Fast zwei Jahre sind vergangen, seit ein erster Entwurf vom Rechtsausschuss des iranischen Parlaments auf den Weg gebracht wurde. In Kürze soll es in Kraft treten. Der finale Gesetzestext wurde erst am Wochenende veröffentlicht und hat breite Empörung hervorgerufen. Sein offizieller Titel lautet „Gesetz zum Schutz der Familie durch Förderung der Kultur der Keuschheit und des Hidschab“. Kritiker fürchten, dass es Denunziantentum und Selbstjustiz fördert. So soll die Polizei Privatpersonen schulen, die Frauen ohne Kopftuch identifizieren und melden sollen. Als einzige Qualifikation der Denunzianten wird verlangt, dass sie verheiratet sind. Taxifahrer sollen über ein neu zu schaffendes System Kundinnen melden, die gegen den Verschleierungszwang verstoßen. Auch die Freiwilligenmiliz Basidsch, eine Art Jugendorganisation der Revolutionsgarde, soll „bei der Aufklärung der Öffentlichkeit und der Strafverfolgung“ eine zentrale Rolle spielen.
Bei Verstößen können Geldstrafen zwischen 260 und 2.200 Euro verhängt werden. Wenn Bußgelder nicht rechtzeitig bezahlt werden, können Dienstleistungen wie das Ausstellen eines Passes verweigert werden. Belangt werden können auch Geschäftsinhaber, wenn sie unverschleierte Frauen bedienen, beschäftigen oder in ihrer Werbung abbilden. Neben Geldstrafen droht ihnen ein Ausreiseverbot. Unternehmen sind außerdem verpflichtet, Aufnahmen ihrer Überwachungskameras zur Strafverfolgung zur Verfügung zu stellen. Ausländischen Frauen, die gegen das Verschleierungsverbot verstoßen, droht der Entzug ihres Passes. Bildungsstätten und Medien sollen verpflichtet werden, eine Kultur der Keuschheit und der Verschleierung zu propagieren. Alle Institutionen des Landes sollen außerdem in Jahresberichten belegen, dass sie Schulungen für ihre Mitarbeiter über islamischen Lebensstil und die Bedeutung des Hidschab durchgeführt haben. Wer im Zusammenhang mit dem Verschleierungsgebot mit ausländischen Regierungen, Organisationen oder Medien zusammenarbeitet, kann zu einer Haftstrafe verurteilt werden. Was genau das bedeutet, ist unklar.
Kritik an dem Gesetz kommt auch aus dem Machtapparat. So sagte Ali Laridschani, ein Berater des Obersten Führers: „Wenn man ein Gesetz schreibt, muss man die Macht haben, die Menschen in der Gesellschaft zu überzeugen.“ Da dies nicht der Fall sei, werde es „nur ein Gesetz auf dem Papier“ bleiben. Laridschani, der zuletzt wieder an Einfluss gewonnen hat, sprach sich für eine „soziale Lösung“ aus. Nötig sei es, die Gesellschaft mithilfe von Argumenten und den Medien von den Vorzügen der Verschleierung zu überzeugen. Seit den Frau-Leben-Freiheit-Protesten von 2022 widersetzen sich immer mehr junge Frauen dem Verschleierungszwang. Dafür nehmen sie schon jetzt Geldstrafen oder den temporären Entzug ihrer Fahrerlaubnis in Kauf. Viele dieser Frauen dürften sich auch von schärferen Maßnahmen nicht einschüchtern lassen, da sie so zahlreich sind, dass es schwer wird, sie alle zu bestrafen. Bei der Durchsetzung des Verschleierungszwangs kommt es derzeit regelmäßig zu gewaltsamen Auseinandersetzungen zwischen Sittenwächtern, den betroffenen Frauen und umstehenden Passanten.
Nach Angaben von Parlamentssprecher Mohammad Bagher Ghalibaf ist das Gesetz darauf angelegt, dies künftig zu vermeiden. Statt von der Moralpolizei in Gewahrsam genommen zu werden, sollen die betroffenen Frauen von Kameras und Aufsehern identifiziert und per SMS verwarnt werden. Bei weiteren Verstößen werden immer höhere Geldstrafen verhängt.
Präsident Massud Peseschkian bringt das Gesetz in Erklärungsnot. Er hatte sich im Wahlkampf klar gegen schärfere Strafen für Verstöße gegen die Kopftuchpflicht ausgesprochen. Die Verfassung sieht jedoch vor, dass er das Gesetz bis zum Ende Dezember durch seine Unterschrift in Kraft setzt. Ein Sprecher des Präsidenten ließ durchblicken, dass die Regierung bei der Umsetzung des Gesetzes wenig Eifer an den Tag legen werde. Es gebe Wege, „schlechte Gesetze zu reformieren“, sagte Mehdi Tabatabai. „Gute Regierungsführung wird die Durchsetzung von Gesetzen verhindern, die gegen die Interessen des Landes verstoßen und in der Gesellschaft zu Spannungen und Spaltung führen.“