Der jüngste Besuch des russischen Präsidenten in den Vereinigten Arabischen Emiraten (VAE), Saudi-Arabien und Iran zeigt einmal mehr die politische Strategie des Kremls, die immer nach innen und außen gerichtet ist: Einerseits will er seinem Volk signalisieren, dass er im Ausland weiterhin ein gern gesehener Gast ist, andererseits will er die ölreichen Staaten des Golfs auf seine Seite ziehen, besonders mit Hilfe der Ölexporte. Der Nahost-Konflikt spielt für den Diktator aus Moskau eine nur untergeordnete Rolle.
Zwar gab es keinen roten Teppich für Wladimir Putin, als er zum Staatsbesuch in Abu Dhabi landete. Den gab es zuletzt beim Besuch einer Delegation aus Israel. Putin schien es nicht gestört zu haben, für ihn ist die Reise schon allein durch ihr Stattfinden ein großer Erfolg, der zeigt, dass er nicht nur allein im Kreml an großen Tischen herumsitzt, sondern auch in der Welt willkommen ist, trotz der Sanktionen des Westens wegen des Angriffs auf die Ukraine. Der Kreml lieferte passend zur Reise auch gleich noch das entsprechende Wording: Die Reise „zeigt, dass Russland international nicht isoliert ist und eine große Zahl von Partnern und Freunden in verschiedenen Teilen der Welt hat. Der Persische Golf ist eine der Regionen, in denen wir dies am effektivsten demonstrieren können.“
Der Präsident der Emirate, Muhammad Bin Zayed Al Nahyan, hatte Putin Mitte Juni in Sankt Petersburg besucht. Er bereitete dem russischen Machthaber auch zu Hause einen glanzvollen Empfang. Muhammad bin Zayed bezeichnete Putin laut einem vom Kreml verbreiteten Gesprächsprotokoll als „meinen Freund“. Die Emirate stünden demnach weiter bereit, sich in humanitären Fragen zu engagieren und dabei zu helfen, „die Lage zu stabilisieren“. Der Golfstaat ist nicht nur zu einer neuen Heimat für Russen geworden, die sich dem Kriegsdienst entziehen wollen. Auch russisches Geld ist reichlich dorthin geflossen. Die Emirate haben sich außerdem dem Druck der USA und Europas widersetzt, Moskau nicht mit Waren zu beliefern, die Russland auch für militärische Zwecke nutzen könnte.
Ähnlich liegt die Sache in Saudi-Arabien. Nicht nur in der Frage der Ölfördermenge gibt es Raum für Kooperation. Wie auch in den Emiraten herrscht in Saudi-Arabien große Sorge, der Gazakrieg könnte sich zu einem Flächenbrand ausweiten und die ganze Region destabilisieren. Die arabischen Staaten wollen den Krieg deshalb so schnell es geht beenden und auf eine Zweistaatenlösung hinarbeiten. In Riad traf Putin den arabischen Kronprinzen Muhammad bin Salman. Die amtliche saudische Nachrichtenagentur pries „gemeinsame Visionen“ Putins und bin Salmans sowie „gegenseitiges Interesse“, wovon die Beziehungen beider Länder geprägt seien.
Für den russischen Präsidenten ist es erst die fünfte Auslandsreise in diesem Jahr, davor hatte er China, Kirgistan, Kasachstan und Belarus besucht, alles treue Partner, die es nicht störte, dass Putin mit einem Haftbefehl der Internationalen Strafgerichtshofes gesucht wird, was ihm einige Reisen unmöglich machte, wie die zum Brics-Gipfel in Südafrika im August. Saudi-Arabien und die Emirate dagegen sind keine Vertragsstaaten von Den Haag. Bei der Klimakonferenz wäre er nicht verhaftet worden – sie interessiert ihn einfach nicht Zum Klimagipfel in Dubai, nur ein paar Kilometer weiter, reiste Putin allerdings nicht. Teile des Veranstaltungsgeländes sind internationales Gebiet und werden von UN-Sicherheitspersonal kontrolliert – für Putin hätte das allerdings wenig Konsequenzen gehabt, da der Gerichtshof in Den Haag nicht Teil des UN-Systems ist. Es ist wohl einfach so, dass Klimafragen nicht sonderlich hoch auf seiner Agenda stehen. Ukrainischen Delegierten der COP 28 reichte es schon, dass Putin sich zumindest ein paar Stunden im selben Land aufhielt wie sie.
