Die Muslimbrüder befinden sich historisch in einer ihrer tiefsten inneren Krisen. Die internen Spaltungen vertiefen sich inmitten eines erbitterten Kampfes zwischen den beiden Flügeln in Istanbul und London um die Führung der Gruppe und die Kontrolle über ihre wirtschaftlichen Ressourcen. Es ist manchmal schwierig, den Überblick über die schnelle Abfolge widersprüchlicher Entscheidungen und Schritte rivalisierender Lager zu behalten.
Vor einigen Monaten beschloss der amtierende oberste Führer der Muslimbruderschaft, seinen Gegner Mahmud Hussein, den Anführer der Muslimbruderschaft in Istanbul und ehemaligen Generalsekretär, aus der Organisation auszuschließen. Dieser Schritt löste heftige interne Konflikte zwischen den beiden Flügeln in London und Istanbul aus.
Der Konflikt dreht sich auch um die Frage, wer den Posten des obersten Führers der Gruppe innehat. Die Istanbuler Fraktion erklärte Ibrahim Munir für abgesetzt und ernannte im Gegenzug Mustafa Tolba für sechs Monate zum vorläufigen obersten Führer. Die Londoner Fraktion und Munir lehnten diesen Schritt jedoch ab und bestritten, dass Tolba diesen Posten bekleiden dürfe. Der Istanbuler Flügel reagierte seinerseits mit der Ankündigung der Bildung eines Komitees zur Führung der Muslimbruderschaft, wiederum unter Tolbas Leitung.
In der Endphase des internen Kampfes veröffentlichte die Londoner Niederlassung eine Erklärung, dass sie die Entscheidungen des Istanbuler Flügels und des Shura Council, den sie kontrolliert, nicht anerkennen würde. Sie betonten, dass „der Oberste Führer Ibrahim Munir der einzige legitime Vertreter der Organisation ist“. Die in Istanbul beschlossene Bildung eines Komitees zur Leitung des Vereins sei unwirksam.
„Der Amtsantritt von Ibrahim Munir in London löste einen Streit mit dem Istanbuler Flügel aus, der mit Mustafa Tolba einen eigenen Kandidaten durchsetzen und die Kontrolle über die Organisation an sich reißen und Unterstützer hinter sich scharen will“, so ein Experte der Muslimbruderschaft. Jedenfalls hat die Gruppe derzeit zwei konkurrierende Führer.
Die Konflikte zwischen den beiden Fraktionen werden wahrscheinlich zunehmen und weitere Spaltungen schaffen. Dies liege in der Natur dieser Organisation, deren Geschichte immer wieder von Spaltungen und dem Zerfall in kleine Splittergruppen geprägt war.
Eine Studie des „Trends Research Center“ führt die aktuelle Krise der Muslimbruderschaft auf ältere Differenzen innerhalb der Gruppe zurück. Im Moment geht es im Machtkampf zwischen den Fraktionen in London und Istanbul um die Kontrolle der Finanzierungsquellen und Medienplattformen der Bruderschaft. Wie wichtig dies ist, zeigte ein früherer Konflikt, nämlich der Streit zwischen Mahmud Ezzat und Mohammed Kamal um die Führung der Gruppe im Jahr 2016. Experten sahen darin einen „ideologischen Streit, der durch die Frage der Gewaltanwendung entfacht wurde“. Aus dieser ideologischen Auseinandersetzung gingen schließlich die beiden Flügel in London und Istanbul hervor.
Experten betonen, warum die Kontrolle der wirtschaftlichen Basis der Muslimbruderschaft so wichtig ist. Einerseits sind diese Ressourcen notwendig, um die politischen Projekte der Gruppe voranzubringen. Andererseits sind sie von entscheidender Bedeutung für die vielfältigen Wege, mit denen die Organisation versucht, in die Gesellschaft einzudringen und so die schrittweise Islamisierung von Regionen zu erreichen, die sie beeinflussen will.
Die Bruderschaft hat verschiedene wirtschaftliche Quellen. Dazu gehören Investitionen der Organisation sowie Einzelspenden, monatliche Beiträge ihrer Mitglieder und Spenden von Unternehmern und Geschäftsleuten, die mit der Bruderschaft verbunden sind. Wichtig sind auch Gelder, die von Wohltätigkeitsorganisationen und Hilfsorganisationen beigesteuert werden, von denen viele ihren Sitz in Europa und einige in asiatischen Ländern haben.
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