Zumindest die US-Regierung scheint Schritte zu unternehmen, der Terrororganisation Hamas den Geldhahn zuzudrehen.Das US-Finanzministerium arbeitet daran, das Netzwerk zu zerschlagen, sagte der stellvertretende amerikanische Finanzminister Wally Adeyemo. Ranghohe Mitarbeiter seines Hauses reisen in dieser Sache durch die Region. Auch ihr Kampf ist allerdings mühsam und kompliziert. Experten rechnen daher nicht mit einem schnellen, entscheidenden Sieg. „Man kann nicht einfach einen Schalter umlegen, und schon ist die Hamas bankrott“, sagt ein früherer ranghoher amerikanischer Regierungsmitarbeiter, der sowohl im Nationalen Sicherheitsrat als auch im Finanzministerium im Antiterrorkampf aktiv war. „Es ist eine Kampagne nötig, die viel Zeit, große Anstrengungen und außerdem politisches sowie diplomatisches Kapital erfordern wird.“ Die Hamas sei über Jahre wie eine quasilegitime Organisation behandelt worden, die eine Regierung geführt und internationale Finanzierung erhalten habe. Zugleich könne diese sich auf ihren staatlichen Hauptsponsor Iran und dessen erfahrene Netzwerke zur Terrorfinanzierung stützen.
Nicht alle Behörden oder Regierungen, auf deren Kooperation es ankommt, dürften sofort und umfassend gegen die Hamas vorgehen. Wenn der türkische Präsident Erdoğan verkündet, die Hamas sei keine Terrororganisation, dann ist das ein wichtiges Problem. Die Vereinigten Staaten haben nach dem terroristischen Großangriff der Hamas vom 7. Oktober schon neue Sanktionen verhängt. Diese zielen auf einige der Quellen, aus denen sich die Organisation Geld für Terroranschläge beschafft: auf Vermögenswerte in einem geheimen Investmentportfolio und auf Personen, die mit der Hamas verbundene Unternehmen bei der Umgehung von Sanktionen unterstützen.
Sie zielen auch auf die iranischen Revolutionswächter, von denen die Hamas mit Geld, Waffen und Training unterstützt wird. Laut Schätzungen von amerikanischen und israelischen Behörden zahlt das iranische Regime 70 bis 100 Millionen Dollar im Jahr an die Hamas. Dabei kann es auch auf Netzwerke anderer Verbündeter zurückgreifen, etwa auf Mittelsmänner, die sowohl gute Kontakte zur libanesischen Hizbullah als auch zur Hamas unterhalten.
Es existiert beispielsweise ein Netzwerk „Öl für Terror“-Netzwerk: Iranisches Öl wird – unter anderem mit der Hilfe russischer Firmen – an das mit westlichen Sanktionen belegte Assad-Regime in Syrien verkauft, das wiederum Profite an die iranischen Revolutionswächter weitergibt, die dieses Geld dann an Hizbullah und Hamas verteilen. Die Hilfe des iranischen Regimes dürfte in der näheren Zukunft immer wichtiger werden, denn mit dem Verlust der Kontrolle und womöglich der Herrschaft über den Gazastreifen versiegt eine ergiebige Geldquelle: Steuern, die von großen Unternehmen erhoben wurden, Gebühren für die Registrierung von Autos oder für Geburtsurkunden, Zölle für – auch geschmuggelte – Waren.
Außerdem konnte die Hamas Mittel von den Hilfen abzweigen, die über internationale Organisationen wie die UN oder die EU oder ausländische Geber in den Gazastreifen gelangten. Allein aus dem Golfemirat Qatar flossen – in Abstimmung mit der israelischen Regierung – seit 2012 etwa 1,3 Milliarden Dollar. Das Washington Institute for Near East Policy erklärte Ende Oktober vor dem für Terrorismusfinanzierung zuständigen Ausschuss im amerikanischen Repräsentantenhaus, die Hamas habe bis zu diesem Krieg etwa 300 bis 400 Millionen Dollar im Jahr aus Geldquellen eingenommen, die in Zusammenhang mit ihrer Herrschaft in Gaza stehen. Es wäre also auch finanziell ein schwerer Schlag, sollte diese nach dem Krieg enden.
Neben den Zahlungen aus Teheran bliebe der Hamas dann noch Spendengeld, das in Wohltätigkeitsorganisationen gesammelt wird, einige davon sind in Europa ansässig. Außerdem hat sich die Hamas über die Jahre ein Hunderte Millionen von Dollar schweres Wirtschaftsreich aus Firmen, Beteiligungen oder Scheinfirmen aufgebaut. Es ist laut Angaben mehrerer Experten ein länderübergreifendes Geflecht mit Firmen in Sudan, der Türkei, Algerien, Saudi-Arabien oder den Vereinigten Arabischen Emiraten. Hamas-Kader in Dependencen wie jener in Qatar oder Beirut können demnach auf solche Ressourcen zugreifen. Die Regierung in Washington schätzte 2022, dass die Hamas auf Werte in Höhe von mehr als 500 Millionen Dollar zurückgreifen kann. Darüber wacht neben dem obersten Führungsgremium, dem Shura-Rat, auch ein eigenes Investitionskomitee. Experten glauben, dass viel über diese Netzwerke bekannt ist. Die israelischen Behörden hätten sicherlich einen großen Teil dieser Arbeit kontinuierlich geleistet. Man also weiss genug, um damit beginnen zu können, weitere Sanktionen zu verhängen. Aber es müsse noch mehr getan werden, um das Verständnis der Hamas-Finanzierung zu vertiefen. Die Hamas wird sich anpassen, und in dieser Hinsicht wird es eine Menge Arbeit geben.
Auch in Deutschland sehen Mitarbeiter der Sicherheitsbehörden eine große Herausforderung auf den Westen zukommen, wenn es darum geht, den Geldfluss wirksam zu stören. Denn dieser könne sich auf viele kleine Äderchen verteilen. „Die Hamas und ihre Unterstützer nutzen gewöhnlichen Banken-Zahlungsverkehr, Einzelpersonen können kleinere Bargeldsummen mitführen, die dann aber in großer Zahl einen Unterschied machen“, sagt ein erfahrener Terrorismus-Fachmann. Zudem gebe es das sogenannte Hawala-System, ein informelles Zahlungsverfahren, das über Ein- und Auszahlungen von Bargeld an Gewährsleute erfolgt. Und auch Kryptowährung ist Teil der Hamas-Finanzwelt. Die israelischen Behörden haben nach dem Angriff des 7. Oktober die Schließung von Dutzenden von Kryptowährungskonten angeordnet.
Man werde auch nicht in der Lage sein, jede einzelne Spende oder jeden einzelnen Dollar, der aus Iran an die Hamas fließt, zu stoppen. „Man muss aber alles daran zu setzen, es der Hamas schwerer, teurer und riskanter zu machen, Geld zu beschaffen und zu verschieben, und es ihr außerdem erschweren, als legitime Bewegung zu agieren.“ Die amerikanische Außenpolitik und die zuständigen Abteilungen im amerikanischen Finanzministerium müssten dafür womöglich ihre Prioritäten neu kalibrieren. Deren Ressourcen hatten sich zuletzt auf andere Felder wie Russlandsanktionen und den Großkonflikt mit China konzentriert. Jetzt müsste die Aufmerksamkeit stärker auf die Hamas und ihre Förderer gelenkt werden. „Dafür muss politischer Wille vorhanden sein“, sagen Experten.
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