Obwohl es für ein Medium wie MENA Research Center kein klassisches Sommerloch zu füllen gibt – berühmt für diese Art Berichterstattung sind besonders die deutschen und britischen Boulevard-Zeitungen – nutzen wir jedoch die Chance und möchten unseren Lesern, die sich wahrscheinlich im Urlaub befinden, auch eine etwas andere Lektüre bieten.
Es soll also heute nicht um Politik, Religion, Migration oder Extremismus im engeren Sinne gehen, trotzdem aber werden die Hauptaspekte, mit denen wir uns beschäftigen, eine Rolle spielen. Es geht nämlich um eine neue TV-Serie, die gerade auf Paramount+ sehr erfolgreich anlief. „Ghosts of Beirut“ ist der Titel und der Autor des Artikels hörte nur vom Titel der Serie und ohne den Inhalt zu kennen, war ich direkt Feuer und Flamme. Gerechnet hatte ich aber nicht mit der Story!
„Dies ist eine fiktionale Darstellung exakt recherchierter Tatsachen und Ereignisse.“ Mit genau diesem Satz beginnt nicht nur die erste Folge der Miniserie, sondern sie wird an jeden Anfang der sechs Teile gesetzt. Sie erzählt die Geschichte vom Aufstieg und Fall des Imad Mughniyeh, Mitgründer der islamistischen und vom Iran kontrollierten Terrorbewegung Hizbullah. Der Protagonist wird für Dutzende Terrorattacken mit Hunderten, wenn nicht Tausenden Opfern verantwortlich gemacht und war mehr als zwei Jahrzehnte lang einer der meistgesuchten Terroristen der Welt. Im Februar 2008 kam er bei einem von der CIA und dem israelischen Mossad geplanten Anschlag ums Leben.
Die Serie rollt die Geschichte zunächst chronologisch von hinten auf: Hizbullah-Terroristen stürmen, verkleidet als US-Soldaten, am 20. Januar 2007 das Hauptquartier der amerikanischen Truppen im irakischen Basra und entführen vier Amerikaner, die sie später in der Wüste ermorden. Die CIA-Agentin Lena Asayran, die zweite Protagonistin der TV-Serie, ist sich sicher, dass hinter dem Angriff Imad Mughniyeh stecken muss, alias Radwan, alias „Vater des Rauchs“, alias „Der Geist“ oder das „machiavellistische Superhirn“ der Hizbullah. Auch die vielen Pseudonyme Mughniyehs werden im Intro jeder Folge dem Zuschauer gezeigt, quasi als Erinnerung an jemanden, der lange nicht identifiziert werden konnte.
Aber wie begann alles, wie konnte ein unpolitisch wirkender Automechaniker zum Erfinder der terroristischen Hizbullah werden, jener „Vater des Rauchs“, der als Erster Selbstmord-Attentate plante und durchführen ließ? In der ersten Folge wird der Zuschauer ins Beirut des Jahres 1982 gebracht, mitten in den Bürgerkrieg. Der damals zwanzig Jahre alte Mughniyeh will den Libanon von seinen „Feinden“, also Israel und den Vereinigten Staaten, befreien. Bomben und Selbstmordattentate sind die Mittel seiner Wahl. Zu solchen Anschlägen muss er die Täter erst einmal überreden und er weiß, wie. Der Suizid gilt im Islam als Sünde, also muss man ihn begehen, um ein vermeintlich höheres Ziel zu erreichen. Mughniyeh überzeugt einen Verwandten, einen jungen Mann, der um seine Familie trauert, sich in Tyros am israelischen Militärhauptquartier in die Luft zu sprengen. Das sei keine Sünde, sondern Märtyrertum im „Heiligen Krieg“: „Du drückst auf den Knopf und kommst ins Paradies.“
Mughniyehs Manipulationsrede ist überzeugend, nicht nur bei dieser Gelegenheit. Er rekrutiert Attentäter, übt Druck aus, klügelt Anschläge aus, mordet und foltert, tritt unter seinesgleichen und gegenüber ahnungslosen Dritten derweil bescheiden auf und hat Charisma. Der Mann im Schatten dominiert die Serie, seine Widersacher sterben durch seine Bomben oder werden, wie der Chef des Beiruter CIA-Büros, entführt, gefoltert, ermordet. Die Zuschauer sehen ihn als Terroristen, als Vater, Bruder, Ehemann, Liebhaber und – als Fremdgänger. Er hat ein Verhältnis mit einer aus Iran stammenden, modern lebenden Geliebten in Damaskus und kurioserweise wird diese Beziehung – alles andere als Halal – zu seinem Verhängnis werden.
Erst die CIA-Agentin Lena Asayran, ihre Eltern flohen mit ihr als Kind aus dem Libanon in die USA, kommt gemeinsam mit dem Mossad-Kollegen Teddy dem Mastermind des Terrors auf die Schliche. Gleichzeitig zeigt Lenas persönliche Geschichte die Zerrissenheit eines Menschen aus dieser Region: Während sie für westliche Werte einsteht und die USA von diesem Terroristen befreien will, nehmen ihre Kollegen vom CIA und Mossad genau diesen Idealismus nicht für bare Münze: Denn sie wissen davon, dass einer ihrer Onkel Mitglied der Hizbullah im Libanon ist; sie wird auch für einen Spitzel des Terrors gehalten.
„Ghosts of Beirut“ kommt trotz seines von Grausamkeit, Folter und Mord bestimmten Sujets, trotz Bomben und Gräueltaten ohne übermäßige Gewaltdarstellungen aus. Etwas anderes hätte man von den Drehbuchautoren Avi Issacharoff und Lior Raz auch nicht erwartet. In ihrer Serie „Fauda“ haben sie den Nahostkonflikt bereits kenntnisreich und spannend beleuchtet und dabei nicht nur auf eine Seite geblickt. Das ist hier ähnlich, und ebenso wie in „Fauda“ wird bei „Ghosts of Beirut“ mehr als eine Sprache gesprochen – Englisch, Arabisch und Hebräisch, auch von den Experten, Politikern, ehemaligen Agenten der CIA und des Mossads und Journalisten, die in zwischengeschnittenen Interviewpassagen zu Wort kommen.
In den letzten beiden Folgen der Mini-Serie fokussiert sich die Erzählung darauf, wie die beiden Spione des CIA und Mossad endlich Mughniyeh identifizieren können. Noch haben sie nicht die Erlaubnis, ihn auch aus dem Weg zu räumen. Als endlich das „Placet“ des US-Präsidenten kommt, könnten die Spione sogar zwei Fliegen mit einer Klappe schlagen, und das im Jahr 2008: Der meistgesuchte Terrorist ist allein auf einer Straße in Damaskus zusammen mit Qasem Soleimani, dem Mastermind des iranischen Staatsterrorismus im Nahen Osten. Doch die USA verbieten ein Attentat auf beide, es würde die Beziehungen zwischen Washington und USA erstarren lassen.
Das Ende des Terroristen, von dem es hieß, er sei – vor Bin Ladens Terror – derjenige gewesen, der am meisten Amerikaner und Israelis auf dem Gewissen habe, kam am 12. Februar 2008 in Damaskus: Mughniyeh kehrt am späten Abend von einer Party zu seinem geparkten Wagen zurück und – wird durch eine ferngezündete Autobombe getötet.
Ghosts of Beirut läuft auf Paramount+.
Alle Veröffentlichungs- und Urheberrechte sind dem MENA Research and Study Center vorbehalten.