Putin und der Kreml waren schon in den vergangenen Jahren stets zur Stelle, wenn es darum ging, mögliche Bruchstellen verschiedener Regionen der Welt mit ihren langjährigen Partnern in den USA oder Europa aufzuspüren und wenn möglich zu vergrößern. In Ländern wie Mali, der Zentralafrikanischen Republik oder vielleicht als Nächstes Tschad ist der Kreml dabei unter dem Einsatz überschaubarer Mittel recht erfolgreich gewesen. In vielen Teilen Afrikas konnte sich Russland als irgendwie antiimperialistische Alternative zum Westen in den Köpfen einnisten.
Wegen des Öls ist Putin vor allem an den Golf gereist. Der Preis hat sich in den vergangenen Wochen sehr zuungunsten der Opec-Plus-Länder entwickelt, vor allem auch, weil die USA den Markt überschwemmen. Eine Tonne Rohöl kostet derzeit etwa 77 Dollar, Ende September waren es noch fast 95 gewesen. Auch die Ankündigung der Opec, die Fördermengen zu begrenzen, zeigte bislang wenig Wirkung, weil es Zweifel gibt, ob sich auch alle Mitglieder daran halten würden, mit Angola und Nigeria gibt es offenbar Abstimmungsschwierigkeiten. Putin zeigt durch seine Besuche am Golf, dass Russland sich zumindest einig ist mit den Vereinigten Arabischen Emiraten und den Saudis, was die Fördermengen angeht.
Beim Treffen mit Machthaber Scheich Mohammed bin Zayid al-Nahyan in Abu Dhabi bedanke sich Putin höflich, dass der den Bau einer christlich-orthodoxen Kirche unterstützt habe. Zum Krieg in Gaza fiel ihm aber auch nichts Neues ein, als die Forderung nach einem sofortigen Waffenstillstand zu erneuern. Später flog Putin nach Iran weiter, wo die größten Unterstützer der Hamas sitzen. Wenn er wollte, könnte er dort zu vermitteln versuchen. Aber womöglich ist er gar nicht so unglücklich über den Krieg in Gaza. Dieser droht, die Ukraine zu schwächen, deren Unterstützer auch die Unterstützer Israels sind, die nun ihre Ressourcen zwischen zwei Ländern im Krieg aufteilen müssen. Die Gegenoffensive der Ukraine wird sowohl in Russland als auch im Westen mittlerweile in düsteren Tönen geschildert. Der Gazakrieg hat die Aufmerksamkeit des Westens auf sich gezogen und gibt Putin neue Gelegenheiten, als Anführer eines „globalen Südens“ aufzutreten.
Putins „Arbeitsbesuch“, so wurde seine Reise an den Golf deklariert, hatte auch symbolische Bedeutung. Die russische Staatspresse wertete diese als neues Zeichen dafür, dass Bemühungen Washingtons, Russland zu isolieren, gescheitert seien. Putin hatte in den vergangenen drei Jahren seine internationale Reiseaktivität eingeschränkt, erst wegen der Corona-Pandemie, dann im Zuge des Angriffskriegs gegen die Ukraine und seit dem vergangenen Frühjahr vermutlich auch wegen des Haftbefehls des Internationalen Strafgerichtshofs. Der außenpolitische Sprecher des Kreml sagte vor der Reise, „unseren Kollegen“ werde es wichtig sein, Putins Meinung über die „Entwicklung der Situation“ in der Ukraine zu hören. Außerdem sollen sowohl die Emirate als auch Saudi-Arabien im kommenden Jahr unter russischem Vorsitz Mitglieder der Vereinigung der BRICS-Staaten werden.
Moskau frohlockte zudem, dass das Handelsvolumen mit beiden Ländern wachse und hob die Zusammenarbeit im Energiebereich als Thema der Gespräche in Abu Dhabi und später Riad hervor. Mit Saudi-Arabien stimmt sich Moskau im Format OPEC+ ab. Russland ist auf hohe Ölpreise angewiesen, um die im Ukrainekrieg gestiegenen Kosten für Rüstung und Soziales zu finanzieren. Der saudische Kronprinz und faktische Herrscher Muhammad Bin Salman ist ebenso auf üppige Öleinnahmen angewiesen, um die volkswirtschaftlichen Umbauarbeiten in seinem Königreich voranzubringen. Beide haben in den vergangenen Jahren ihre Förderkürzungen sowohl im Rahmen der OPEC+ als auch mit Nebenabkommen koordiniert, um den Ölpreis zu stützen.
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