Als grösste Handelsmacht der Welt kann es China eigentlich nicht egal sein, wenn die Handelsschifffahrt auf einer der wichtigsten Seerouten eingeschränkt ist. Das gilt für das Rote Meer ganz besonders: 60 Prozent der von China nach Europa verschifften Produkte gehen normalerweise durch den Suezkanal.
Das Rote Meer spielt eine entscheidende Rolle im globalen Handel, insbesondere für den Verbindung zwischen Europa, dem Nahen Osten, Asien und Afrika. Hier sind einige Gründe, warum das Rote Meer für den globalen Handel wichtig ist:
Das Rote Meer ist eine wichtige Schifffahrtsroute, die den Suezkanal mit dem Golf von Aden verbindet. Der Suezkanal ermöglicht den Schiffsverkehr zwischen dem Mittelmeer und dem Indischen Ozean, wodurch eine direkte und kürzere Route für den Handel zwischen Europa und Asien geschaffen wird. Die Nutzung des Suezkanals und des Roten Meeres verkürzt die Reisezeit und die Entfernung erheblich im Vergleich zu alternativen Seerouten um das Kap der Guten Hoffnung. Dies macht den Handel effizienter und wirtschaftlich attraktiver.
Zudem macht die Lage des Roten Meeres nahe dem Nahen Osten und Afrika es zu einem wichtigen Knotenpunkt für den Handel zwischen diesen Regionen und anderen Teilen der Welt. Viele der wichtigsten Häfen entlang des Roten Meeres dienen als Umschlagplätze für Güter, die in verschiedene Richtungen verschifft werden.
Gerade in Zeiten des Energiewandels aufgrund der globalen Klimaerwärmung sowie der globalen Konsequenzen der russischen Invasion in der Ukraine ist das Rote Meer auch für den Transport von Energie von entscheidender Bedeutung. Ein beträchtlicher Teil des weltweiten Öl- und Gashandels passiert durch diese Region auf dem Weg zu den globalen Märkten.
Seit dem 19. Oktober greift die jemenitische Huthi-Armee, mehr oder weniger unter Kontrolle des Mullah-Regimes im Iran, mit Raketen und Drohnen dort Schiffe an, die ihrer Ansicht nach eine Verbindung zu Israel haben. Damit versucht sie, Druck auf Tel Aviv im Gazakrieg zu machen. 90 Prozent der Containerschiffe, die früher hier durchfuhren, werden nun um das Kap der Guten Hoffnung an der Südspitze von Südafrika umgeleitet. Das dauert rund zehn Tage länger. Der Transport eines Schiffscontainers zwischen Schanghai und europäischen Häfen wie Rotterdam oder Genua kostet heute mehr als viermal so viel wie vor Beginn der Angriffe.
Während die Amerikaner und Briten Stellungen der Huthi in Jemen angreifen und andere Länder mit Kriegsschiffen zivile Schiffe eskortieren, begnügt sich Peking mit diplomatischem Protest. Man sei über die Eskalation im Roten Meer schwer besorgt, sagte ein Sprecher des chinesischen Aussenministeriums in Peking. Er verwies darauf, dass es kein Mandat des UN-Sicherheitsrates gebe, das irgendeinem Land erlaube, Jemen anzugreifen. Das ist als verdeckte Kritik an den Amerikanern zu verstehen.
Allerdings hat China weder die militärischen Möglichkeiten noch den politischen Willen, sich im Nahen Osten stärker zu engagieren. Das Land will wohl nicht das Risiko eingehen, in die Konflikte der Region hineingezogen zu werden. Die Mittel der chinesischen Marine in der Region sind beschränkt. Insgesamt sind Chinas Fähigkeiten zu grösseren Militäraktionen in der Region noch nicht erprobt. Die grosse Distanz zum chinesischen Festland und die fehlenden See- und Lufttransportkapazitäten stellen dabei limitierende Faktoren dar.
Dass sich Peking bei den Konflikten im Nahen Osten so stark zurückhält, steht im Widerspruch zum eigenen Anspruch, das globale Sicherheitssystem umzugestalten. 2022 lancierte Partei- und Staatschef Xi Jinping die Global Security Initiative. Die Initiative zielt darauf ab, die Ursachen internationaler Konflikte zu beseitigen, die globale Sicherheitsarchitektur zu verbessern und so dauerhaften Frieden und Entwicklung in der Welt zu fördern, heisst es in einem Konzeptpapier des chinesischen Aussenministeriums.
Die Initiative stellt sich implizit gegen die von den USA geführte und dominierte Weltordnung. Gegenwärtig ist es aber wohl noch ein Wunschtraum, dies grundsätzlich zu verändern. China hat sicherlich Ambitionen, eine grössere Rolle im internationalen Sicherheitssystem zu spielen. Aber im Moment hat es nicht die Fähigkeit, diese Ambitionen umzusetzen.
Dabei hat China neben freien Handelsrouten im Nahen Osten noch weitere Interessen. Die Region ist ein Pfeiler der Belt-and-Road-Initiative, des globalen Infrastrukturprojekts, das als wichtiges Ziel hat, Transportachsen zu Land und See zu verbessern. Peking hat zum Beispiel rund acht Milliarden Dollar in Ägypten investiert, weitere zehn Milliarden in Saudi-Arabien. Besonders auf der Wunschliste Pekings stehen Häfen und Energieprojekte, zunehmend wird der Nahe Osten auch als Absatzmarkt wichtig.
Ein weiteres Problem stellt die Verbindung der Huthis zum Iran dar. Der stärkere chinesische Schutz des Warentransports im Roten Meer könnte zu Verwerfungen zwischen Peking und Teheran führen. China hat einen bedeutenden Einfluss auf den Iran, der sich auf verschiedene Bereiche erstreckt. Peking ist einer der wichtigsten Handelspartner des Irans. Die beiden Länder haben umfangreiche Handelsvereinbarungen in verschiedenen Sektoren, darunter Energie, Infrastruktur, Technologie und Landwirtschaft. China importiert Öl und Gas aus dem Iran und investiert in verschiedene iranische Projekte, insbesondere im Rahmen der chinesischen Belt and Road Initiative.
Iran verfügt zudem über umfangreiche Öl- und Gasreserven, und China ist einer der größten Abnehmer dieser Ressourcen. Beide Länder haben Energievereinbarungen geschlossen, die den Handel und die Zusammenarbeit in der Energiebranche fördern. Peking investiert in verschiedene Infrastrukturprojekte im Iran, einschließlich Straßen, Schienenwege, Häfen und Energieanlagen.
Pekings Möglichkeiten, gegenüber den Huthis und Teheran Druck auszuüben, sind also mehr als beschränkt, auch wenn China 90 Prozent des von Iran exportierten Öls kauft. Wenn Peking diese Importe auf einmal stoppte, würde es sicherlich seine langfristigen Beziehungen zu Iran gefährden. Es kann aber auch sein, dass die chinesische Zurückhaltung einfach zynisches Kalkül ist. Peking betrachtet die von den USA geführte Task-Force zum Schutz der Schifffahrt als Gelegenheit, Washingtons Macht in der Region zu kritisieren. China kann Washington die Verantwortung und die Schuld für die Eskalation der Situation zuweisen und gleichzeitig behaupten, sich verantwortungsbewusst zu verhalten, indem es zu Stabilität und globalem Frieden aufruft.
Alle Veröffentlichungs- und Urheberrechte sind dem MENA Research Center vorbehalten.