Tunesiens Präsident Kais Saied hat am Sonntagabend den Premierminister des Landes seines Amtes enthoben. Hichem Mechichi wird nach gewaltsamen Protesten in mehreren Städten Tunesiens kein Amt mehr einnehmen. Außerdem wurde das Parlament aufgelöst und die Immunität der Abgeordneten aufgehoben. Parlamentssprecher Rached Ghannouchi nannte den Schritt einen „Putsch gegen die Revolution und die Verfassung“.
Auch aus der Bevölkerung kam es am Sonntag zu Protesten, Demonstranten hatten den Rücktritt der Regierung und die Auflösung des Parlaments gefordert, nachdem die Zahl der Corona-Infektionen stark gestiegen war.
Saied kündigte an, das Land gemeinsam mit einem neuen Premierminister zu führen, ohne weitere Details zu nennen. Die Entscheidung wird die größte Herausforderung für die tunesische Verfassung, die seit 2014 eine Gewaltenteilung zwischen Präsident, Premierminister und Parlament vorsieht.
„Ich warne diejenigen, die daran denken, zu Waffen zu greifen“, sagte Saied in einer an die Demonstranten gerichteten Erklärung. „Wer auch immer eine Kugel abfeuert, das Militär wird mit mehr Kugeln antworten.“
Die bei den Protesten zu Beginn der arabischen Aufstände vor zehn Jahren populär gewordene Parole „Das Volk will den Sturz des Regimes“ war am Sonntag in Tunis erneut zu hören. Damals hatten anhaltende Massenproteste zur Flucht des langjährigen Machthabers Zine El Abidine Ben Ali geführt. Andere riefen Parolen gegen die islamisch-konservative Ennahda, die größte Partei des Landes.
Tunesien ist seit den Aufständen von 2011 das einzige Land in der Region, das zur Demokratie übergegangen ist. Allerdings leidet das Land unter einer schweren Wirtschaftskrise, die vor allem die jüngere Generation trifft. Die Corona-Pandemie hat die Situation verschärft. Viele Tunesier misstrauen der herrschenden Elite. Seit Januar gibt es wieder Proteste im Land. Sie richten sich unter anderem gegen hohe Arbeitslosigkeit, Armut und Korruption.
Saied wurde 2019 zum Präsidenten Tunesiens gewählt. Mechichi übernahm im vergangenen Sommer das Amt des Premierministers.