Noch waren sich viele westliche Experten einig, dass der Terror-Ableger der Muslimbruderschaft im Gaza-Streifen keine Gefahr für Europa sei. Die Begründung war, dass Hamas ein regionales Netzwerk sei, welches nicht in Europa aktiv ist. Deutsche Sicherheitsexperten beziffern aktive Hamas-Mitglieder in Deutschland mit ca. 600 Personen. Daher könne man nicht von einer potentiellen Gefährdung sprechen.
Andere Wissenschaftler warnen vor einer erhöhten Gefahr, sollte durch die anhaltenden Angriffe der israelischen Armee in Gaza und der damit verbundenen Zerstörung des Lebensraum von Tausenden Palästinensern eine Flüchtlingswelle nach Europa einsetzen. „Unter diesen Flüchtlingen werden sich viele Hamas-Anhänger befinden“, erklärte beispielsweise der Ruud Koopmans vom Wissenschaftszentrum Berlin. Es wäre „ein Leichtes für aktive Kämpfer“, sich unter die Geflüchteten zu mischen. „Die Einreise von Tausenden Hamas-Sympathisanten und -Aktivisten wäre eine große Bedrohung für die innere Sicherheit Europas“. Was die Folgen sein könnten, habe man ab dem Flüchtlingskrisenjahr 2015 gesehen, etwa in Brüssel oder Paris.
Experten rechnen damit, dass mit „mit hoher Wahrscheinlichkeit“ weitere Fluchtbewegungen nach Ägypten folgen würden. Sollte sich der Konflikt auf den Libanon ausweiten, werde es auch dort zu Fluchtbewegungen kommen. Ein Teil dieser Menschen könnte in die EU weiterziehen. Dann sei es auch möglich, dass arabische Länder, der Iran, die Türkei und nicht zuletzt Russland und Belarus Flüchtlinge gezielt nach Europa lenken.
Jedoch kam es nun in Berlin und Rotterdam zu ersten Festnahmen von Hamas-Terroristen innerhalb der EU. Sie wollten offenbar Waffen in die deutsche Hauptstadt transportieren. Laut Polizei wollten sie jüdische Einrichtungen angreifen. Der deutsche Generalbundesanwalt hat mittlerweile die Ermittlungen übernommen. Den Ermittlern zufolge sind die Männer im Oktober mehrfach von Berlin aus auf die Suche nach einem Waffenlager gegangen – dieses Erddepot sollen Mitglieder der Terrorgruppe „in der Vergangenheit konspirativ angelegt“ haben. Es wäre der erste bekannte Anschlagsplan der Hamas in Deutschland.
Einer der Verhafteten soll im Frühjahr dieses Jahres von Hamas-Führungskadern in seinem Heimatland damit beauftragt worden sein, Waffen ausfindig zu machen. Alle vier Personen sind nach Erkenntnissen der Ermittler seit Jahren Mitglieder der Hamas und beteiligten sich an „Auslandsoperationen“ der Terrorgruppe. Sie sollen eine „enge Anbindung“ zur Führung der Kassam-Brigaden haben, dem militärischen Arm der Hamas. Noch ein weiterer Verdächtiger ist in Libanon geboren, die anderen beiden haben die ägyptische beziehungsweise niederländische Staatsbürgerschaft.
Sollten die weiteren Ermittlungen den Verdacht erhärten, wäre es das erste Mal, dass Anschlagsvorbereitungen der Hamas in Deutschland bekannt werden. Lange hatten deutsche Sicherheitsbehörden das Risiko von Hamas-Attentaten in westlichen Staaten als nicht besonders hoch eingeschätzt. Nun ist die Einschätzung aber eine andere: Die Hamas betrachte Europa neuerdings als Rückzugsraum, heißt es inzwischen, auch Attentate durch Hamas-Sympathisanten im Westen gelten seit der Eskalation in Nahost als wahrscheinlicher. Die Terrorgruppe konzentrierte sich bislang darauf, aus dem Gazastreifen heraus Angriffe auf Israel zu verüben.
Den deutschen Sicherheitsbehörden soll der Komplex um die nun Festgenommenen allerdings schon vor dem 7. Oktober bekannt gewesen sein. Das Bundesamt für Verfassungsschutz hatte jüngst erst gewarnt, dass der Krieg im Nahen Osten auch Menschen in Deutschland radikalisieren und zu Anschlägen motivieren könnte. „Die Gefahr ist real und so hoch wie lange nicht mehr“, sagte Verfassungsschutzchef Thomas Haldenwang. Seit dem 7. Oktober waren bereits mindestens vier Personen in Deutschland unter Terrorverdacht verhaftet worden, sie gelten aber nicht als Hamas-Mitglieder, sondern als Sympathisanten des sogenannten Islamischen Staats.
Ebenfalls in Dänemark wurden mehrere Personen unter Terrorverdacht festgenommen, die Verbindungen zur Hamas haben sollen. Die dänischen Sicherheitsbehörden sprachen von drei Festgenommenen. Demnach habe der israelische Geheimdienst Mossad Hinweise auf die Verdächtigen geliefert. Einer von ihnen wurde offenbar in den Niederlanden festgenommen. Es soll sich aber nicht um die gleiche Person handeln wie diejenige, die aufgrund des deutschen Haftbefehls nun in Rotterdam verhaftet wurde.
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