„Saudi-Arabien ist ein Land der Unternehmer. Immer mehr junge Leute wollen ihre eigene Tech-Firma gründen. Es herrscht ein regelrechter Boom. So hört man es auf verschiedenen Plattformen der saudischen New Economy, so zum Beispiel bei einer Messe der Misk Foundation, einer Stiftung zur Förderung der Jugend, die Kronprinz Mohammed bin Salman vor mehr als einem Jahrzehnt gegründet hat – und die jetzt so etwas wie eine Pionierorganisation für die gewaltigen Ambitionen des Prinzen darstellt.
Pünktlich zum Sondertreffen des Weltwirtschaftsforums (WEF), das dieses Jahr erstmals in Riad stattfindet, hat die Misk Foundation junge Manager eingeladen, um zu demonstrieren, wohin die Reise des Königreichs gehen soll. Bin Salman hat tatsächlich große Pläne. Seiner Vision zufolge soll sich der von Erdöl abhängige, konservative Wüstenstaat zu einer digitalen Großmacht entwickeln – ein Land voller IT-Ingenieure, Start-ups, Cloud-Computing-Unternehmen und ein globaler Marktführer in der künstlichen Intelligenz (KI). Daher hat der mächtige Prinz, der seit fast acht Jahren nahezu uneingeschränkt in Riad regiert, massive Investitionen in KI beschlossen.
Bin Salman verkündete kürzlich vor internationalen Investoren und Unternehmern, dass er einen Fonds in Höhe von 40 Milliarden Dollar für KI-Projekte einrichten werde. Damit wird der Golfstaat über Nacht zum weltweit größten KI-Investor, was eine regelrechte Goldgräberstimmung auslöste. Die Venture-Capital-Firma Andreessen Horowitz aus dem Silicon Valley beteiligt sich ebenfalls und investiert weitere Milliarden. Amazon plant, 5,3 Milliarden Dollar in das Königreich zu investieren, unter anderem für den Bau von Cloud-Datenzentren. Auch Google und Microsoft wollen von der saudischen Tech-Bonanza profitieren und erweitern ihr Engagement.
Riads Kronprinz, der selbst als begeisterter Computerspielfan und Technikliebhaber gilt, verfolgt schon lange das Ziel, sein Land in einen durchdigitalisierten Zukunftsstaat zu verwandeln. Dass er nun auch auf KI setzt, fügt sich perfekt in seine „Vision 2030“ ein – einen ehrgeizigen Masterplan, der Saudi-Arabien schnell und umfassend von seiner Abhängigkeit vom Erdöl befreien soll.
Aber warum sollte die Zukunft ausgerechnet in Saudi-Arabien liegen, einem Land, in dem noch vor zehn Jahren öffentliche Hinrichtungen stattfanden und Fernsehprediger behaupteten, die Erde sei flach? Laut einem kanadischen KI-Unternehmer, der ebenfalls als Redner in Riad eingeladen ist, hat das Land jedoch durchaus Potenzial. Besonders die Entwicklung von Supercomputern, die eine zunehmend wichtige Rolle in der KI-Forschung spielen, erfordere beträchtliche Ressourcen. Er, der KI-basierte Lösungen für Gebäude entwickelt, erklärt, dass Saudi-Arabien diese Ressourcen bieten kann.
Deshalb gehen die Golfstaaten beim Thema Geld keine Kompromisse ein. Sie kündigten an, einen der größten Supercomputer der Welt zu bauen, um führende KI-Experten an die hervorragend ausgestattete Tech-Universität KAUST zu locken. Trotzdem ist Saudi-Arabien für Freigeister kein einfaches Pflaster. Das Land ist immer noch konservativ und autoritär geführt, und Widerspruch wird nicht toleriert. So wurde die Frauenrechtlerin Manahel al-Otaibi kürzlich von einem saudischen Gericht zu elf Jahren Haft verurteilt, weil sie zu schnell zu viele Freiheiten für Frauen gefordert hatte, anstatt auf langsame Reformen von oben zu warten. Ein kreatives Tech-Ökosystem lässt sich jedoch nicht einfach mit Geld und Befehlen von oben schaffen. In Riad ist man sich dieser Problematik bewusst. Daher bemüht sich die Regierung intensiv, lokale Talente zu fördern. Kürzlich eröffnete sie „The Garage“, einen riesigen Startup-Hub mit einer Fläche von fast 30.000 Quadratmetern, der größte im gesamten Nahen Osten. Hier finden junge Gründer alles, was sie brauchen: Büroflächen, ein angenehmes Arbeitsumfeld und natürlich auch Investoren.
