Über die Annäherungen vergangener Rivalen in der MENA-Region haben wir bereits in den vergangenen Wochen ausgiebig berichtet.
Heute wollen wir den Fokus auf die geopolitischen Konsequenzen richten: Bedeuten die neuen Freundschaftbekundungen im Nahen Osten einen fundamentale Machtverschiebung in der Region, welche Rolle kann Europa spielen, was heisst es für den Stellvertreterkrieg im Jemen?
Der Nahe Osten, seine Politik, seine Wirtschaft war in den letzten Jahrzehnten gekennzeichnet vom ideologischen Gegensatz zwischen Riad und Teheran. Syrien und der Jemen sind deutlichste Konsequenz dieses Machtkampfes. Nach den ersten Annäherungsversuchen zwischen Saudi-Arabien und Iran ist es sicher noch zu früh, die beiden Protagonisten für den nächsten Friedensnobelpreis vorzuschlagen. Vor allem Saudi-Arabien sieht das bisher Erreichte wohl eher als Absicherung gegen iranische Angriffe denn als echte strategische Neuausrichtung.
Vielmehr kann zunächst angenommen werden, dass die Friedenstauben die Konsequenz waren aus der Weigerung der USA, strenger gegen den Erzfeind im Iran vorzugehen, also auch den Monarchien am Golf eine Schutzschirm zu bieten. Der Iran hat lange angedeutet, dass er die Golfmonarchien ins Visier nehmen würde, wenn Israel oder die USA dessen Nuklearanlagen angreifen würden. Die Staaten auf der arabischen Halbinsel haben auch mit den Abraham-Verträgen engere Beziehungen zu Israel erkundet, um eine regionale Anti-Iran-Front aufzubauen. Aber während Israel weiterhin die Konfrontation zum Iran sucht, betrachteten die Emirate und nun auch Saudi-Arabien ein Engagement als notwendiges Element für eine tragfähige Eindämmungsstrategie.
Und die Mullahs in Teheran? Der Iran möchte, dass Riad seine Unterstützung für die iranische Exilopposition entzieht. Iranische Führer haben Riad öffentlich beschuldigt, die jüngsten Proteste im Iran angeheizt zu haben, unter anderem durch seine Unterstützung für oppositionelle Fernsehsender, die im Iran weit verbreitet sind. Das Regime hofft wahrscheinlich, dass die Bestimmung in dem Abkommen, dass sich die Länder nicht in die inneren Angelegenheiten des anderen einmischen, dazu beitragen wird, die Gegner der Islamischen Republik zu schwächen. Auch fehlte für Teheran bislang noch der große Player Saudi-Arabien: Verhandlungen und Annäherung gab es bereits zu anderen Golfmonarchien, nur die wichtigste regionale Macht fehlte noch. Es bleibt abzuwarten, inwieweit der Iran Saudi-Arabien in seinen Bemühungen nutzen kann, um westliche Sanktionen abzuschwächen, denn bislang war es Riad, das Europa und die USA weiterhin drängte, das Sanktions-Regime gegen den Iran aufrechtzuerhalten. Es wird daher interessant sein zu sehen, ob Saudi-Arabien diese Forderungen weiterhin stellt: Iran wird davon nicht begeistert sein.
Die Annäherung am Golf könnte eine Chance für Europa sein, auch was seinen regionalen Einfluss in den kommenden Jahrzehnten betrifft. Die Staaten Europas werden zwar auch weiterhin keine entscheidenden Akteure bei der Gestaltung einer politischen und sicherheitspolitischen Agenda im Nahen Osten sein, aber sie können daran mitwirken, die regionale Kooperation in der MENA-Region zu festigen, nicht nur bei Fragen von Sicherheit, sondern auch bei der wirtschaftlichen Konsolidierung. Alle Länder am Golf werden in den kommenden Jahrzehnten sich mit der Frage auseinandersetzen müssen, wie sie ihre Volkswirtschaften auf eine Zeit einstellen, in denen Öl und Gas nicht mehr Garanten für Wohlstand sein werden. Erneuerbare Energien und Wasserknappheit werden eine tragende Rolle spielen. Diese Themen spiegeln akute Herausforderungen wider, vor denen Staaten in der Region stehen, und sind Bereiche, in denen die Europäer gegenüber anderen externen Akteuren einen klaren Vorteil haben. Die Europäische Union könnte Instrumente wie ihre Global Gateway-Initiative und den European Green Deal einsetzen, um die Zusammenarbeit zu verbessern.
