Nicht nur Katar, die Vereinigten Arabischen Emirate werden aufgrund der aktuellen Lage in Europa wegen der russischen Invasion in der Ukraine von der EU und der deutschen Bundesregierung mit neuen Augen gesehen, auch Ägypten ist auserkoren, ein wieder erstarkter Partner Berlins zu werden.
Abdel Fattah al-Sisi war zum Petersburger Klimadialog nach Deutschland gereist und machte daher auch einen Abstecher ins Bundeskanzleramt nach Berlin, mehr als eine Stunde lang haben Bundeskanzler Scholz und der ägyptische Präsident miteinander gesprochen. Die politische und wirtschaftliche Lage hat dazu geführt, dass beide Regierungschefs gerne einen Partner in ihrem Gegenüber sehen möchten. In Deutschland geht die Angst vor Energieknappheit um und es ist Sisi, der anbietet, Teil einer Lösung zu sein.
Die Energiekrise sei eine internationale Krise, sagte Sisi während der Pressekonferenz mit Olaf Scholz. Auch in seinem Land litten die Menschen unter den hohen Preisen. Aber Ägypten sei bereit, „alles anzubieten“, um Gas nach Europa zu liefern, zu den „Freunden in Deutschland“, um die Folgen zu lindern. Der Bundeskanzler hat solche Worte gerne gehört, denn sein Land möchte nicht nur Gas aus Ägypten, sondern auch Wasserstoff. Es bleibt nicht nur beim Händedruck, es sollen demnächst konkrete Vereinbarungen getroffen werden.
Andere Besuche endeten nicht so harmonisch. 2015 wurde Sisi mit militärischen Ehren empfangen, er traf auf die damalige Kanzlerin Angela Merkel und den damaligen Bundespräsidenten Joachim Gauck. Während der Pressekonferenz kam es dann aber zu ungewöhnlichen Szenen: Oppositionelle und regimetreue Journalisten gerieten aneinander. Es gab Demonstrationen wegen der Menschenrechtslage in dem Land. Norbert Lammert, damals Bundestagspräsident, verweigerte den Termin mit Sisi.
„Details wurden nicht genannt“: Dieser Satz fiel oft bei Journalisten, die bei der Pressekonferenz von Scholz und Sisi anwesend waren. Es ging dabei um die Frage, ob Scholz die Menschenrechtslage in Ägypten in seinem Gespräch angesprochen habe. Ja, man habe darüber geredet, hieß es hinterher schlicht. Und Scholz hob hervor, er habe Sisi auf die segensreiche Wirkung von „entschlossenen Schritten“ zu mehr Partizipation und Rechtsstaatlichkeit hingewiesen – diese trügen „dazu bei, die Lage zu verbessern und die Wirtschaft nachhaltig zu stärken und zu stabilisieren“.
Die Konferenz des Petersberger Klimadialogs im rheinischen Bonn gilt als Startschuss zur Vorbereitung der Weltklimakonferenz COP 27 im November. Berlin und Kairo richten sie gemeinsam im ägyptischen Badeort Scharm al-Scheich aus. Auf Einladung von der deutschen Außenministerin Baerbock diskutierten Vertreterinnen und Vertreter aus rund 40 Staaten konkrete Schritte zur Bewältigung der Klimakrise.
Wirtschaftliche Interessen waren und sind die Hauptimpulsgeber in den bilateralen Beziehungen beider Länder: Sisis Energie- und Infrastrukturprojekte bescheren deutschen Unternehmen Milliardenverträge: Beispielsweise schloss im Mai Siemens mit der Regierung in Kairo einen Vertrag über den Bau eines 2.000 Kilometer langen Hochgeschwindigkeitsbahnnetzes. Es handelt sich um den größten Auftrag in der Geschichte des international tätigen deutschen Technologiekonzerns mit einer Summe von 8,1 Milliarden Euro.
Im Zuge des russischen Kriegs in der Ukraine verzichtete Ägypten zunächst auf eine Distanzierung von Moskau. Sisi und Putin sollen sich sehr gut verstehen, der russische Despot stellt keine Fragen zu Menschenrechten. Außerdem ist Ägypten als weltweit größter Importeur von Weizen von Moskau, aber auch von der Ukraine abhängig, auch stoßen russische Waffensysteme in Kairo durchaus auf Interesse. Dennoch leidet Ägypten unter den Folgen des Kriegs: Wegen steigender Preise und einer drohenden Lebensmittelkrise erhielt Ägypten von der EU kürzlich 100 Millionen Euro. Die stark gestiegenen Lebensmittel- und Energiepreise mehren die Angst vor sozialen Unruhen in dem 100-Millionen-Einwohner-Land Ägypten.
Deutschland hingegen will mehr verflüssigtes Gas in Ägypten kaufen und zusammen mit dem nordafrikanischen Land am Aufbau einer Wasserstoffproduktion arbeiten. Das während des Besuchs von Präsident Abdel Fattah al-Sisi in Berlin besprochene Projekt passe gut zu den „sehr langen industriellen Beziehungen, die beide Länder miteinander haben“, sagte Bundeskanzler Olaf Scholz in Berlin. Die Energiepartnerschaft mit Ägypten sei nötig, da „man sich nicht auf einen einzigen Partner verlassen darf, sondern viele gute Partner haben muss“, sagte Scholz weiter. Neben den wirtschaftlichen Vorzügen käme hier auch eine politische Komponente noch ins Spiel, die die Bemühungen zur weiteren Befriedung im Nahen Osten voranbringen könnte: Ein Teil des verflüssigten Gases käme über eine Partnerschaft aus Israel. Das Land hat Gasvorkommen vor seiner Küste, jedoch keine Möglichkeit, diese für den Schiffstransport zu verflüssigen. Mit der Kooperation mit Ägypten ist dies nun möglich. Im Vergleich zu anderen Gasproduzenten ist Ägypten für die nach Ersatz für russische Lieferungen gierenden Europäer ein Glücksfall. Das für den Transport in Tankschiffen auf minus 161 Grad heruntergekühlte LNG (Liquefied Natural Gas) ist dank des riesigen Gasfelds Leviathan vor der israelischen Küste und bereits bestehender Verflüssigungsanlagen an der ägyptischen Küste sofort verfügbar. Die beiden ägyptischen Verflüssigungsanlagen in Damietta und Idku waren extra gebaut worden, um israelisches Pipeline-Gas zu verflüssigen. Seit 2020 exportiert Israel, das über keine eigene LNG-Infrastruktur verfügt, seine für den Weltmarkt gedachten Gasvorkommen an Ägypten, das von dem ehemaligen Erzfeind dafür eine Kommission kassiert. Vor ihren Küsten entdeckte unterseeische Vorräte wollen zukünftig auch Griechenland und Zypern per Pipeline an die ägyptische Nordküste bringen und verflüssigen. Anders als Katar verkauft Kairo den Großteil seiner LNG-Produktion zudem auf den Spotmärkten und meidet langfristige Verträge, also eine Art Gegenentwurf zu der Energiepolitik Katars.
Die 2021 exportierten 6,6 Millionen Tonnen Gas könnten in diesem Jahr bei voller Auslastung von Pipelines und Verflüssigungsanlagen auf die doppelte Menge gesteigert werden. Damit könnte das einzige über LNG-Technik verfügende nordafrikanische Land zehn Prozent der russischen Gaslieferungen für Europa ersetzen.
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