Kann es so tatsächlich gelingen, aus jungen Saudis Tech-Unternehmer der Spitzenklasse zu formen? Erfolgreiche Gründer lassen sich nicht einfach herbeizaubern. In Ländern wie Indien gibt es zum Beispiel viel mehr und oft bessere Talente, denn im globalen Maßstab ist Saudi-Arabien mit seinen 30 Millionen Einwohnern relativ klein. Zudem werden die meisten saudischen IT-Projekte immer noch von Investoren unterstützt, die direkt oder indirekt dem Public Investment Fund (PIF) angehören – dem saudischen Staatsfonds, der mit seinem Ölgeld nach wie vor alles im Königreich finanziert. Der Fonds ist bei seinen Investitionen nicht wählerisch. Oft reicht es, ein einigermaßen sinnvolles Konzept vorzulegen, um Kredite zu bekommen. Viele widersprechen jedoch: „Es stimmt nicht, dass jeder einfach Geld bekommt. Die Vorgaben sind inzwischen hart geworden. Man muss eine gute Idee haben, die überzeugt und auf dem Markt bestehen kann.“ Dennoch müssen auch sie zugeben, dass die bisherigen Inkubatoren, Startup-Hubs und Milliardenprogramme vor allem Online-Lieferdienste oder Jobbörsen hervorgebracht haben – und nicht die großen Innovationen.
Inzwischen entstehen immer mehr Tech-Firmen im Fintech-Bereich. In der Branche gibt es immer wieder Trends und Schlagwörter, aktuell ist KI der große Hype. Überall muss nun KI integriert sein. Ob es für saudische Jungunternehmer jedoch wirklich sinnvoll ist, sich auf diesen Trend zu stürzen, bleibt fraglich. Riad verfolgt jedoch ein weitergehendes Ziel als nur den Bau eines Silicon Valley in der Wüste. Mohammed bin Salman nutzt den Technologieboom auch, um Saudi-Arabien politisch zu positionieren. Er hofft, vom KI-Wettbewerb zwischen den USA und China zu profitieren. Gleichzeitig befindet er sich auch in einem Konkurrenzverhältnis mit den Nachbarländern. So haben die Vereinigten Arabischen Emirate bereits vor einem Jahr eine große KI-Offensive angekündigt. Da Riad im Vergleich zu Dubai oft einen Schritt hinterherzuhinken scheint, versucht der Kronprinz, den Rückstand durch schiere Größe wettzumachen. Alles in Saudi-Arabien muss daher noch größer und beeindruckender sein. Deshalb plant er riesige Städte in der Wüste, strebt an, die Fußball-WM ins Land zu holen, und möchte sogar ins Weltall fliegen.
Ob die großen Ideen jemals verwirklicht werden, bleibt abzuwarten. Schon jetzt muss bin Salman einige seiner Pläne zurückschrauben. Zum Beispiel wurde das Projekt „The Line“, eine futuristische Stadt aus einem einzigen, von KI gesteuerten Häuserblock, die ursprünglich 140 Kilometer lang sein sollte, auf nur wenige Kilometer verkürzt. Zudem geriet „Mohammed“, der erste KI-gesteuerte Roboter aus Saudi-Arabien, kürzlich in die Schlagzeilen, als er einer Reporterin unerwartet an den Hintern fasste.
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