Saudi-Arabien hat seit langem die Wiederaufnahme diplomatischer Beziehungen von einer iranischen Verpflichtung zu deeskalierenden Schritten im Jemen abhängig gemacht, einschließlich der Beendigung der grenzüberschreitenden Angriffe auf das Königreich.
Ebenso wie viele westliche Industrienationen und die Anrainerstaaten hat auch China ein Interesse an einer weiteren Deeskalation des Konflikts. Millionen Barrel Rohöl werden täglich durch die Meerenge Bab al-Mandab zwischen Jemen und Dschibuti Richtung Asien verschifft, weshalb China ebenfalls von einigermaßen verlässlichen Sicherheitsgarantien der mächtigsten Konfliktparteien profitiert. Bereits heute zeichnet sich im Schatten des starken Engagements Chinas am Horn von Afrika, das eine Militärbasis in Dschibuti beinhaltet, auch im Golf von Aden eine verstärkte militärische maritime Rolle Chinas ab.
Die wichtigsten innerjemenitischen Konfliktparteien reagierten erwartungsgemäß unterschiedlich auf die Annäherung zwischen Riad und Teheran. Die Huthis begrüßten den Vorstoß explizit als Sicherheitsgewinn für die Region und zeigten sich, bestärkt durch den Verlauf der eigenen bilateralen Verhandlungen mit Saudi-Arabien, wenig besorgt über eine zukünftig ausbleibende Unterstützung Irans. Im Lager der international anerkannten Regierung herrscht hingegen Skepsis, ohne die Unterstützung Saudi-Arabiens dringend benötigte Erfolge in den Verhandlungen zwischen den jemenitischen Gruppen erzielen zu können. Gleichzeitig wächst die Sorge, die Huthis könnten, bestärkt durch den Rückzug Saudi-Arabiens und ohne die Drohkulisse der saudischen Luftwaffe, wieder zu militärischer Offensive übergehen.
Jüngste Fortschritte in den laufenden Verhandlungen, beispielsweise beim Austausch von Kriegsgefangenen, geben Grund zur Hoffnung, auch wenn aufgrund der aktuellen Stärke der Huthis Irans Willen oder Möglichkeiten, sie zu substanziellen Konzessionen zu zwingen, nicht überschätzt werden sollten. Es ist ebenfalls nicht anzunehmen, dass die Nachbarstaaten Jemens ihre durch den Krieg enorm gewachsenen Einflussmöglichkeiten nicht länger im eigenen Sinne nutzen werden. Rivalitäten über geostrategisch wichtige Seewege, Territorium und Ressourcen bestehen weiter. Die Entspannung auf regionaler Ebene kann jedoch neue Spielräume für Verhandlungen schaffen, die über die Aufteilung der Macht nach militärischer Stärke hinaus den Wiederaufbau politischer Institutionen in den Blick nehmen können, die wiederum auf nationaler Ebene den gewaltlosen Ausgleich der Interessen moderieren oder verfestigen können.
Eine reine Stabilisierung autoritärer, para-staatlicher Strukturen, mit der die Akteure des Abkommens vom 10. März mit Blick auf deren eigene innere Verfasstheit wohl gut leben könnten, ist nicht zielführend und birgt die konstante Gefahr einer erneuten Eskalation. Für die Realisierung eines nachhaltigen und dauerhaften Friedens sollten insbesondere europäische Nationen auf lokaler, nationaler Ebene, aber auch im Dialog mit den Nachbarstaaten ansetzen und einen langen Atem bewahren.
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