namen „Juden in der AfD“. Soll das ein Argument sein für eine Partei, deren Vorsitzender einmal sagte, der nationalsozialistische sein in „Vogelschiss in der deutschen Geschichte“ gewesen?
Alle Veröffentlichungs- und Urheberrechte sind dem MENA Research Center vorbehalten.