In allen europäischen Gesetzestexten haben Eltern das Recht und die Pflicht zur Erziehung ihrer Kinder. Bei schwierigen Situationen kann die Kinder- und Jugendhilfe die Eltern dabei unterstützen, sie soll „jungen Menschen erleichtern, selbstbestimmt zu interagieren und damit gleichberechtigt in der Gesellschaft teilhaben zu können“, so die bezugnehmende Regelung in deutschen Sozialgesetzbuch.
In Hamburg werden solche Probleme im Landesjugendhilfeausschuss der Sozialbehörde beschlossen. Die dortige Regierung will künftig auch Vertretern von zwei umstrittenen islamischen Organisationen die beratende Mitgliedschaft in diesem Ausschuss ermöglichen.
Diese beiden Institutionen sind der deutsch-türkische Moscheeverbands Ditib, der eng an den türkischen Staat angebunden ist, sowie um den Dachverband Schura, zu dem auch das Islamische Zentrum Hamburg gehört – laut Verfassungsschutz „ein bedeutendes Propagandazentrum des Iran in Europa“. In dem beratenden Gremium sind bereits von den Religionsgemeinschaften die katholische und evangelische Kirche zusammen mit der jüdischen Gemeinde vertreten.
Wissenschaftler und Experten warnen bereits: „Nach jahrelanger berechtigter Kritik an auslandsabhängigen islamistischen Organisationen sollen diesen Gruppierungen jetzt politisch aufgewertet werden.“ Sie befürchten eine Stärkung des Einflusses auf die Jugendarbeit. „Diese Entscheidung sendet das fatale Signal aus, dass die Bedrohung durch antisemitische und antidemokratische Tendenzen nicht ernst genommen wird.“
Die Gesetzesänderung wurde noch nicht vom Landesparlament beschlossen, der Entwurf des Senats wurde aber bereits im zuständigen im Ausschuss beraten. Die Sozialbehörde des Senats begründet ihren Vorschlag mit unterschiedlichen Herkünften und Interessen der Jugendlichen in Hamburg. „Angesichts Tausender Kinder und Jugendlicher muslimischen Glaubens, die in Hamburg leben, ist die Möglichkeit, dass entsprechende Träger auch im Landesjugendhilfeausschuss mitarbeiten können, aus Sicht des Senats durchaus angemessen“, sagte ein Sprecher.
Das Schura-Mitglied Islamisches Zentrum Hamburg (IZH) wird seit 1993 vom Verfassungsschutz beobachtet. Ditib untersteht der türkischen Religionsbehörde Diyanet, diese wiederum ist direkt dem türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan unterstellt. Ihre Imame werden an staatlichen Hochschulen in der Türkei ausgebildet und vom türkischen Staat bezahlt.
2018 wurde bekannt, dass in mehreren Ditib-Moscheen Kinder Kriegsszenen nachspielen mussten. 2019 wurde nach dem türkischen Einmarsch in Nordsyrien in Ditib-Moscheen für einen Sieg der Türkei gebetet. Eine Recherche des deutschen Magazins „Der Spiegel“ zeigte im Januar dieses Jahres, dass der Vorsitzende des Regionalverbands Ditib Nord zuletzt enger an die türkische Regierung und zudem in die Nähe von rechtsextremen Grauen Wölfen gerückt ist.
Ein Sprecher der Hamburger konservativen Partei CDU sagt dazu: „SPD und Grüne in Hamburg sollten endlich zur Vernunft kommen und diesen Akteuren ein deutliches Stopp-Zeichen setzen, anstelle sie auch noch auf allen Ebenen zu hofieren.“ Der Hamburger Staatsvertrag mit der Schura und weiteren islamischen Verbänden war vom früheren CDU-Bürgermeister Ole von Beust auf den Weg gebracht und 2012 vom damaligen Bürgermeister und heutigem Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) abgeschlossen worden. Mittlerweile fordert die CDU die Auflösung des Staatsvertrags.
