Die Silvesternacht 2022/2023 war in vielen deutschen Metropolen geprägt von tätlichen Angriffen gegen Feuerwehr und Polizei. Besonders brutal waren Randalierer in Berlin, Hamburg und Nordrhein-Westfalen. Mehrere hundert Menschen wurden daraufhin festgenommen, nun streitet die deutsche Politik über die Ursachen der Gewalt gegen Ordnungskräfte.
Insbesondere in Berlin, Hamburg und Nordrhein-Westdalen waren Einsatzkräfte von Feuerwehr und Polizei in der Silvesternacht angegriffen worden. Nach Angaben der Polizei wurden 41 Berliner Einsatzkräfte verletzt. Zu der Schwere der Verletzungen konnte ein Polizeisprecher keine Angaben machen. Im Zusammenhang mit den Vorfällen habe es 159 Festnahmen gegeben, sagte ein Sprecher. Es handele sich überwiegend um junge Männer beziehungsweise Jugendliche, hieß es. Ermittelt wird nicht nur wegen Angriffen auf Vollstreckungsbeamte, sondern auch wegen Brandstiftung, Verstößen gegen das Sprengstoffgesetz oder Landfriedensbruchs.
Über Parteigrenzen hinweg wird nun in der deutschen Politik darüber diskutiert, wie sehr die Gewaltexzesse gegen Einsatzkräfte in der Silvesternacht mit einer gescheiterten Integrationspolitik zusammenhängen. Der nordrhein-westfälische Innenminister Herbert Reul (CDU) sagte: „Die Randalierer waren offenbar ganz überwiegend junge Männer in Gruppen, häufig mit Migrationshintergrund.“ Ähnlich äußerte sich der stellvertretende Vorsitzende der Unionsfraktion im Bundestag Jens Spahn (CDU). „Da geht es eher um ungeregelte Migration, gescheiterte Integration und fehlenden Respekt vor dem Staat statt um Feuerwerk“.
Auch in der Partei von Bundeskanzler Olaf Scholz wird ein möglicher Zusammenhang zwischen den Gewalttaten und ungelösten Integrationsproblemen gesehen. „Die Gewaltexzesse an Silvester machen deutlich, dass die Ursachen viel tiefer liegen und nicht auf den Jahreswechsel beschränkt sind“, sagte der stellvertretende Vorsitzende der SPD-Bundestagsfraktion Dirk Wiese. Er machte „mangelnde gesellschaftliche Teilhabe, soziales Abgehängtheit mit Zukunftsängsten und Fehler bei der Integration in einigen Stadtteilen“ als Ursachen aus.
Nach ersten Ermittlungen durch die Polizei wird allmählich mehr über die Tatverdächtigen bekannt. In Berlin, wo es zu besonders heftigen Ausschreitungen und Angriffen auf Einsatzkräfte kam, berichtete die Polizei, dass von den 145 Personen, die in der Silvesternacht festgenommen worden waren, 100 Ausländer seien. 45 besitzen nach Angaben eines Sprechers die deutsche Staatsangehörigkeit. Es seien insgesamt 18 verschiedene Nationalitäten erfasst worden. Dazu zählten 27 Afghanen und 21 Syrer; sie machen zusammengenommen rund die Hälfte der Festgenommenen mit ausländischer Staatsangehörigkeit aus. Alle Festgenommenen sind mittlerweile wieder auf freiem Fuß, da Verdächtige nach spätestens 48 Stunden entlassen werden müssen, wenn keine Untersuchungshaft angeordnet wird.
Der sozialdemokratische Hamburger Innensenator teilte mit, im Zusammenhang mit Angriffen auf Polizei und Feuerwehr seien mehr als 20 Tatverdächtige in Gewahrsam oder festgenommen worden. Es handele sich um junge Männer und um Vorfälle an Brennpunkten, sagte er. Sie seien der Polizei zum Teil bekannt. „Da spielt das Thema Migrationshintergrund auch mit rein“, äußerte der Innensenator. Er warnte jedoch davor, es sich „zu einfach“ zu machen. Das Problem bestehe nicht nur zum Jahreswechsel. „Da bricht sich an Silvester und unter den besonderen Umständen an Silvester etwas Bahn, was aber natürlich das ganze Jahr vorhanden ist.“
Das Bundesinnenministerium teilte gestern in Berlin mit, man warte mit einer bundesweiten Bewertung der Geschehnisse, bis alle Länder ihre Berichte vorgelegt hätten. Ein Sprecher der Innenministerin wies den Vorwurf zurück, Ministerin Faeser weiche einer Diskussion über einen möglichen Zusammenhang zwischen den Angriffen auf die Einsatzkräfte und einem Scheitern von Integrationsbemühungen aus: „Da, wo es um Tatverdächtige mit Migrationshintergrund geht, benennt sie das auch ganz klar“, so der Sprecher.
Obwohl bislang die deutsche Sozialdemokratie es immer wieder ablehnte, die Integrationspolitik als gescheitert anzusehen, melden sich nun immer mehr Politiker aus der Partei, die diesen Schmusekurs nicht mehr mitgehen wollen. „Es ist ernüchternd für mich zu sehen, dass sich an den Debatten, mit denen ich vor über 21 Jahren meine Zeit in der Berufspolitik im Innenausschuss des Abgeordnetenhauses von Berlin begonnen habe, nichts, aber auch gar nichts geändert hat“, sagt Fritz Felgentreu, ein langjähriger Berufspolitiker der SPD. In vielen deutschen Städten gebe es seit Jahrzehnten eine soziale Unterschicht, die ethnisch und religiös einseitig geprägt sei. „Junge Leute, die sonst wenig haben, auf das sie stolz sein können, richten sich an einem muslimisch interpretierten Machismo auf.“ Ein schwacher Staat stehe dann ihrer Randale ratlos gegenüber.
„Im Kern geht es um die Frage der sozialen Durchlässigkeit einer Einwanderungsgesellschaft. Aber auch um die Durchsetzungskraft eines demokratischen Rechtsstaats“, betont Felgentreu. Leider werde seit Jahren die immer gleichen Debatten geführt, ändern würde sich zu wenig. „Wir sind zu selbstgefällig geworden, wo es Missstände gibt, schauen wir gerne weg und hoffen, dass es sich von selbst bessert.“
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