An einem virtuellen Kongress hat der Fußball-Weltverband Fifa die Weltmeisterschaften 2034 per Akklamation an Saudi-Arabien vergeben. Die Fifa macht damit eine erstaunliche Geschichtsklitterung. Während der Präsentation seiner Bewerbung schickte der Aspirant ein 13-jähriges Mädchen auf die Bühne, das in einwandfreiem Englisch lächelnd verkündete, ihr sei in ihrem Land alles möglich. Ein seit Juni 2022 geltendes Gesetz hält fest, dass Frauen in dem Königreich die Erlaubnis eines männlichen Vormunds benötigen, um zu heiraten, und verpflichtet sind, ihrem Ehemann zu gehorchen.
Zur Vorgeschichte der WM-Vergabe gehört der lukrativste Sponsoring-Deal in der Geschichte des Weltfussballverbandes. Seit April 2024 unterstützt der saudische Ölkonzern Aramco die Fifa mit kolportierten 100 Millionen Dollar pro Jahr. Und dabei dürfte es kaum bleiben. Bis zuletzt stand es schlecht um das Herzensprojekt von Fifa-Präsident Gianni Infantino, die Klub-WM im Sommer 2025 auf 32 Teams zu erweitern, denn es fehlte ein Medienpartner. Nun sicherte sich überraschend Dazn die Rechte – begleitet von hartnäckigen Gerüchten, dass der mit Problemen kämpfende Sender demnächst einen neuen Anteilseigner erhält: den saudischen Staatsfonds PIF (Public Investment Fund).
Saudi-Arabien wird für Infantino zum Retter in der Not, und im Gegenzug stellt der Fifa-Präsident im Eilverfahren sicher, dass das Land die WM in zehn Jahren ausrichten darf. Die Fifa ist in ein peinliches Abhängigkeitsverhältnis geraten, das beispielhaft illustriert, wie Saudi-Arabien den globalen Sport mit mehr als 900 grossen Sponsoring-Verträgen in Geiselhaft genommen hat. Das Land hat in den letzten Jahren laut einer Studie der Organisation Grant Liberty über 50 Milliarden Dollar in Anlässe, Klubs und Athleten investiert oder entsprechende Zusagen gemacht – und damit weitreichende Umwälzungen ausgelöst.
Bisher übliche Summen bei Vermarktungsverträgen, Übernahmen und Transfers werden pulverisiert. Im Tennis kommt es zu einer Preisinflation, wenn am bedeutungslosen Diriyah-Cup 3 Millionen Dollar an Preisgeldern verteilt werden. Ebenso im Golf, wo Saudi-Arabien erst eine milliardenschwere Turnierserie lancierte und dann die traditionelle PGA Tour zur Fusion drängte. Oder im Boxen, wo man sich den Kampf zwischen dem Youtuber Jake Paul and Tommy Fury in Diriyah Anfang 2023 rund 13 Millionen Dollar kosten ließ.
Für Saudi-Arabien ist die Offensive Teil des Versuchs, in Zeiten schwindender Ölreserven seine Volkswirtschaft breiter aufzustellen. Die „Vision 2030“ von Kronprinz Mohammed bin Salman beinhaltet das Ziel, dass der Sportsektor dereinst 2,5 bis 3 Prozent zum Bruttoinlandprodukt beitragen soll. Derzeit ist es etwa 1 Prozent. Der Herrscher geht durchdachter vor als andere Autokraten vor ihm. Im Zentrum der Bemühungen steht nicht etwa die noch ferne WM, sondern die nationale Fußballliga. Der Wettbewerb soll auch dank den Superstars Cristiano Ronaldo, Karim Benzema und Neymar, der allerdings nun in seine Heimat Brasilien zurückkehrte, weil er im Wüstenstaat nicht glücklich wurde, zum gesellschaftlichen Kitt werden, er soll die überwiegend junge Bevölkerung Saudi-Arabiens unterhalten und einen.
Das Königreich hat aus den Fehlern anderer gelernt. China holte sich vor einigen Jahren ebenfalls etliche internationale Fussballstars in die nationale Liga, doch es fehlte nicht nur eine vergleichbare Vermarktungsstrategie, sondern auch die Bereitschaft, von ausländischer Expertise zu profitieren. In Saudi-Arabien wird darauf nun großen Wert gelegt. Der nationale Fussballverband hat 48 Abkommen mit anderen Verbänden abgeschlossen, hinzu kommen sechs Partnerschaften mit ausländischen Klubs.
Russland verfolgte nochmals einen anderen Ansatz: Es beschränkte sich aufs Protzen mit Grossanlässen und richtete von 2011 bis 2018 mehrere Weltmeisterschaften sowie Olympische Spiele aus. Zeitweise gelang es Präsident Wladimir Putin, sich gegenüber dem Westen als kooperativ zu inszenieren, wenn er Regierungschefs auf Ehrentribünen umschmeichelte, als seine Außenpolitik bereits zunehmend aggressiver wurde. Doch das staatlich orchestrierte, plump vertuschte Doping ruinierte Putins ohnehin schlechten Ruf in der Sportwelt endgültig. Letztlich scheiterte Russland am übersteigerten Ehrgeiz seines Präsidenten, der den Bogen überspannte. Die Protagonisten Saudi-Arabiens agieren dezenter, und sie sind damit erfolgreich. Zum Beispiel Yasir al-Rumayyan, welcher unter anderem den englischen Fußballklub Newcastle United präsidiert, seit dieser mehrheitlich dem Staatsfonds PIF gehört. Rumayyan macht keine Anstalten, auf Biegen und Brechen die Champions League gewinnen zu wollen. Wichtiger scheint ihm die Pflege seines Netzwerks zu den mächtigsten Männern der Welt. Im November saß er an einem Mixed-Martial-Arts-Kampf im Madison Square Garden unmittelbar neben Donald Trump, der gerade die Präsidentschaftswahlen gewonnen hatte.
Es ist nicht garantiert, dass Saudi-Arabiens Strategie dauerhaft aufgeht. Im Gegensatz zu Fifa und IOK sollten andere Sportverbände versuchen, sich dem Lockruf der Ölmillionen zu entziehen, und zwar aus eigenem Interesse. Denn es besteht die reale Gefahr, dass Fans aus westlichen Ländern angesichts der saudischen Gigantomanie das Interesse an ihren Wettbewerben auf Dauer verlieren. Absurd anmutende Entscheide wie jener, sogar die Asiatischen Winterspiele 2029 in dem heissen Wüstenstaat auszurichten, könnten den Trend beschleunigen. Wenden sich die Zuschauer ab, nützt den Verbänden kein Geld der Welt mehr. Selbst in Randsparten verdienen Durchschnitts-Könner oder alternde Stars plötzlich Unsummen, wenn sie zu glamourösen Events in Riad oder Jidda reisen. Wenn aber immer häufiger die Show alles andere überlagert, wächst die Unlust bei jenen, für die Sport immer noch ein puritanisches Kräftemessen der Weltbesten ist.
Der fünffache Weltfußballer Cristiano Ronaldo verkündete: „Die WM 2034 wird wohl die beste WM aller Zeiten.“ Er ignorierte, dass das Turnier vier Jahre vorher unter anderem in seiner Heimat Portugal stattfindet, einem Land mit jahrzehntelanger Fußballtradition. Dass mit Ronaldo eine der grössten Figuren des Sports zu einer käuflichen Marionette eines repressiven Regimes wird, ist ein ganz schlechtes Zeichen für den Sport. Man braucht nur auf Neymars Entscheidung zu blicken, der Wüste den Rücken zu kehren.