Erwartet wurde ein Urteil mit Präzedenzcharakter – und so kam es auch. Im Prozess gegen die Hetzer und Komplizen im Terrormord an Samuel Paty, einem Lehrer aus einer Pariser Banlieue, sind alle acht Angeklagten schuldig gesprochen verurteilt worden. Sieben Männer und eine Frau sind zu Haftstrafen zwischen einem und 16 Jahren verurteilt worden. Das Gericht befand sie für schuldig, in unterschiedlichen Mass an dem Mord beteiligt gewesen zu sein. Über den Prozess berichtete MENA Research Center bereits intensiv. Das Gericht gelangte zur Überzeugung, dass sie sich vor vier Jahren mit ihrem Handeln mitschuldig gemacht hatten am Tod Patys. Der Terrorist selbst, ein damals 18-jähriger Flüchtling aus Tschetschenien, war nach der Tat von der Polizei erschossen worden.
Paty war am 16. Oktober 2020 in der Nähe seiner Schule in der Kleinstadt Conflans-Sainte-Honorine mit einem Messer enthauptet worden. Der Attentäter, ein 18-jähriger Islamist tschetschenischer Herkunft namens Abdullah Anzorow, wurde kurz danach von der Polizei erschossen. Das Verbrechen wurde als islamistisch motivierter Terrorakt eingestuft und löste international Entsetzen aus.
Vor der Tat war im Internet gegen den 47-jährigen Geschichts- und Geografielehrer gehetzt worden, weil er im Unterricht zum Thema Meinungsfreiheit Karikaturen des Propheten Mohammed gezeigt hatte. Muslimischen Schülern liess er dabei die Wahl, die Augen zu schliessen oder den Unterricht zu verlassen.
Doch eine Schülerin erzählte ihrem Vater, dass Paty absichtlich Muslime aus dem Klassenzimmer geworfen hätte, um den Propheten zu erniedrigen. Ihr Vater Brahim Chnina startete daraufhin eine Diffamierungskampagne – diese animierte schließlich auch den jungen Tschetschenen Anzorow zu seiner Tat.
Vor Gericht mussten sich nun unter anderem Chnina und Abdelhakim Sefrioui verantworten. Der bekannte franko-marokkanische Islamist hatte die Lügen gegen Paty in sozialen Netzwerken weiterverbreitet. Die Frage, ob er gewissermassen eine „digitale Fatwa“ gegen den Lehrer ausgesprochen hatte, beantworteten die Richter mit Ja. Sie verurteilten Chnina zu 13 Jahren und Sefrioui zu 15 Jahren Haft.
Ebenfalls verhaftet wurden zwei Freunde des Attentäters, Azim Epsirkhanov und Naim Boudaoud, denen das Gericht nachweisen konnte, in Anzorows Pläne eingeweiht gewesen zu sein. Sie hatten ihm beim Kauf der Tatwaffe geholfen und ihn zum Tatort gefahren. Das Gericht verurteilte sie zu 13 beziehungsweise 15 Jahren Gefängnis.
Vier weitere Personen, unter ihnen eine Frau, die zur sogenannten „Jihadosphäre“ gehören und mit Anzorow über soziale Netzwerke in Kontakt standen, wurden ebenfalls schuldig gesprochen, sie erhielten jedoch deutlich kürzere Haftstrafen. Das Urteil verärgerte die Nebenkläger, die sich über die „zu milden“ Forderungen der Staatsanwaltschaft empört gezeigt hatten. Die Verteidigung wiederum hatte für die meisten Angeklagten Freispruch gefordert und deren „terroristische Absicht“ bestritten.
Mickaëlle Paty, die Schwester des ermordeten Lehrers, hatte vor dem Prozess kritisiert, dass ihr Bruder von Kollegen im Stich gelassen worden sei. Hinweise darauf, dass er hätte bedroht werden können, habe es vor dem Mord gegeben. Für Empörung sorgte auch, dass einige die Schuld bei Paty und seinem angeblich „rigidem“ Laizismus-Verständnis suchten. Gegen einen Doktoranden der Sorbonne erstattete Mickaëlle Anzeige, nachdem dieser auf X geschrieben hatte, dass die Tragödie ohne die in Frankreich vorherrschende «Islamophobie» nie passiert wäre. Wörtlich schrieb der Akademiker: „Paty war wahrscheinlich ein säkularer Islamophober.“
Die Anwältin der Opfer kritisierte, dass die Strafen dem Drama nicht angemessen seien. „Es ist ja nicht alltäglich, dass ein Lehrer auf offener Straße enthauptet wird“, sagte sie. „Mir fehlt ein Aufbäumen der Justiz, ein deutliches Stopp-Signal“, sagte sie. Auch der Anwalt der ehemaligen Lebensgefährtin Patys und des gemeinsamen Sohnes, Francis Spziner, äußerte sich „konsterniert“. „Das Verbrechen gegen Samuel Paty stellt einen Bruch in der Geschichte der Republik dar. Zum ersten Mal wird ein Lehrer getötet, weil er seinen Beruf ausübt“, sagte Spziner. Deshalb hätten die Mittäter eine exemplarische Strafe verdient.
Über die Bewährungsstrafen wird weiterhin in politischen Talkshows kontrovers diskutiert. Viele halten die milden Strafen für ein bedenkliches Signal, zumal sich Drohungen gegen Lehrkräfte häufen. An einer Mittelschule in der Gemeinde Issou westlich von Paris haben die Lehrer die Arbeit niedergelegt, weil eine Lehrerin von muslimischen Schülern und Eltern bedroht wurde. Sie hatte im Kunstunterricht das Gemälde Diana und Actaeon des italienischen Künstlers Guiseppe Cesari besprochen. Darauf sind fünf nackte Frauen zu sehen. Viele Schüler hätten sich weggedreht und die Nacktheit der Frauen als Beleidigung ihrer Religion verurteilt.