Am 22. Juni griffen türkisch nationalistische Extremisten eine Frauenkundgebung in Wien an. Die türkischen ultra-nationalistischen „Grauen Wölfe“ schüchtern regelmäßig Minderheiten ein.
Das Geräusch der Polizeihubschrauber war gestern bis spät in die Nacht zu hören. Auf den Straßen des Wiener Bezirks „Favoriten“, in denen ein großer Teil der türkischen Gemeinde lebt, herrscht lange Zeit keine Ruhe.
Alles begann mit einer Kundgebung einer kurdischen Frauenorganisation. Die Teilnehmer wollten auf die zunehmende Zahl von Frauenmorden in der Türkei und in Österreich hinweisen. Dann wurden die Frauen von einer Gruppe türkischer Männer angegriffen, die Mitglieder der „Grauen Wölfe“ waren. Innerhalb kürzester Zeit tauchten rund hundert Rechtsextremisten auf und die Polizei musste in großer Anzahl eingesetzt werden. Die Frauen flohen in ein nahe gelegenes Gebäude und mussten dort aus Sicherheitsgründen stundenlang warten.
Nicht der erste Angriff
Es war nicht der erste Angriff im Bezirk. Ähnliche Vorfälle ereigneten sich am 1. Mai am Rande einer Kundgebung am Keplerplatz. Und es zeigt sich ein Muster: Die rechtsextreme Gruppe junger Männer scheint keine Angst vor den Sicherheitskräften zu haben, die letzte Nacht sogar von zwei Polizeihubschraubern unterstützt wurden.
Zwei bis drei junge Menschen können in wenigen Minuten von fünfzig auf hundert wachsen. Sie fungieren als Eigentümer und Wächter von Favoriten und wollen ihren Bezirk überwachen. Sie verbieten Bewohnern und Veranstaltungsbesuchern, während des muslimischen Monats Ramadan Alkohol zu konsumieren. Sie versuchen, kurdische Musik und Sprache aus der Öffentlichkeit zu verdrängen. Sie freuen sich auch, die Polizei zu türkisch-kurdischen Teilnehmern an Veranstaltungen anzuregen – vorausgesetzt, sie sind Unterstützer der PKK (Kurdische Arbeiterpartei). Sie werfen der Polizei und dem österreichischen Staat zuversichtlich vor, den öffentlichen Raum einer terroristischen Organisation zu überlassen. Sie mobilisieren sich gegenseitig auf ihren Handys und sind in hierarchische Rollen unterteilt.
Vorbild Erdoğan
Das Weltbild der Gruppe ist geprägt von den politischen Ideen des türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdoğan. Sie positionieren sich als seine Verteidiger und haben keine Angst davor, den in Österreich in Anwesenheit der Polizei verbotenen „Wolfsgruß“ zu machen.
Der türkische Präsident Erdogan begrüßt den rechten Gruß der Grauen Wölfe
Wie kann es sein, dass junge Menschen, die in Wien und Österreich geboren wurden, solch unreflektierte rassistische türkische Ideologien und allgemeinen Hass annehmen? Leider begünstigt das die allgegenwärtige Diskriminierung in Österreich die Propaganda der türkischen Rechtsextremisten. Junge Menschen, die regelmäßig Ausschlüsse nach dem Motto „Du bist und kannst bei uns sein aber du wirst niemals einer von uns sein“ erfahren, können sich niemals gleich fühlen und gleich behandelt werden. Dieser strukturelle und institutionelle Rassismus verhindert ein gemeinsames, pluralistisches Verständnis der Demokratie über kulturelle und nationale (istische) Zugehörigkeiten hinweg.
Ein Angebot für die Ausgeschlossenen
Die männliche Wir-Erzählung à la Erdoğan bietet diesen jungen Menschen eine Identität, auch wenn sie konstruiert und künstlich ist. Die relevanten Botschaften und die Kriegspropaganda aus der Türkei erreichen sie jeden Tag – und werden von ihnen unkritisch und ohne Reflexion empfangen. Wenn sie von anderen wegen ihrer Angriffe konfrontiert werden, erklären sie, dass sie trotz Staatsbürgerschaft und perfektem Deutsch für immer Ausländer bleiben werden. Ihre Desorientierung bietet einen fruchtbaren Boden für rechtsextremistische Propaganda.
Die in Österreich geborenen Jugendlichen nehmen grenzüberschreitend den Größenwahn des „Türkentums“ auf. Demokratische Grundrechte haben offenbar keinen Platz darin. Deshalb greifen sie marginalisierte Gruppen aus dem angeblich „eigenen“ Kulturkreis an: Kurden, Aleviten und Frauen. Für sie sind ihre Rechte Teil der „korrupten christlichen Fremden“, in denen sie zu leben glauben. Nur in der Gruppe scheinen sie ein Zugehörigkeitsgefühl gefunden zu haben. Sie fühlen sich stark in der Gruppe – aber eine Kundgebung gegen Gewalt gegen Frauen ist für sie unerträglich und bedroht ihre männliche Macht.
Aggressiver Minderwertigkeitskomplex
Es ist ein aggressiver Minderwertigkeitskomplex. Ihre Wurzel ist eine konstruierte Identitätslegitimation, die auf der türkischen Geschichte basiert. Es beginnt in den Steppen Zentralasiens und setzt sich durch die Invasion Anatoliens bis zum Zerfall des Osmanischen Reiches und der Migration in die europäische Diaspora fort. Verschiedene Massaker, Völkermorde und Diffamierungen im Zuge der Bildung des türkischen Nationalstaates vor gut hundert Jahren sind Teil dieser Legitimation.
Die türkische Staatsdoktrin verleiht ihnen den international privilegierten Status „türkisch-sunnitisch-muslimischer Mann“. Zur Verteidigung des Führers und des Vaterlandes ist jede Anwendung von Gewalt gerechtfertigt, auch weit entfernt von der Türkei. Dies zeigt sich auch in heftiger Wut gegen Frauen.