Die letzte Tagung des Europäischen Rates (EUCO), die Ende Juni stattfanden, war geprägt von einer breite Palette wichtiger Fragen auf der Tagesordnung, die von der Unterstützung der Ukraine, von Verteidigung und Sicherheit, Erweiterungsfragen, bis hin zum Thema China und dem östlichen Mittelmeer reichten.
An diesem Treffen nahm auch eine starke themenspezifische Opposition aus Polen und Ungarn in der Fachfrage Migration teil, was zur Blockade der gemeinsamen Erklärung führte. Eine solche Reaktion aus Warschau und Budapest war nichts anderes als eine Demonstration des Protests und der Frustration gegenüber dem Migrationsabkommen, den die EU-Mitgliedsstaaten im Juni durchsetzten, ohne eine Einstimmigkeit der wahlberechtigten Mitgliedsstaaten zu benötigen.
Gemäß diesem Abkommen würden nach unterschiedlichen Schätzungen mindestens 30.000 Migranten pro Jahr aus Italien, Griechenland und anderen Ländern, die unter starkem Migrationsdruck leiden, in andere Teile der EU umverteilt werden. Länder, die sich nicht an diesem Umverteilungsprogramm beteiligen wollen, hätten die Möglichkeit stattdessen rund 20.000 Euro pro Person einer sogenannten „Solidaritätsgebühr“ zu bezahlen.
Die Entscheidung zu diesem Abkommen wurde von der polnischen Regierung heftig kritisiert. Im Zuge des EUCO-Treffen ging Warschau noch einen Schritt weiter, indem die polnische Regierung den „sicheren Grenzplan“ vorstellte, die eigene fünf Punkte Strategie ankündigte und artikulierte die eigenen “No Goes.” Der polnische Ministerpräsident Mateusz Morawiecki stellte unmissverständlich klar: “ Dieser Plan ist aus unserer Sicht ganz klar. „Nein“ zur Zwangsumsiedlung von Einwanderern. „Nein“ zum Verstoß gegen das Vetorecht einzelner Staaten, “Nein“ zur Verletzung des Grundsatzes der Freiheit und des alleinigen Entscheidungsfindungsgrundsatzes durch Staaten und “Nein“ zu Brüssel, welches bei Verfehlungen Sanktionen gegen die jeweiligen Mitgliedstaaten verhängt. „Durch das Kommunizieren der eigenen “No – Goes” unterstrich Warschau sämtliche Missstände in Brüssel, die sich über die Jahre einschliche.
Doch diese strikte Haltung gegen einen EU weiten Verteilungsschlüssel ist nichts Neues und geht bereits zurück auf das Jahr 2015, als die Europäische Union mit einer beispiellosen Situation mit einem massiven Zustrom von Flüchtlingen und Migranten aus dem Nahen Osten, vor allem aus Syrien, konfrontiert wurde. Damals reagierten diverse europäische Staaten unterschiedlich auf die neue Situation. Polen beispielsweise positionierte sich fest gegen die Zwangsumsiedlung von Migranten und vertritt diese Position bis heute.
Erwähnenswert ist, dass Polen im Jahr 2021 unter der Instrumentalisierung von Migranten als Auslöser eines „hybriden Angriffs”, der von Russland über seinen belarussischen Verbündeten gestartet wurde litt. Zum damaligen Zeitpunkt, motivierte Weißrussland die Migranten aus dem Nahen Osten, meist aus dem Irak, dazu, nach Weißrussland einzureisen, um sie anschließend in den Grenzraum von Polen weiterzuleiten, was einen leichten Zugang für diese Personen in die EU darstellte.
Leider ist davon auszugehen, dass dieser hybride Angriff mit dem Druckmittel Migranten andauern wird. Seit Beginn des Jahres 2023 beispielsweise wurden über 16.000 illegale Einwanderer, die aus Belarus nach Polen einreisten, registriert. Mit der jüngsten Ankunft von Wagner-Söldnern in Weißrussland erwägen Warschau und Vilnius eine vollständige Grenzschließung.
Polen wird oft öffentlich als migrationsskeptisches Land dargestellt. Allerdings kann niemand leugnen, dass Polen nach dem Ausbruch der russischen Invasion in der Ukraine über eine Million Ukrainer im Rahmen des vorübergehenden EU-Schutzmechanismus, der durch die Richtlinie 2001/55/EG des Rates genehmigt wurde, aufgenommen hat. Darüber hinaus war und bleibt Polen das wichtigste EU-Land für ukrainische Migranten. 75,5% aller ausländischen Staatsbürger, die im Jahr 2021 ihre erste Aufenthaltserlaubnis in Polen erhielten, waren laut Eurostat Ukrainer.
Warschau wird oft Kontrolle unterzogen und seitens westeuropäischen Staaten, darunter Frankreich, auf Grund der eigenen Haltung gegenüber der Migrationspolitik der EU kritisiert. Aktuell ist die polnische Regierung jedoch nicht gewillt, sich in dieser Angelegenheit zu äußern, insbesondere angesichts der für November 2023 anstehenden Parlamentswahlen. Man sei sich bewusst, dass, laut einer im Juli 2023 durchgeführten Umfrage von IBRiS 53,1% der Polen Bedenken hinsichtlich der Zunahme der Migration nach Polen haben. Die meisten dieser Menschen unterstützen die Regierungspartei-PiS, und somit ihren Standpunkt in der Migrationsfrage.
Das Migrationsproblem ist vor allem auf Grund der divergierenden Meinungen zwischen den EU-Mitgliedstaaten ein äußerst komplexes Thema. Der Entscheidungsmechanismus der Union als Tool, macht es schwierig eine zufriedenstellende Gesamtsituation zu erzielen. Gleichzeitig liegt die Lösung dieser Frage nicht allein an der Aufnahmekapazität und -bereitschaft der Mitgliedstaaten, sondern auch auf der anderen Seite des Mittelmeers. Ein Schlüssel, um sinkende Migrationszahlen zu erreichen wäre es dazu beizutragen die Lebensstandards in den Herkunftsländern der Migranten zu verbessern. Es hat den Anschein, als würden die polnischen Beamten damit beginnen, diese Komplexität zu verstehen.