Die Sozialdemokraten in Hamburg verteidigen die Pläne des Senats, dass Schura und Ditib gemeinsam mit dem Verband der Islamischen Kulturzentren ein beratendes Mitglied in den Jugendhilfeausschuss entsenden können. „Die städtischen Vertragspartner wissen heute sehr genau, was Hamburg für eine vertrauensvolle Zusammenarbeit erwartet, weil dies bei Problemen in der Vergangenheit sehr klar kommuniziert worden ist“. Man verweist darauf, dass das Islamische Zentrum nur eines von knapp 40 Schura-Mitgliedern ist. Für Ditib Nord gelte, dass sich der Regionalverband von der türkischen Einflussnahme emanzipiert habe. „Als SPD war es immer unser Ansatz, nicht übereinander, sondern vor allem miteinander zu sprechen.“ Die Grünen verweisen darauf, dass lediglich eine beratende, nicht stimmberechtigte Mitgliedschaft geplant ist. „Der Einfluss dieser Religionsgemeinschaften im Ausschuss ist also gering“. Zahlreiche Debatten hätten innerhalb der Schura „zu einem Reformprozess geführt“.
Tatsächlich ist das umstrittene Islamische Zentrum Hamburg seit Januar dieses Jahres nicht mehr im Schura-Vorstand vertreten. Vorsitzender ist Fatih Yildiz, der zur Islamischen Gemeinschaft Milli Görüs (IGMG) gehört, die vom Bundesamt für Verfassungsschutz im Bereich Islamismus beobachtet wird, obwohl Extremismusbezüge in den vergangenen Jahren schwächer geworden seien.
Streit über das Thema gibt es auch in der westdeutschen Stadt Essen. Auch dort will Ditib Träger der Jugendhilfe werden. Eine Abstimmung im Jugendhilfeausschuss des Rats wurde mehrfach verschoben, Proteste regen sich nun aus dem Integrationsrat. „Die vermeintliche Staatsferne der Ditib ist nur eine Täuschung, auf die offenbar einige reingefallen sind“, sagte ein Vertreter der Linken. „Wenn Ditib Träger der freien Jugendhilfe werden sollte, würde es erheblich erleichtert werden, dass Ditib städtische Fördergelder bekommt.“
Die Essener Ditib-Gemeinde ist personell mit dem türkischen Staat verbunden. In der vorliegenden Satzung – 2009 von 15 Männern unterschrieben – heißt es: „Der zuständige türkische Attaché für soziale und religiöse Angelegenheiten der Botschaft ist gleichzeitig kraft Amtes der Ehrenvorsitzende der Gemeinde.“
Das stört auch die Grünen. „Wir sehen es sehr kritisch, wenn Verbände, die in dem dringenden Verdacht stehen, auf Geheiß eines autokratischen Systems zu agieren und religiös-fundamentalistische Lehren zu verbreiten, Träger der freien Jugendhilfe werden wollen“, sagen die Grünen. „Keineswegs dürfen Vertreterinnen und Vertreter anderer Staaten Einfluss auf die Jugendhilfe oder die Bildung unserer Kinder haben.“ Die SPD in der Stadt Essen deutet eine Unterstützung der Ditib an. „Die Fraktion begrüßt grundsätzlich jedes bürgerliche und ehrenamtliche Engagement zum Wohle unserer Stadt und ihrer Bürger“, teilte ein Sprecher mit. „Die Entscheidung, ob die jeweilige Ditib-Gemeinde die nötigen Voraussetzungen hierzu erfüllt, ist rein formaler Natur und wird durch die Verwaltung und nicht die Politik beantwortet.“
Im Sozialgesetzbuch heißt es hierzu, dass Träger der freien Jugendhilfe „die Gewähr für eine den Zielen des Grundgesetzes förderliche Arbeit bieten“ müssen. Darauf verweist auch die Essener CDU-Fraktion. Diese bewerte die Ditib aufgrund ihrer Nähe zum türkischen Staat „durchaus kritisch“. Die Stadtverwaltung habe allerdings lediglich zu prüfen, ob die Voraussetzungen nach Sozialgesetzbuch vorliegen. „Ein politischer Entscheidungsspielraum besteht bedauerlicherweise nicht.“
Islam-Experten bestreiten, dass bei der Ditib ein Einklang mit dem Grundgesetz gewährleistet werden kann, da eine Instrumentalisierung durch den türkischen Staat nicht ausgeschlossen werden könne. In der Vergangenheit seien türkischstämmige Kinder und Jugendliche von der Ditib wiederholt zu Spielbällen der türkischen Regierung geworden. „Sie wurden für ultranationalistische und islamistische Inszenierungen missbraucht, um die Politik Erdogans in Deutschland fortzusetzen.“
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